Streit um „grüne“ Atomkraft entzweit Berlin und Paris

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Atomkraftwerk.Foto: iStock
Epoch Times23. Dezember 2021

Erkennt die EU die Atomenergie gut zehn Jahre nach der Katastrophe von Fukushima als „grün“ an? Diese Frage sorgt kurz vor Beginn des französischen EU-Ratsvorsitzes am 1. Januar für Zwist zwischen Berlin und Paris. Die EU-Kommission will den Streit entschärfen – und hat ihren Vorschlag aufs neue Jahr vertagt:

Worum geht es?

Zur Diskussion steht ein noch nicht veröffentlichter Rechtstext der EU-Kommission, den Investoren weltweit mit Spannung erwarten. Die Brüsseler Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen erwägt, die Atomenergie auf eine Liste „nachhaltiger“ Energieformen aufzunehmen. Der sogenannte Taxonomie-Vorschlag käme einer Empfehlung an die Finanzmärkte gleich, in Atomanlagen zu investieren.

Wer ist für den Plan?

Allen voran Frankreich: Präsident Emmanuel Macron hält die Atomenergie für unerlässlich, damit Frankreich und die EU wie geplant bis 2050 klimaneutral werden können. „Atomenergie kann zwar nicht als gleichwertig mit Erneuerbaren betrachtet werden“, räumte Macron Mitte Dezember auf dem EU-Gipfel ein. Sie stoße aber sehr wenig Kohlendioxid (CO2) aus.

Was steckt hinter dem Plädoyer für „nachhaltige“ Atomkraft?

Macron hat die Atomenergie vor der Präsidentschaftswahl im April neu entdeckt: Kürzlich hat er eine Milliarde Euro für ihren Ausbau angekündigt. Schon jetzt bezieht die Atommacht Frankreich rund 70 Prozent ihres Stroms aus Akw – der höchste Anteil weltweit. EU-weit stand die Atomkraft laut EU-Kommission 2020 nur für einen Anteil von rund 25 Prozent.

Was hält die Bundesregierung von den Atom-Plänen?

Vor allem die Grünen in der Ampel-Koalition stemmen sich dagegen: „Ich halte Atomkraft nicht für die richtige Technik“, hob Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck zuletzt im Deutschlandfunk hervor. Umweltministerin Steffi Lemke sagte den Sendern RTL und ntv, Atomkraft sei wegen des lange strahlenden Mülls der „falsche Weg“.

Was meint Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)?

Bei einem gemeinsamen Auftritt mit Macron auf dem letzten EU-Gipfel spielte Scholz das Thema herunter: Er sagte, der Kommissionsvorschlag sollte „nicht überschätzt werden“, und er nannte die Taxonomie „ein kleines Thema in einer ganz großen Frage“. Er verwies darauf, dass die Mitgliedsländer auch künftig alleine über ihren jeweiligen Pfad in eine emissionsfreie Zukunft entscheiden könnten. Es bleibe dabei, dass 2022 das letzte Atomkraftwerk in Deutschland abgeschaltet werde.

Ist Scholz‘ Haltung Konsens in der SPD?

Es gibt auch andere Stimmen: Die ehemalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hatte noch im November auf der Weltklimakonferenz in Glasgow argumentiert, Atomkraft könne „keine Lösung sein“. Zusammen mit Österreich, Luxemburg, Dänemark und Portugal warnte sie, dass eine Aufnahme dieser Energieform in die EU-Taxonomie deren „Integrität, Glaubwürdigkeit und Nutzen dauerhaft schaden“ würde.

Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

Die Kommission will neben Atomkraft auch Erdgas in ihren Vorschlag aufnehmen, wie der französische Binnenmarktkommissar Thierry Breton in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ sagte. Das zielt auf Deutschland und Österreich als Bezieher russischen Gases ab. Das Problem: Erdgas ist ein fossiler Energieträger, wenn er auch weniger klimaschädlich ist als Kohle.

Was passiert als Nächstes?

Die EU-Kommission will noch einmal mit den Mitgliedstaaten beraten und hat deshalb vor Weihnachten keinen Vorschlag vorgelegt. Erwartet wird er laut Breton nun voraussichtlich Mitte Januar und damit unter französischem EU-Ratsvorsitz. (afp/oz)



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