Tauender Permafrost im Arktischen Ozean „nicht durch Menschen verursacht“

Zahlreiche Studien wiesen in der Vergangenheit darauf hin, dass tauender Permafrost in der gesamten Arktis zu instabilen Böden und anderen Veränderungen führt. Eine in der Fachzeitschrift „PNAS“ veröffentlichte neue Studie zeigt nun erstmals die Veränderungen in Küstengebieten und auf dem Meeresgrund der Arktis auf.
Arktis
Tauender Permafrost führt am Meeresboden der Arktis zur Bildung von riesigen Sinklöchern.Foto: iStock
Von 23. April 2022

Etwa ein Viertel der Landfläche in der nördlichen Hemisphäre besteht aus Permafrost, ganzjährig gefrorenem Boden. Am Ende der letzten Eiszeit (vor 12.000 Jahren) haben schmelzende Gletscher und der Anstieg des Meeresspiegels große Teile des Permafrostbodens unter Wasser gesetzt. Bis vor Kurzem war dieser überflutete Permafrostboden für Forscher weitgehend unzugänglich. Doch dank technologischer Fortschritte wie autonomer Kartierungsroboter können Wissenschaftler nun detaillierte Untersuchungen durchführen und die Veränderungen des Meeresbodens in der Arktis bewerten.

So zeigen hochauflösende Daten aus der kanadischen Beaufortsee beispielsweise die Veränderungen des Meeresbodens von 2010 bis 2019 auf. Diese zeigen, dass sich in weniger als einem Jahrzehnt mehrere große kraterförmige Vertiefungen gebildet haben. In der größten könnte problemlos ein sechsstöckiger Häuserblock verschwinden.

„Wir wissen, dass in der gesamten arktischen Landschaft große Veränderungen stattfinden. Dies ist jedoch das erste Mal, dass wir Technologien einsetzen können, um zu sehen, dass auch vor der Küste Veränderungen stattfinden“, sagte Charlie Paull, Geologe am Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI) und Studienautor.

„Die von uns entdeckten Unterwasserlöcher sind das Ergebnis lang anhaltender glazial-interglazialer Klimazyklen. Außerdem wissen wir, dass sich die Arktis schneller erwärmt als jede andere Region der Erde. Es ist daher wichtig, auch die Veränderungen im Permafrostboden vor der Küste zu verstehen“, so Paull weiter.

Der Mensch trägt keine Schuld

Bereits im Jahr 2010 entdeckten die Forscher bei der Durchführung der ersten Vermessung in einem Teil der kanadischen Beaufortsee die ungewöhnliche Struktur des Meeresbodens. Wiederholte Vermessungen ermöglichten es den Forschern dann, die Prozesse, die zu der Zerklüftung des Meeresbodens führten, zu verstehen. Nach erneuten Messungen in den Jahren 2013, 2017 und 2019 konnten die Wissenschaftler schließlich die hochauflösende Karte eines 4,8 Quadratkilometer großen Bereiches der Beaufortsee erstellen. Gleichzeitig lieferten die Messungen ein Bild der Veränderungen des Gebietes während des neunjährigen Untersuchungszeitraums.

Die Forscher dokumentierten die Bildung neuer, unregelmäßig geformter, steiler Vertiefungen. Die größte von ihnen hat eine ovale Form und ist 28 Meter tief, 225 Meter lang und 95 Meter breit. Für das Forschungsteam sind wiederholte Absenkungen des Meeresbodens für diese Veränderungen verantwortlich. Diese seien wiederum auf die allmähliche Erwärmung seit der letzten Eiszeit und dem damit verbundenen Tauen des Permafrostbodens unter dem arktischen Schelf zurückzuführen.

„Wir haben nicht viele Langzeitdaten für die Meeresbodentemperatur in der kanadischen Beaufortsee, aber die verfügbaren Daten zeigen keinen plötzlichen Erwärmungstrend. Dies schließt also einen menschengemachten Klimawandel als Ursache für die dramatischen Veränderungen des Meeresbodens aus. Stattdessen sind diese Veränderungen auf die Wärme zurückzuführen, die in langsam fließenden Grundwassersystemen transportiert wird“, erklärte Paull.

Brackwasser aus dem aufgetauten Permafrostboden sickert am unteren Rand der verbliebenen Permafrostkörper nach oben. Dieser beschleunigt das Auftauen des Permafrostbodens in den darüber liegenden Sedimenten. Mit Wasser gefüllte Hohlräume ersetzen das überschüssige Eis, das sich einst im älteren Permafrost befand. Zuvor mit Permafrost gefüllte unterirdische Hohlräume brachen in regelmäßigen Abständen zusammen und erzeugten die großen und schnell entstehenden Löcher, die am Meeresboden beobachtet wurden.

Pingos am Meeresboden der Arktis

Das Forschungsteam dokumentierte außerdem weitere ausgeprägte Merkmale des Meeresbodens, die durch Wasser aus auftauendem Permafrost entstanden sind. In Gebieten, in denen der Grundwasserabfluss begrenzt ist, hält das Wasser des Meeresbodens die Temperatur des bodennahen Sediments niedrig genug, damit das aufsteigende Brackwasser wieder gefrieren kann, wenn es sich dem etwas kälteren Meeresboden nähert. Wenn das Eis in den bodennahen Sedimenten dann gefriert, dehnt es sich aus und bildet Pingos (kreisförmige Hügel mit einem Kern aus Eis).

Die Karten des Meeresbodens zeigten eine Fülle von Pingos in der Nähe des Hauptabflussgebiets. Bislang sahen Forscher diese Pingos als oberirdische Landform an. Mit ihrer aktuellen Studie konnten Paull und seine Kollegen nun erstmals auch eine unterseeische Variante belegen.

Das Team geht davon aus, dass ähnliche Prozesse auch in anderen unterseeischen Permafrostsystemen ablaufen könnten. Wie weit verbreitet ähnliche Veränderungen auf den arktischen Schelfen sind, bleibt unbekannt. Das Auftauen des Permafrostbodens könnte jedoch ein wichtiger Prozess für die Gestaltung des Meeresbodens in der gesamten Arktis sein.

Die Studie erschien am 14. März 2022 in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (kurz „PNAS“).



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