Wollen wir das Klima tatsächlich „retten“? Dann müssen wir altruistisch sein

Tun die Gemeinden mit dem Ausrufen des „Klimanotstands“ das richtige? Wer sollte welchen Beitrag leisten? Eine Umfrage ergab 2018, dass 76 Prozent der Menschen der Meinung sind, die Gemeinden würden nicht genug für den Klimaschutz tun.
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Jeder muss bei sich selbst anfangen, wenn es um die Zukunft geht.Foto: iStock
Von 12. September 2019

53 deutsche Gemeinden haben in den letzten Monaten den sogenannten „Klimanotstand“ ausgerufen und es ist noch kein Ende zu sehen. Kritiker sehen darin eher einen symbolischen Akt als einen tatsächlichen Beitrag, der Wirkung hat. Dennoch hat sich in den letzten Wochen einiges in den Gemeinden getan: Klimaneutrale Gebäude, Solaranlagenpflicht, Carsharing, Diensträder, höhere Parkgebühren in Innenstädten und das Pflanzen zusätzlicher Bäume – um nur einige Maßnahmen zu nennen.

Was ist eigentlich ein Klimanotstand?

„Klimanotstand“ ist laut dem Magazin Geo aus dem Englischen übersetzt und bedeutet „climate emergency“. Der Club of Rome hat diesen Begriff im Dezember 2018 ins Leben gerufen, als er vor dem EU-Parlament über die Dringlichkeit des Klimaschutzes zu sprach. Es seien Sofortmaßnahmen („emergency actions“) notwendig, um die globalen Emissionen bis 2050 auf null zu reduzieren. Das verändere das Leben der Menschen in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht und das Finanzsystem.

Üblicherweise bedeutet Notstand in Situationen wie zum Beispiel Naturkatastrophen und Krieg, dass die öffentliche Gewalt auf ihre Bindung an Gesetz und Recht verzichten kann. Dies jedoch nur in dem Maße, wie sie es zur Bekämpfung des Notstandes für erforderlich hält. Beim „Klimanotstand“ aber werden keinesfalls Kompetenzen des Bürgermeisters oder des Städte-/Gemeinderates erweitert. Man mache vielmehr mit diesem Schritt klar, dass Klimaschutz höchste Bedeutung hat.

53 deutsche Gemeinden haben laut Wikipedia in den letzten Monaten den sogenannten Klimanotstand ausgerufen. An bekannteren Städten sind dabei: Aachen, Bochum, Bonn, Bielefeld, Düsseldorf, Fehmarn, Heidelberg, Jena, Konstanz, Ludwigslust, Kiel, Köln, Leverkusen, Lübeck, Marburg, Potsdam, Trier und Wiesbaden.

Hier eine bildliche Darstellung von Statista, dem Online-Portal für Statistik, die auf älteren Zahlen von Wikipedia basiert. Hinzugekommen sind seitdem in Mecklenburg-Vorpommern (1 Stadt), Nordrhein-Westfalen (1 Stadt), Rheinland-Pfalz (3 Städte) und Thüringen (1 Stadt).

53 Gemeinden haben seit dem 2. Mai 2019 in Deutschland zwischenzeitlich den Notstand ausgerufen. Dabei sind sich Experten uneinig, ob der Symbolcharakter gut oder schlecht ist. Quelle: https://de.statista.com/infografik/18997/orte-und-gemeinden-in-deutschland-die-den-klimanotstand-ausgerufen-haben/

Mobilitätsmanager und Solarpflicht in Konstanz

Oberbürgermeister Ulrich Burchardt (CDU) hat kürzlich der „Welt“ gegenüber ein Interview gegeben und Hinweise zur CO2-Einsparung in der Gemeinde Konstanz gegeben.

Konstanz war der erste Antragsteller des „Klimanotstands“ – beantragt wurde dieser am 2. Mai 2019. Seitdem werden dort Gemeinderatsentscheidungen gekennzeichnet, ob sie klimaschutzrelevant sind. Falls ja, bedarf es einer näheren Erläuterung. Es gibt außerdem eine Arbeitsgruppe, die Ideen zum Klimaschutz koordiniert und herausarbeitet, wo sich schnell Ergebnisse erzielen lassen.

Daneben wurde ein Mobilitätsmanager eingestellt, der den CO2-Ausstoß beim Transport optimieren soll. Auch eine Solarpflicht für Neubauten wurde beschlossen. Die Pflicht entfalle aber, wenn das einen Neubau teurer mache.

Symbolcharakter des Klimaaktivismus – gut oder schlecht?

Burchardt sagt: Der Ausruf des Klimanotstands sei absichtlich „ein Stück weit Symbolpolitik“. Konstanz sei als „wohlhabende Stadt mit hohem Bildungsniveau“ verpflichtet, zu experimentieren und Lösungen zu finden. Er möchte auch darlegen, dass man viel weniger CO2 ausstoßen kann, ohne den Lebensstandard zu beeinträchtigen.

Alexander Marguier, Chefredakteur von Cicero, steht den Notstandsausrufen kritisch gegenüber. Der Effekt der Notstandsausrufe sei gleich null. Das wahre Problem werde verschleiert. Er schreibt:

Die Europäer können sogar bei komplettem Verzicht auf jegliches klimaschädliche Verhalten so gut wie nichts gegen den Klimawandel ausrichten.“

Marguier stellt zugleich aber klar, dass er das Engagement für Umweltschutz nicht „klein reden oder lächerlich machen“ wolle. Er halte es für sehr wichtig, auf globaler Ebene anzusetzen. Die Notstandsausrufe könnten auch kontraproduktiv sein. Denn es könnte das Gefühl entstehen, das man mit rein symbolischen Aktionen tatsächlich etwas bewirken könne.

Der Begriff des „Notstands“ sei auch irreführend. Es lade zur „Selbstermächtigung“ ein. Aktivisten könnten dazu verleitet werden, sich – in guter Absicht – über geltendes Recht hinwegzusetzen. Er verweist dabei auf die Seite: www.klimanotstand.com. Es komme ein totalitäres Verhältnis zum Ausdruck, wenn man das Folgende lese:

Seit Jahrzehnten konnten auch Wahlen nur wenig bewirken, da diese an den realen Machtverhältnissen nichts verändern. In Frankreich haben nun viele Bürger*innen entdeckt, dass ihre politischen Vertreter nicht sie, das Volk vertreten, sondern einzig das ,Establishment‘ im Hintergrund. Zur Verteidigung dieser Macht-Interessen werden von der Politik systemkritische zivile Strukturen bekämpft und das Volk unterdrückt. Schlimmster Terror ist den Mächtigen dienlich, da ein Volk im Chaos durch staatliche Gewalt leichter zu kontrollieren ist.“

Klimaschützer: Wir müssen die Verantwortung für die Welt annehmen

Experten meinen, dass ein wirklicher Erfolg nur erzielt werden kann, wenn man von innen heraus wirklich auch etwas ändern möchte. Damit dürfte jeder Bürger betroffen sein.

Burchardt geht für Konstanz zwar nicht davon aus, dass es aufgrund der Maßnahmen in Konstanz zu höheren Abgaben oder Steuern kommt. Denn es würden zunächst die Altschulden nicht weiter abgetragen. Vielmehr appelliert er an das Engagement der Menschen, einfach mitmachen zu wollen. Dazu gehöre auch, einfach einmal eine neue Solaranlage zu kaufen. Er beschreibt das plastisch: „Klimaschutz ist keine Pizza, die man einfach mal mit einer App vom Sofa aus beim OB bestellen kann.“

Der deutsche Klimaforscher und Meteorologe Hans von Storch erklärt, allgemein bezogen auf Deutschland:

Wenn wir das Klima tatsächlich ‚retten‘ wollen, müssen wir die Verantwortung für die Welt annehmen, müssen wir altruistisch sein.“

Jeder Einzelne, der es sich leisten könne, müsse (allerdings mit Blick auf Deutschland und nicht konkret die Gemeinden) „für die Entwicklung von Technologien zahlen – und zwar mit dem Ziel, diese Technologien zu verschenken, damit sie überall auf der Welt hilfreich sein können.“

Er schlägt deshalb allgemein eine „Innovationsabgabe“ vor. Damit sollen klimafreundliche Technologien entwickelt werden, die den Ländern mit einem hohen Anteil an schädlichen Emissionen (insbesondere Schwellenländern) unentgeltlich weitergegeben werden.

Ehemaliger OB von Oberhausen: Wichtigstes Thema für Gemeinden ist Gebäudesanierung

Burkhard Drescher, früherer Oberbürgermeister von Oberhausen und Geschäftsführer von Innovation City Bottrop (Ruhrgebiet), setzt bei den Gebäuden an.

Mit seinem Konzept konnte er den Co2-Ausstoß in Bottrop seit 2010 um die Hälfte verringern – und das entsprach genau den Planzahlen aus 2010. Die energetische Modernisierungsrate in Deutschland liege bei einem Prozent pro Jahr, in Bottrop seit acht Jahren bei über drei Prozent.

40 Prozent der CO2-Emissionen kämen aus dem Gebäudesektor, Kommunen könnten hier einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz leisten, wie er in einem Interview sagte. In Deutschland passiere in diesem Sektor schon seit Jahrzehnten viel zu wenig. Deutschlands Gebäude bestehen zu einem großen Teil aus Altbauten, der Bund tue hier aber einfach nicht genug. Die KFW-Kredite definieren einen Anspruch etwa im Niveau eines Neubaus. Das lohne sich für Hauseigentümer nicht, weil die Kosten zu hoch sein. Folge sei, dass nicht investiert werde.

Geheimnis der Strategie Bottrops: Aktivierung aller Akteure

Der frühere Oberbürgermeister sagt: „Wir haben uns auf das Machen konzentriert (…). Von Haus zu Haus, ins Stadtquartier, dann auf die Stadtebene.“

Burkhard Dresche habe zunächst alle Beteiligten für die Idee und damit seine Strategie begeistert – Bürger, Hausbesitzer, Energieversorger, Handwerker. Anschließend wurden zielführend Konzepte zur Energieberatung für Bürger, Hausbesitzer, Wohnungsgesellschaften präsentiert – unter Berücksichtigung der Energiekosteneinsparung. Das sei das Entscheidende: Menschen erklären, dass man durch bestimmte Maßnahmen an Gebäuden sehr viel Energiekosten sparen kann.

Dr. Daniel Stelter, Gründer des Online-Magazins „beyond the obvious“ betont, dass es sich bei diesem erfolgreichen Modell nicht um eine „Verbotskultur“ handelt. Hier sei auf eine Umfrage von Statista aus Juli 2019 verwiesen. Danach befürworten 72 Prozent der Befragten klimafreundliches Verhalten über Anreize zu fördern.

Drescher hat sich vor allem auf die Medienarbeit konzentriert und jeden Monat einen Infoabend zu Themen wie Dach, Fenster, Schimmel, Heizung und Fotovoltaik gemacht. Dabei gab es viele Kooperationen mit Stadt, Wohnungswirtschaft, Energieversorgung, Handwerk und vielen weiteren Beteiligten.

Dreschers Motto: „90 Prozent Einsparung mit 10 Prozent der Kosten“

Drescher konzipierte die energetischen Modernisierungsmaßnahmen so, dass die Miete nicht stieg. Dabei änderte sich aber die Zusammensetzung – der Anteil der Energiekosten sank, die Kaltmiete stieg. Daher konnten die Eigentümer dann investieren. Ziel war dabei nicht eine Einsparung von 100 Prozent der CO2, sondern zum Beispiel 90 Prozent mit einem Kostenaufwand von 10 Prozent.

Beispiel: Im Einfamilienhaus könne nur der Speicher statt des ganzen Daches gedämmt werden. Das lohne sich für die Bauherren schon nach fünf bis sieben Jahren statt nach zwanzig.

Beyond the obviuos befürwortet diese Vorgehensweise. Sie sei so anders als die Einstellung vieler heute. Gebe es doch viele „Überzeugungstäter, die unter dem Vorwand die Welt retten zu wollen, in Wahrheit ihre Umverteilungswünsche und Neidgefühle adressieren“.

 



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