Klimaforscher zum Bäumepflanzen: „Ablasshandel“ mit unklarem Nutzen

Aufforstung klingt gut, ist in der Praxis aber nicht so einfach. Beim Bäume Pflanzen kann man viel falsch machen. Sinnvoll kann die Aufforstung trotzdem sein.
Bäume pflanzen für den Umweltschutz.
Bäume pflanzen für den Umweltschutz. Für PIK-Forscher Reyer ist dies ein vom Verbraucher selten nachvollziehbarer „Ablasshandel“.Foto: iStock
Von 29. September 2023

Wer dem Klima schadet, kann zum Ausgleich Bäume pflanzen lassen. Auch Unternehmen werben damit, dass sie ihre Emissionen durch Aufforstung ausgleichen. Bäume speichern CO₂ und helfen damit dem Klima – soweit die auf den ersten Blick naheliegende und charmante Idee.

Aber so einfach ist die Sache nicht. Selbst wenn der gepflanzte Wald dem Klima nutze, sei das oft nicht zu quantifizieren, wie Wissenschaftler erklären. Schlechtestenfalls bewirke eine solche Aktion sogar das Gegenteil.

Studie: Vielfach kein ökologisches Ergebnis

Ein Forscherteam hat kürzlich die Nachhaltigkeitsberichte von 100 der weltweit größten Unternehmen ausgewertet. 66 Unternehmen gaben an, Ökomaßnahmen durchzuführen, 44 von ihnen pflanzen Bäume, wie das Fachjournal „Science“ berichtet. Die Studie zeigte aber auch, dass über 90 Prozent kein ökologisches Ergebnis angaben. Zudem seien in keinem der Berichte die sozialen oder wirtschaftlichen Auswirkungen auf lokale Interessengruppen quantifiziert worden.

„Es gibt im Moment nur sehr wenig Transparenz, sodass es für niemanden einfach zu beurteilen ist, ob Projekte Vorteile für Ökosysteme oder Menschen bringen“, bilanziert Hauptautor Tim Lamont von der Lancaster University. „Wenn ein Unternehmen sagt, dass es Tausende von Bäumen gepflanzt hat, um Lebensraum wiederherzustellen und Kohlenstoff zu absorbieren – woher wissen wir dann, ob dies umgesetzt wurde, ob die Bäume überleben werden und ob dadurch ein funktionierendes Ökosystem entstanden ist, das der Artenvielfalt und den Menschen zugutekommt?“, sagt Lamont.

In vielen Fällen haben wir festgestellt, dass die Beweise, die große Unternehmen zur Untermauerung ihrer Behauptungen vorgelegt haben, nicht ausreichen.“

Große internationale Konzerne könnten eine Schlüsselrolle bei der Wiederherstellung von Ökosystemen spielen, schreiben die Forscher in „Science“. Es sei jedoch mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht erforderlich, um sicherzustellen, dass ihre Projekte auch gute Ergebnisse liefern.

Bäume binden CO₂, aber wie viel?

Bäume nehmen CO₂ aus der Luft auf, wandeln ihn um und speichern ihn in Form von kohlenstoffhaltigen Verbindungen. Der Kohlenstoff (C) aus dem CO₂ wird unter anderem genutzt, um Wurzeln, Stämme und Blätter auszubilden.

Ein Großteil des Sauerstoffs (O₂) aus dem CO₂ wird an die Luft abgegeben. Dennoch müssen auch Bäume atmen – und sie atmen wie andere Lebewesen Sauerstoff. Dieser reagiert mit Zucker, was wiederum die nötige Lebensenergie freisetzt.

Wie viel CO₂ ein Baum speichert, ist vor allem abhängig von der Baumart. Je schwerer und dichter das Holz, desto mehr Kohlenstoff wird gespeichert. Auch das Alter der Bäume spielt eine Rolle: Sehr junge Wälder speichern weniger als alte.

Zu beachten sei auch die geografische Lage, schreibt die Stiftung Unternehmen Wald, die sich für Naturschutz und Waldforschung einsetzt. Tropische Wälder wachsen demnach schneller als Wälder in Deutschland und speichern dabei daher im gleichen Zeitraum mehr CO₂.

Als Faustformel könne man damit rechnen, dass ein Hektar Wald pro Jahr über alle Altersklassen hinweg circa sechs Tonnen CO₂ speichert. Laut „Plant for the Planet“ entspricht dies im Schnitt etwa zehn Kilogramm CO₂ pro Jahr pro Baum.

Bäume pflanzen oft nicht sinnvoll umgesetzt

Vom Grundgedanken her sei die Idee „nicht verkehrt“, sagte Christopher Reyer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). „Wir brauchen mehr Wälder. Aber in der Praxis wird es halt oft nicht so gut gemacht.“

Wenn Unternehmen Bäume pflanzen, „dann heißt das noch nicht, dass diese Bäume auch überleben.“ Nur eine Baumart zu pflanzen, macht meist ebenfalls keinen Sinn. Monokulturen haben wenig Resistenzen gegen Stürme oder Trockenheit und fallen schneller Schädlingen zum Opfer.

Manchmal würden Aufforstungsprojekte auch bestehende Ökosysteme vernichten, zum Beispiel Moore oder Steppen. Andernorts würden illegale Siedlungen geräumt, mit der Folge, dass sich die Menschen neue Behausungen bauen und dabei in andere, noch intakte Ökosysteme eindringen. Ein neu gepflanzter Wald könne auch den Boden austrocknen oder andere Nebeneffekte haben.

All das sei im Prinzip bekannt. Und es gebe „wirklich tolle Projekte“, die das beherzigen, so Reyer. Allerdings könne der Verbraucher, der mit diesem „Ablasshandel“ sein Gewissen beruhigen will, sie nicht unterscheiden. Auch die verschiedenen Zertifizierungssysteme auf dem Markt sieht Reyer kritisch. Es gebe für Baumpflanzaktionen keinen rechtlichen Rahmen, aber „viel Wildwuchs“.

Einen kleinen Anhaltspunkt zur Orientierung hat er dennoch: Eine Wiederaufforstung sei tendenziell besser als eine Neuanpflanzung, da hier zumindest sichergestellt ist, dass sich der Ort für Wald eignet.

(Mit Material von dpa)



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