Über 100.000 Euro Entschädigung für Leiden durch Windkraftanlagen

Einbildung oder Tatsache? Wenn es um die gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Windkraftanlagen geht, denkt man vielleicht eher an psychosomatische Beschwerden. Ein französisches Gericht gab bereits im Juni 2021 in der Berufungsinstanz einem Ehepaar Recht und verurteilte die Betreibergesellschaften der Windkraftanlagen, aber erst im November gerieten weitere Details an die Öffentlichkeit.
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Windräder in Lauterbach. Symbolbild.Foto: iStock
Von 8. Januar 2022
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Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel. Die Symptome, die Christel und Luc Fockaert erlitten, sind vielfältig. Grund für ihr Leiden: Sechs Windräder, die 2008 und 2009 in einer Entfernung von 700 bis 1.300 Meter von ihrem Haus in Fontrieu installiert wurden. Wie „france3“ berichtete, bemerkte das Paar nicht sofort die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Windparks. Erst als 2013 ein Wald, der ihr Grundstück von dem Windpark abschirmte, abgeholzt wurde, wurden die Symptome auffällig. Müdigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Schlafstörungen und Herzrhythmusstörungen traten bei ihnen auf; typische Symptome, die von der amerikanischen Ärztin Dr. Nina Pierpont als „Windturbinensyndrom“ beschrieben wurden.

„Wir haben es nicht sofort verstanden. Aber nach und nach wurde uns klar, dass das Problem bei den Windturbinen lag“, sagte Christel Fockaert. Als besonders gesundheitsschädlich bezeichnete das Paar den Lärm, den sie mit einer sich ständig drehenden Waschmaschine vergleichen, sowie das weiße Licht an den Turbinen, das alle zwei Sekunden aufblinkte. Als Gegenmaßnahme haben sie Außenlichter installiert, um die Wirkung der „Blitze“ zu dämmen.

Schließlich zog das Paar 2015 um. Damit gingen auch die Symptome zurück, bis sie seit Januar 2016 vollständig verschwunden waren.

Ein langer Rechtsstreit

In einem Rechtsstreit verklagten die Fockaerts die Betreibergesellschaften der Windkraftanlagen. Sie forderten die Zahlung von über 370.000 Euro, darunter 249.000,00 Euro für den Verlust ihres Eigentums, über 40.000 Euro Nutzungsausfall, rund 15.000 Euro Umzugskosten sowie Schmerzensgeld (je 4.000 Euro), Ausgleich für teilweise Funktionsbeeinträchtigung (je 2.216,25 Euro) und einen immateriellen Schadensersatz von je 30.000 Euro pro Ehepartner. Nach dem ablehnenden Urteil in der ersten Instanz vom 16. Januar 2020 war das Paar enttäuscht. Nicht nur, dass sie den Rechtsstreit verloren hatten, auch sämtliche Kosten für medizinische und ein akustisches Gutachten waren ihnen auferlegt worden – mehr als 11.000 Euro, das Honorar der eigenen Anwältin nicht eingerechnet.

Besonders verärgert zeigten sich die Fockaerts darüber, dass der Richter die eingeholten Gutachten bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt habe. Ein Jahr Arbeit der Gutachter habe der Richter „unter den Teppich gekehrt“, zitierte das „Le Journal D’Ici“ die Kläger. Er habe auch nicht die durch die jahrelangen „weißen Blitze“ verursachten Beschwerden berücksichtigt, da diese inzwischen rot seien. Auch die an die staatlichen Stellen gerichteten Forderungen, dass die Windkraftanlagen wegen der Überschreitung des zulässigen Lärms endlich abgeschaltet werden sollten, habe der Richter in erster Instanz ignoriert.

Stattdessen hieß es im Urteil, dass die durch die Windräder erfolgten Belästigungen „nicht über die normalen Störungen der Nachbarschaft hinausgingen“. Die visuellen Belästigungen und Lärmbelästigungen seien „minimal“. Die „Fehlfunktion des Beleuchtungssystems“ habe sich als vorübergehend erwiesen, während die akustischen Störungen nicht als Belästigung eingestuft werden könnten.

Im Gegensatz zur ersten Instanz erkannte das Berufungsgericht Toulouse die Ansprüche der Fockaerts an; den eingeklagten Wertverlust der Immobilie kürzte es jedoch von 249.000 auf 28.650 Euro. Zudem wurden dem Ehepaar 39.500 Euro Nutzungsausfall und 10.000 Euro Kosten sowie pro Ehepartner 4.000 Euro Schmerzensgeld, 2.216,25 Euro als „vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung“ und 10.000 Euro immaterieller Schaden zugesprochen. Die Verfahrenskosten wurden den Betreibergesellschaften der Windkraftanlagen auferlegt. Das 18-seitige Urteil des französischen Berufungsgerichts wurde am 8. Juli 2021 verkündet, aber erst Anfang November veröffentlicht.

Windturbinensyndrom

Das Windturbinensyndrom geriet erstmalig durch die Kinderärztin Dr. Nina Pierpont in den Fokus der Öffentlichkeit. Sie befragte im Jahr 2006 insgesamt 38 Personen, die in der Nähe von Windenergieanlagen lebten. Zu den geschilderten Symptomen gehörten beispielsweise Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Tinnitus, Schwindel, Übelkeit, Sehstörungen, Herzrasen sowie Konzentrations- und Erinnerungsprobleme. Ihre Ergebnisse veröffentlichte die Medizinerin 2009 in ihrem Buch „Wind Turbine Syndrom – A Report on a Natural Experiment“.

Wissenschaftler kritisieren, dass die Anzahl der befragten Personen zu gering war, als dass die Ergebnisse repräsentativ genannt werden könnten. Zudem habe es weder medizinische Untersuchungen noch Schallmessungen gegeben, sondern nur telefonische Befragungen. Andere sprechen von dem negativen Placebo-Effekt, nämlich dem Nocebo, wonach eine gesundheitliche Beeinträchtigung aufgrund der negativen Erwartungshaltung entsteht.

Nach Aussage des Pressesprechers des deutschen HNO-Berufsverbandes, Dr. Michael Deeg, ist das sogenannte Windturbinensyndrom, zumindest bezogen auf seine HNO-Praxis in Freiburg, in der jährlich mehr als 20.000 Patienten versorgt werden, bisher praktisch „nicht existent“.

„Ich kann mich an keinen Fall eines Patienten erinnern, der sich wegen derartiger Beschwerden hier gemeldet hätte“, so Deeg. Es handele sich hierbei eher um ein „Randphänomen“ – in der praktischen Versorgung seiner Patienten spiele dieses Syndrom jedenfalls keine Rolle.

Für den gesamten Berufsverband konnte der Mediziner jedoch nicht sprechen, da es bisher keine diesbezügliche Datenquelle gebe. Die Thematik rund um den Infraschall, um den es sich auch bei den Windrädern im Wesentlichen drehe, sei jedoch keinesfalls neu. „Es gab schon immer Menschen, die sich aufgrund von Infraschall unter anderem an HNO-Ärzte gewendet und verschiedene Beschwerden geäußert hätten“, erklärt der HNO-Arzt, dazu gehören auch Tinnitusbeschwerden. Belastbare Daten, dass diese auf Windräder zurückführen seien, gebe es laut Deeg jedoch nicht. Aber es gebe eine große Anzahl von Schallquellen, die ebenfalls Infraschall verursachen. Dazu gehören laut Deeg beispielsweise Industrie-, Heizanlagen, Kühlschränke, starker Wind oder auch Meeresbrandung.

In den im Jahr 2018 veröffentlichten „Leitlinien für Umgebungslärm für die Europäische Region“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind auch Werte zur Lärmbelastung durch Windenergieanlagen aufgeführt. Hierin wird empfohlen, die durchschnittliche Lärmbelastung durch Windenergieanlagen auf weniger als 45 Dezibel tagsüber zu verringern, „weil Lärm von Windenergieanlagen oberhalb dieses Wertes mit schädlichen gesundheitlichen Auswirkungen verbunden ist“. Für eine durchschnittliche nächtliche Lärmbelastung hat die WHO keine Empfehlung abgegeben.

Zum Vergleich: Die Lautstärke für Bodenstaubsauger variierte zwischen 57 und 82 Dezibel, eine Waschmaschine im Schleudergang kommt auf etwa 70 Dezibel, bei einem Hochleistungsmixer sind Werte um 85 Dezibel nicht unüblich, was in etwa der Lautstärke eines Rasenmähers entspricht. Atemgeräusche aus etwa einem Meter Entfernung entsprechen etwa 25 Dezibel, während ein sehr leiser Zimmerventilator auf niedrigster Geschwindigkeitsstufe etwa 35 Dezibel erreicht.

Für Betroffene, die sich durch Windkraftanlagen beeinträchtigt fühlen, ist das französische Urteil aus Toulouse eine kleine Sensation. „Die Entscheidung dürfte auch für die deutsche Rechtspraxis Bedeutung haben, auch wenn insofern keine rechtliche Bindungswirkung besteht“, heißt es dazu auf der Website der Karlsruher Rechtsanwaltskanzlei Caemmerer Lenz, auf der auch die deutsche Übersetzung des Urteils einsehbar ist.



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