Dämonisierung stößt an Grenzen: Warum die AfD in Thüringen stark bleibt

Zwei Tage vor der Landtagswahl in Thüringen liegt die AfD bei mehr als 20 Prozent – trotz besonders intensiver politisch-medialer Kampagnen gegen deren Fraktionschef Björn Höcke. Der Wähler interessiert sich jedoch mehr für seine Alltagsprobleme.
Von 25. Oktober 2019

Stimmt das oft durch die sozialen Medien gehende „Pflasterstrand“-Zitat, wollte Ex-Außenminister Joschka Fischer „deutsche Helden“ noch Anfang der 1980er Jahre „tollwütigen Hunden gleich, einfach totschlagen“. Heute hingegen scheint deutsches Heldentum mehr gefragt zu sein denn je zuvor.

Glaubt man führenden Leitmedien und Spitzenpolitikern von Linkspartei bis Union, befindet sich das gesamte Land in einem Abwehrkampf gegen die „Nazis“, gegen den sich die Weimarer Republik wie ein dünner Windhauch ausnimmt – und die Reinkarnation des Bösen schlechthin steht am Sonntag in Thüringen auf dem Stimmzettel: die AfD und ihr Thüringer Fraktionschef Björn Höcke.

Dieser erregt nach einigen durchaus missverständlichen und provokativen Aussagen, die er mittlerweile zum Teil relativiert hat, nicht nur bei Verfassungsschutzbehörden erhöhte Aufmerksamkeit, sondern ist auch in der eigenen Partei zu einer polarisierenden Figur geworden. Die AfD ist jedoch auch in seiner Wahlheimat Thüringen auf der Siegerstraße. Umfragen sehen sie mehr oder minder deutlich über 20 Prozent, was einer Verdopplung des Ergebnisses von 2014 gleichkäme. Insa sieht sie mit 24 Prozent gar gleichauf mit der CDU.

Greta Thunberg der Identitätspolitik?

Das sich abzeichnende beachtliche AfD-Ergebnis befeuert nun die Debatte, ob die rechtskonservative Partei im Freistaat trotz oder wegen Höcke gewählt wird. Möglicherweise stimmen beide Einschätzungen: Jenseits der Grenzen Thüringens stößt der Wortführer des rechtsnationalen „Flügels“ entweder auf besonders heftige Ablehnung oder auf besonders frenetische Zustimmung. Er fungiert als eine Art Greta Thunberg der Identitätspolitik und warnt in pathetischen Worten vor einem Untergang Deutschlands in einer multikulturellen Stammesgesellschaft und einer Zukunft der deutschen Nation als einer seelenlosen Masse ohne Gemeinschaftssinn und Verbundenheit mit eigener Geschichte und Traditionen.

In Thüringen selbst, wo man ihn nunmehr seit fünf Jahren kennt, ist die Einschätzung eine differenziertere und realistischere. Sein Konzept, aus der AfD eine Heimatpartei zu machen, die auch abseits von Wahlkämpfen die Präsenz in den Dörfern und Kleinstädten sucht, die das Lokale betont und sachpolitische Themen in den Vordergrund stellt, geht bislang auf. Man kennt die AfD-Leute aus dem Alltag, sodass das Zerrbild vom blutrünstigen nazistischen Monster, das kleine Kinder frisst, als bösartige Propaganda erkannt und zurückgewiesen wird – auch von den meisten Thüringern, die inhaltlich mit Höcke und der AfD nicht konformgehen.

Zudem scheint Höckes nationalromantisches Pathos, auch wenn nicht jedermann damit etwas anfangen kann, auf die Menschen authentischer zu wirken als das moralische, „antifaschistische“ seiner lautesten Gegner. Drachentöter, die man auch in der DDR als Kind im Märchen kennenlernte, stellt man sich eben anders vor als einen dünnlippigen EKD-Funktionär mit erhobenem Zeigefinger oder einen gealterten Politikprofessor aus der 68er Generation, der seit dem Tod der „Täter“-Eltern nicht mehr weiß, wohin mit seinem Hass – den er dann gegen die AfD als Ersatzobjekt lenkt und der diesen dazu bringt, jedwede Sachebene zu verlassen.

Höcke als Person für Wahlentscheidung nicht primär relevant

In sozialen Medien beginnen Fans schon, sich über die täglich heftiger werdenden Warnungen vor Björn Höcke lustig zu machen. So macht zurzeit ein früheren Wortbaukästen des „MAD“-Magazins nachempfundener „Höcke-Horrorschlagzeilen-Generator“ auf Facebook die Runde, der je nach Geburtstag und Anfangsbuchstaben des eigenen Namens Schlagzeilen wie: „Björn Höcke hat den Rauhaardackel einer armen Rentnerin diabolisch lachend an seine Piranhas verfüttert“ oder: „Björn Höcke hat den dressierten Uhu von Sawsan Chebli gnadenlos mit Volksmusik gefoltert“ ausspuckt. An solchen Formen von Ironie und subversivem Humor beißt sich auch der moralisch-ideologische Rigorismus eines Hajo Funke („Höcke will den Bürgerkrieg“) oder des „Volksverpetzers“ die Zähne aus.     

In Summe ist die Person Björn Höcke am Ende auch weniger entscheidend für den Entschluss vieler Thüringer, am Sonntag die AfD zu wählen, als der eigene Alltag mit den eigenen Erfahrungen und den eigenen Sorgen und Nöten. Es sind die kleinen Ungerechtigkeiten, deren Zeuge man im täglichen Leben wird, das Unverständnis über die Werthaltungen und Prioritäten der etablierten Politik und der Leitmedien, die sich nicht mit den eigenen decken, aber auch das Angewidertsein von der Arroganz weiter Teile des politisch-medialen Komplexes, die die Gewissheit reifen lassen, dass eine weitere Stärkung dieser Politik die Situation nur verschlechtern würde.

Ein Stadtrat der AfD in Gera, erklärt den Erfolg seiner Partei gegenüber der „Welt“ so:

Wir geben denen eine politische Stimme, die von der bisherigen Politik benachteiligt werden.“

Erfolge überschattet durch Erfahrungen der Nachwendeära

Er als Arzt müsse „tagtäglich viele Ungerechtigkeiten für unsere alten und auch die kranken Mitbürger sehen“. Seine Partei bringe sich ein, so sagt er, „für Verbesserungen bei denen, die keine eigene Kraft mehr haben, dagegen anzukämpfen“. Sein CDU-Kollege bestätigt, dass die AfD offen ausspreche, „was Menschen in privaten Diskussionen als Unmut äußern“. Landtags-Vizepräsidentin Margit Jung (Die Linke) weist auf die Nachwendeerfahrungen vieler Ostdeutscher hin:

Wer kann sich im Westen schon vorstellen, wie es 1990 war, wenn alles um einen herum zusammenbricht, die bisherige Lebensleistung nichts mehr wert ist, obwohl man fleißig gearbeitet hat, und die Sorgen um die Zukunft in fast jeder Familie da waren?“   

Allerdings sei die AfD „gefährlich“ und spiele nur mit den Sorgen der Menschen, ohne Lösungen anzubieten, ist man sich in Linkspartei und CDU einig.

Thüringen ist nicht mehr das abgehängte Armenhaus, das es – ähnlich wie andere ostdeutsche Bundesländer – noch über Jahrzehnte hinweg nach der Wende war. Die Arbeitslosenrate ist gegenüber den 2000er Jahren drastisch gesunken, seit 2013 sind die Einkommen um 19 Prozent gestiegen. Die Hochschulen gelten als hochwertig und das Wirtschaftswachstum bewegte sich in den vergangenen Jahren fast im Gleichschritt mit jenem in Gesamtdeutschland. Im Bildungsmonitor der INSM liegt Thüringen allen Ideologisierungsversuchen des Schulwesens, wie sie mit Linkskoalitionen üblicherweise verbunden sind, zum Trotz immer noch auf Platz 3.

Das alles hatte jedoch seinen Preis – und die Erfahrungen der Jahre zuvor haben sich in das kollektive Bewusstsein eingebrannt. Die Zahl der Stellen insgesamt ist kaum gestiegen, es ist lediglich durch Abwanderung, Überalterung und fehlenden Nachwuchs die Zahl der Bewerber geringer geworden.

Nicht mehr arm, aber weiter gefährdet

Zwar kommt, wie die „Welt“ mithilfe des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) eruierte, fast ein Drittel aller ostdeutschen Digitalisierungspatente aus Thüringen, bezogen auf die Gesamtbevölkerung ist der Anteil des Freistaates aber weiterhin unterdurchschnittlich. Gemessen an den 1990er Jahren ist die Zahl der Einwohner im Freistaat um 17 Prozent zurückgegangen, nur in Sachsen-Anhalt (22 Prozent) ist der personelle Aderlass noch größer gewesen. Die Landkreise Suhl, Altenburger Land, Greiz, Gera und Saalfeld-Rudolstadt gehören zu den Top 10 bezüglich des höchsten Durchschnittsalters in der gesamten Republik.

Auf 10 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte kamen, so berichtet die „Welt“ weiter unter Berufung auf die KfW Bankengruppe, zwischen 2016 und 2018 lediglich 74 Gründer – in Berlin waren es im gleichen Zeitraum 193. Zudem sei Thüringen zwar nicht mehr arm, aber immer noch armutsgefährdet, dies gilt insbesondere für 43,6 Prozent der Einpersonenhaushalte im Freistaat.

Es ist demnach immer noch eine Gemengelage, die die Bereitschaft der Bevölkerung, Prestigeprojekte wie die großzügige Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin im Jahr 2015 oder die für öffentliche wie private Haushalte kostspielige Energiewende bereitwillig mitzutragen, begrenzt. Zudem lassen Alltagssorgen, wie sie die Thüringer kennen, immer noch wenig Spielraum übrig, um rund um die Uhr imaginäre „Nazis“ zu bekämpfen.

Dies könnte am Sonntagabend zur Folge haben, dass die „radikalen Ostparteien“ Linke und AfD zusammen auf mehr als 50 Prozent kommen – und die Grünen mit der Ernüchterung eines einstelligen Ergebnisses rechnen können. 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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