Historisch hohe Inflation bringt die Hüter des Euro in die Bredouille

Die Preislawine rollt. Eigentlich müsste die Europäische Zentralbank rasch die Zinsen erhöhen. Doch dies würde die Konjunktur in einer unsicheren Zeit belasten – und hoch verschuldete EU-Staaten wie Italien unter erheblichen Druck setzen.
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EZB-Gebäude in Frankfurt am Main.Foto: iStock
Von 17. April 2022


An der Zapfsäule, aber auch im Supermarkt bekommen die Verbraucher die deutlich gestiegenen Preise immer stärker zu spüren: Der Liter Diesel oder Benzin kostet 2 Euro, eine Packung Butter hat sich binnen Jahresfrist um gut 20 Prozent erhöht. Zweistellige Preissteigerungen auch für Gurken, Tomaten, Sonnenblumenöl oder Mehl wiegen schwer im Portemonnaie. 

Mit 7,3 Prozent war die Inflationsrate in Deutschland im März so hoch wie seit vierzig Jahren nicht mehr. In einigen Euroländern gibt es mittlerweile sogar zweistellige Teuerungsraten, etwa in den baltischen Staaten mit 11,2 (Lettland) bis 15,6 Prozent (Litauen), aber auch in den Niederlanden mit 11,9 Prozent. Die Preise für Unternehmen sind noch weitaus stärker gestiegen als die Preise für Verbraucher. 

Die Entwertung der gewerblichen Erzeugerpreise liegt hierzulande mittlerweile bei 25,9 Prozent – der höchste Wert seit Bestehen der Bundesrepublik. Zum Vergleich: Selbst beim Ölpreisschock in den 70er-Jahren lag die Erzeugerpreis-Inflation in Deutschland bei „nur“ 14,6 Prozent. Dies bedeutet: Ein großer Teil der Teuerung ist noch gar nicht bei den Verbrauchern angekommen, sondern rollt gerade auf sie zu.

„Die Inflation ist da und wird auch bleiben“

Viele Bundesbürger können mit Blick auf solche Preissprünge selbst ihre täglichen Ausgaben kaum noch bezahlen. Einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschers Yougov im Auftrag der Postbank räumte dies jeder siebte Deutsche ein. In absoluten Zahlen sind dies gut 10,4 Millionen Menschen – ein Drittel mehr als im Januar.

„Die Inflation ist da und wird auch bleiben“, prognostiziert der frühere Chef des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. Seine Forderung ist unmissverständlich: „Die Europäische Zentralbank muss reagieren, sträubt sich aber, sie hat die Kontrolle über das Preisniveau verloren.“ 

Derweil trifft die Geldentwertung die Sparer gleich doppelt. Zu den historisch hohen Inflationsraten gesellt sich nämlich die Tatsache, dass es keine Zinsen mehr auf dem Spar- oder Tagesgeldkonto gibt. Ein negativer Einlagezins von −0,5 Prozent mutet angesichts der aktuellen Teuerung grotesk an: Wer heute ein Höchstmaß an Sicherheit will, muss dafür bezahlen – mit einem schleichenden Verlust des Ersparten. 

Berechnungen der DZ Bank ergaben bereits im vergangenen Herbst, dass Einlagen, Rentenpapiere und Versicherungen 2021 um durchschnittlich 2,3 Prozent entwertet wurden. Den dadurch entstehenden Kaufkraftverlust beziffern die Experten auf 116 Milliarden Euro – oder rund 1.400 Euro pro Kopf. Würde die Inflation auf dem aktuellen Niveau von 7,3 Prozent verharren, würde die Kaufkraft bereits nach zehn Jahren um fast die Hälfte sinken.

Gefährliche Lohn-Preis-Spirale droht

So schlüssig die Argumente für ein entschiedenes Einschreiten der Europäischen Zentralbank in Form höherer Zinsen nachzuvollziehen sind – das Direktorium um EZB-Chefin Christine Lagarde steckt in einer Zwickmühle. Tritt man nicht auf die Bremse, könnten die Inflationserwartungen der Bürger weiter steigen und den Preisauftrieb zusätzlich anheizen. Dies wiederum dürfte die Gewerkschaften dazu veranlassen, deutlich höhere Löhne als Ausgleich zu fordern – und eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen.

Zudem könnte ein solcher Schritt eine Wirtschaftskrise auslösen. Schon jetzt lastet der Krieg in der Ukraine auf der Konjunktur, insbesondere in Ländern, die stark von russischem Gas abhängen. Italiens Schulden etwa liegen derzeit bei rund 150 Prozent der Wirtschaftsleistung. Eine hohe Inflation würde diesen Wert schneller abschmelzen lassen als ursprünglich geplant. Müsste der Stiefelstaat Gas rationieren, rechnet Rom in diesem Jahr nur noch mit einem Miniwachstum von 0,6 Prozent. 

Für Griechenland steht noch mehr auf dem Spiel. Hellas knabbert als Folge der Finanzkrise an einer Verschuldung von 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auch für Spanien und Portugal wäre ein konsequenter Schuldenabbau die Voraussetzung dafür, Krisen aus eigener Kraft gegensteuern zu können. Gelingt Ihnen dies nicht, wäre selbst eine Pleite einer oder gar mehrerer dieser Staaten möglich. Die Folgen für die gesamte EU wären gravierend.

Bislang kauft die Europäische Zentralbank deren Schuldpapiere auf, um – gepaart mit ultraniedrigen Zinsen – die Kreditkosten auf Rekordtiefs zu halten. Würden die Hüter des Euros genau in dieser neuralgischen Situation den Geldhahn zudrehen, wären diese Staaten nicht mehr in der Lage, einige oder alle ihrer Kreditverpflichtungen rechtzeitig zu erfüllen und würden Gefahr laufen, den Zugang zu den Finanzmärkten zu verlieren.

Fragt sich, wie die EZB die immense Staatsverschuldung stabilisieren und zugleich die ausufernden Preise im Zaum halten kann. Es scheint, als habe sie nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. 



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