Auf App umgestellt: Rewe stellt Werbeprospekte ein

Wo die Menschen ihre Tomaten oder ihre Seife kaufen, das hat sich viele Jahre auch anhand von Werbeprospekten entschieden. Aber digitale Werbung wird immer wichtiger.
Durch den Verzicht auf Werbeprospekte spart Rewe nach eigenen Angaben jährlich mehr als 73.000 Tonnen Papier und 70.000 Tonnen CO2 ein.
Durch den Verzicht auf Werbeprospekte spart Rewe nach eigenen Angaben jährlich mehr als 73.000 Tonnen Papier und 70.000 Tonnen CO2 ein.Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Epoch Times23. Juni 2023

In dem einen Geschäft kostet ein Kilogramm Tomaten 3,96 Euro, im nächsten 99 Cent. Gerade in Zeiten hoher Inflation entscheidet der Preis bei vielen Verbrauchern über den Kauf. Einen guten Überblick bieten die Werbeprospekte der großen Einzelhändler.

Mehr als 28 Milliarden solcher Papierhefte landen jährlich in den Briefkästen deutscher Haushalte. Doch die einst allgegenwärtigen Handzettel der Supermärkte verabschieden sich nach und nach in den Ruhestand. Sonderangebote, Aktionen und Rabatte werden immer häufiger digital präsentiert.

Eine der großen Einzelhandelsketten steuert nun um: Von Samstag an verschickt Rewe keine Handzettel mehr – nach 80 Jahren der Prospekt-Tradition. Nach eigenen Angaben ist Rewe damit der erste deutsche Supermarkt, der die Handzettel einstellt. Aber auch andere Händler gingen den Schritt schon: Deutschlands größte Baumarktkette Obi verteilt bereits seit Juni 2022 keine Prospekte mehr.

Aus Gründen der Nachhaltigkeit

Bei Rewe habe der Verzicht auf die Papierhefte vor allem Nachhaltigkeitsgründe, sagte Rewe-Group-Vorstand Peter Maly. Wöchentlich habe Rewe etwa 25 Millionen Prospekte in Deutschland verteilt. Mit dem Abschied vom Handzettel spare das Unternehmen nach eigenen Angaben jährlich mehr als 73.000 Tonnen Papier, 70.000 Tonnen CO2 und 1,1 Millionen Tonnen Wasser ein.

Während viele Konsumentinnen und Konsumenten aufgrund der hohen Inflation sparen wollen, verschwindet mit dem Handzettel eine leichte Möglichkeit, Angebote einzuholen und Preise zu vergleichen. 80 Prozent aller prospektlesenden Kundinnen und Kunden, egal ob gedruckt oder digital, sind bereit, für ein Sonderangebot vom Stammgeschäft zum Geschäft mit Rabatten zu wechseln. Das geht aus einer GfK-Umfrage unter 1500 Konsumentinnen und Konsumenten hervor. Demnach identifizieren sich allerdings auch 13 bis 15 Prozent noch als Komplettverweigerer der digitalen Werbeanzeigen.

Geht vielleicht Kundschaft verloren?

Könnte durch den Verzicht auf gedruckte Prospekte nicht Kundschaft verloren gehen? Rewe-Group-Vorstand Peter Maly bleibt optimistisch. „Ich glaube eine gewisse Grundbefürchtung ist schon da, das ist auch richtig so“, sagte Maly. „Aber wir erreichen natürlich auch gerade ältere Kundschaft durch Tageszeitungen oder durch das Radio. Ich würde die digitale Befähigung der älteren Bevölkerung auch nicht unterschätzen“.

Kundinnen und Kunden sollen künftig über eine App, per WhatsApp oder im Newsletter erreicht werden. „Durch die Verknappung an den Hausfluren, wo ja auch immer mehr verboten wird, Werbung einzuschmeißen, konnten wir sowieso schon viele nicht mehr erreichen“, sagt Maly. Andere Supermarktketten setzen derweil noch auf eine Mischform aus Papier und digital. Kaufland nutzt neben digitaler Werbung noch immer Prospekte. Es sei ein „wichtiger Kanal“, um Kundinnen und Kunden zu erreichen, sagte eine Sprecherin.

Auch der Discounter Aldi setzt auf ein Zusammenspiel aus App, Website und Magazin. „Formatanpassungen sind für uns ein gangbarer Weg, um auf die steigenden Papierpreise zu reagieren“, sagt ein Sprecher von Aldi Nord. „Wir gehen – auch aus Nachhaltigkeitsgründen – sehr bedacht mit den Seitenumfängen und der Auflage unseres Magazins um.“ Der Prospekt sei dennoch weiterhin ein reichweitenstarkes und populäres Medium.

„Es ist wie eine Sonntagslektüre“

„Eine mutige Entscheidung“, nennt Martin Fassnacht von der Wirtschaftsschule WHU in Düsseldorf das Einstellen der Prospekte. „Sie müssen bedenken, Deutschland ist ein relativ altes Land, global gesehen, und viele Menschen wollen momentan Geld sparen“, erzählt der Wirtschaftswissenschaftler. Besonders die ältere Generation greife noch auf die physische Variante der Angebotspräsentation zurück. „Es ist wie eine Sonntagslektüre – Sie nehmen die Prospekte in die Hand und vergleichen die Preise. Sie legen sie alle nebeneinander.“ Das beeinflusse ihre Kaufentscheidung.

Fassnacht glaubt, dass Rewe durch die Einstellung des Papierkatalogs Kunden verlieren könnte. „Das wird nicht sofort ausgeglichen werden können. Mittel- und langfristig vielleicht, aber nicht sofort“, sagt er. Sollte der Übergang von der Papier- zur digitalen Werbung nicht gelingen und die modernen Werbewege die Kundinnen und Kunden nicht überzeugen, könnten tragende Aktionen und Kaufanlass-Tage wie Ostern oder Silvester verloren gehen.

Dass beim Lebensmitteleinzelhandel ein großer Nachholbedarf bei der Digitalisierung besteht, sei keine neue Erkenntnis, sagt E-Commerce Experte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein. Es hapere eher an der Umsetzung. Digitale Werbung könne effizient und einfach sein. Doch die Unternehmen müssen dazu eben auch die Daten der Kundinnen und Kunden einsammeln. „Die Älteren werden auch digitaler“, sagt Heinemann. Allein aus Klima- und Kostengründen sei diese Umstellung erforderlich. Doch auch Heinemann bleibt skeptisch: „Wenn das klappt, kommt das beinahe einer Revolution gleich.“ (dpa)



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion