Baubranche warnt vor Kollaps und fordert dringende Maßnahmen

Am kommenden Montag treffen sich Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesbauministerin Klara Geywitz zu einem Wohnungsgipfel, um Lösungen für die Wohnungsnot zu diskutieren. Die Branche warnt vor einem drohenden Zusammenbruch des Bausektors und hofft auf entscheidende Maßnahmen beim Wohnungsgipfel. Hinter den Kulissen der Branche brodelt es derweil kräftig.
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Kann der Gipfel im Kanzleramt den drohenden „Kollaps" der Baubranche verhindern?Foto: Daniel Reinhardt/dpa
Von 24. September 2023

Am kommenden Montag haben Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesbauministerin Klara Geywitz (beide SPD) zum Wohnungsgipfel in das Kanzleramt geladen.

Bei diesem Spitzentreffen soll es vor allem um das Thema „bezahlbarer Wohnraum“ gehen. Montagnachmittag, so die bisherige Planung, wollen sich sowohl Scholz als auch Geywitz zur Lage der Branche äußern.

Wie das Finanzportal „Onvista“ berichtet, plant die Bundesregierung weniger strenge Vorgaben für Neubauten. So solle der sogenannte EH-40-Standard zur Dämmung von Häusern zeitlich befristet ausgesetzt werden, vermutlich bis zum Ende der Amtszeit der Ampelkoalition Ende 2025. Außerdem ist ein neues Förderprogramm mit zinsgünstigen Baukrediten für Familien geplant. Die Regierung aus SPD, Grünen und FDP hatte zuletzt bereits bessere Abschreibungsmöglichkeiten auf den Weg gebracht. Das Finanzportal beruft sich hierbei auf Informationen eines Insiders.

Baubranche geriet mit Zinserhöhungen ins Schlingern

Seit dem Anstieg der Zinsen im vergangenen Jahr hat sich die Situation in der Baubranche maßgeblich verändert. Zwar stiegen die Baukosten schon in den vergangenen Jahren immer weiter nach oben. Durch die niedrigen Zinsen waren aber trotzdem viele Familien in der Lage, sich ihren Traum vom eigenen Heim zu erfüllen. Seit Mitte 2022 ist damit aber Schluss.

Die Notenbanken begannen wegen der alarmierenden Inflation den Leitzins nach und nach zu erhöhen. Statt eine Immobilie für einen Zinssatz zwischen ein und zwei Prozent zu finanzieren, waren nun ganz schnell mal vier Prozent fällig. Die Nachfrage sank, Projektentwickler verschoben Aufträge oder zogen sich ganz aus Projekten zurück. Das schlug sich schnell auf die Baubranche nieder, die plötzlich mächtig ins Schlingern kam.

Jährlich 400.000 neue Wohnungen unerreichbar

Seit Monaten schlägt die Branche deshalb Alarm in Richtung Berlin und fordert Lösungen. Der große Wurf der Ampel blieb bisher aber aus. Deshalb schaut die gesamte Baubranche nun gespannt auf den Gipfel am Montag. Bezahlbarer Wohnraum wird dringend gebraucht und eigentlich hatte die Ampel im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass sie pro Jahr 400.000 neue Wohnungen bauen möchte. Dieses Ziel hat sie bisher nicht ansatzweise erreicht.

Insgesamt waren im vergangenen Jahr rund 293.000 Wohnungen fertiggestellt worden, gegenüber 2020 war das ein Rückgang um rund vier Prozent. Aktuell verlangsamt sich der Wohnungsbau weiter.

Im August berichteten 20,7 Prozent der Firmen von abgesagten Projekten, nach 18,9 Prozent im Vormonat. Das geht aus Umfragen des ifo Instituts in München hervor. „Die Stornierungen im Wohnungsbau türmen sich zu einem neuen Höchststand auf. Seit Beginn der Erhebung 1991 haben wir noch nichts Vergleichbares beobachtet. Die Verunsicherung im Markt ist riesig“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo-Umfragen. Gründe seien die explodierenden Preise für Material und Energie, steigende Kreditzinsen und Lieferengpässe.

Deutschland braucht einen echten Schub

Deutschland steuere mit zunehmender Geschwindigkeit auf einen „Crash der Baubranche“ zu, warnt Handwerkspräsident Jörg Dittrich. Es sei unverständlich, warum die Bundesregierung nicht längst aktiv geworden sei.

Vor dem geplanten Gipfel fordert die Baubranche und die Gewerkschaft IG-Bau massive Hilfe ein. „Was wir jetzt brauchen, ist ein echter Schub, damit der Wohnungsbau nicht kollabiert“, sagte IG-Bau-Gewerkschaftschef Robert Feiger der „Augsburger Allgemeinen“. „Die Menschen erwarten einen Wohnungsbau-Wumms“, erklärte der Geschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB), Felix Pakleppa.

Pakleppa setzt große Hoffnungen auf den Wohnungsgipfel im Kanzleramt. „Noch nie hat ein ganzer Wirtschaftszweig so gespannt auf einen Termin im politischen Berlin geschaut“, sagt er. „Das Treffen wird die Realitätsprobe für die Wohnungsbaupolitik der Regierung.“

Zwei große Verbände kommen nicht zum Gipfel

Nicht jeder Verband teilt allerdings die Hoffnungen Pakleppas. Vor dem Zusammentreffen rumorte es in der Branche deshalb kräftig. Zwei wichtige Verbände haben wenige Tage vor Beginn ihre Teilnahmen sogar abgesagt. Weder der Bundesverband deutsche Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) noch der Eigentümerverband Haus & Grund werden zum Treffen am Montag erscheinen.

Angesichts der „dramatischen Situation“ könne es nicht sein, dass in aller Eile bei einem – in erster Linie öffentlichkeitswirksamen Termin – wieder nur ein Paket mit kleinteiligen Maßnahmen präsentiert werde, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung. Die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft als ausführende Akteure hätten nicht grundsätzlich mitwirken können.

Im „Handelsblatt“ macht auch Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB), deutlich, dass mehr passieren muss. „Wenn Kanzler Olaf Scholz wirklich für bezahlbaren Wohnraum sorgen möchte, dann braucht es ein deutlich höheres finanzielles Engagement als bisher“, so Müller. Man dürfe sich jetzt nicht in Diskussionen um Einzelmaßnahmen verlieren.

Drei Punkte sind der Branche wichtig

Drei Punkte sind der Branche wichtig und sie hofft, dass der Kanzler und seine Bauministerin sich am Montag den Forderungen nicht verschließen.

Erstens fordern sie mehr Fördermittel für den Neubau von Immobilien und geringere Energiestandards. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hat seit März 2023 Fördermittel für den klimafreundlichen Neubau (KFN) und zusätzlich für Wohneigentum für Familien (WEF) mit einem Einkommen bis 60.000 Euro pro Jahr bereitgestellt. Die bisherigen Konditionen haben jedoch nur 212 Familien deutschlandweit angezogen, was zu Forderungen nach Anpassungen führt.

Handwerksverbände und Experten fordern weiter eine Anhebung der Einkommensgrenze auf 90.000 Euro pro Jahr für Familien mit einem Kind – plus 15.000 Euro pro weiterem Kind. Die Forderung nach einer Aufstockung der Fördermittel für klimafreundlichen Neubau wird von verschiedenen Seiten unterstützt.

Die Bindung der Förderprogramme an den strengen Energiestandard EH40 wird infrage gestellt, da EH55 als ausreichend angesehen wird und Kosten sparen könnte.
Einige Experten betonen, dass das eigentliche Problem die hohen Kosten für Dämmstandards sind.

Weiter sollen Unternehmen unterstützt werden. Es wird diskutiert, Investitionszuschüsse für öffentliche Unternehmen bereitzustellen und die Mehrwertsteuer für Baustoffe und Dienstleistungen von 19 auf 7 Prozent zu senken. Die Bauindustrie fordert eigenkapitalunterstützende Darlehen für private Unternehmen, da niedrigere Zinsen allein oft nicht ausreichen.

Drittens wird vorgeschlagen, die Baunebenkosten wie die Grunderwerbsteuer zu senken oder zu stunden, um private Bauherren zu entlasten.

Nicht weiter Zeit ins Land ziehen lassen

Handwerkspräsident Dittrich fordert, der Wohnungsgipfel müsse zu einem „Baukrisengipfel“ ausgeweitet werden: „Neben dem Kanzler und der Bauministerin gehören auch der Wirtschafts- und Finanzminister mit an den Tisch, damit nicht weiter Zeit ins Land geht, sondern sofort ein bremswirkendes Maßnahmenpaket unmittelbar beschlossen werden kann.“

Ob die Politik inzwischen den Ernst der Lage erkannt hat, das bleibt abzuwarten. So hatte die Wohnungswirtschaft beispielsweise im vergangenen bei einem ähnlichen Gipfel darauf hingewiesen, dass der Bau von 400.000 Wohnungen für 2023 völlig unrealistisch ist. Nach der Runde verkündeten Scholz und Geywitz allerdings, dass man an dem Ziel festhalten wolle. Sehr zum Ärger der Wohnungswirtschaft, die danach von „aktiver Wahrnehmungsverweigerung“ sprach. Es bleibt abzuwarten, ob die Regierung ein Jahr später in der Realität angekommen ist.



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