Bauprojekte in Schieflage durch Tunnelblick und Selbstüberschätzung der Entscheider

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Millionengrab Hamburger Elbphilharmonie im Mai 2013. Baubeginn 2007, geplante Eröffnung 2017, Kostensteigerung bisher von 272 Millionen Euro auf 789 Millionen Euro Steuergelder.Foto: Joern Pollex/Getty Images
Epoch Times8. April 2015

Hat man bisher geglaubt, dass verborgene Korruption und Schlamperei besonders große Bauprojekte leicht ins Schleudern bringt, so haben Wissenschaftler der  TU Darmstadt  jetzt in einer Studie auch Fehleinschätzungen bei Entscheidungen der Verantwortlichen als Ursache für Kosten- und Zeitplanüberschreitungen ausgemacht. Sind jahrelange Verzögerungen bei Stuttgart 21, BER Flughafen und Hamburger Elbphilharmonie – um nur einige noch im Bau befindliche (Prestige-) Projekte zu nennen – damit erklärt? Zumal dort viele Entscheidungen politisch motiviert sind?  

Gestörte Wahrnehmung der Realität

Mit ihren Testfragen erfassten die Wissenschaftler erstmals für die Immobilienbranche unbewusste kognitive Verzerrungen in der Realitätswahrnehmung und beim Entscheidungsverhalten der Akteure.

In der Studie gewannen die Wissenschaftler Erkenntnisse zum Fachwissen, aber auch darüber, für wie fähig die Probanden sich selbst im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen hielten und für wie wahrscheinlich sie den zukünftigen positiven Verlauf und die Risiken von Projekten hielten.

Die Alarmglocken müssten läuten

Besonders kritisch: Auch langjährige Erfahrung schützt nicht vor Selbstüberschätzung oder Überoptimismus – im Gegenteil. Zu verdanken sind diese aufsehenerregenden Ergebnisse Professor Andreas Pfnür und Diplomwirtschaftsingenieur Kevin Meyer vom Fachgebiet Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre.

Sie untersuchten keine aktuellen Bauprojekte in Schieflage, sondern im Verhalten vorhandene Tendenzen, die als wichtige Ursache für das Scheitern von Projekten in Frage kommen – neben ungeeigneten Verträgen, mangelnder Qualifikation der Beteiligten oder schlechter Prozessorganisation. „Bislang gab es keine wissenschaftlich fundierte Untersuchung der kognitiven Verzerrungen in der Immobilienbranche“, sagt Andreas Pfnür. „Selektive Wahrnehmungen, die in Projekten zum Tragen kommen, wurden bislang in der Immobilienwirtschaft nicht diskutiert.“

Damit einher ging auch die Bereitschaft zum „eskalierenden Commitment“: 98 Prozent der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer gaben an, ein von ihnen verantwortetes und in Schieflage geratenes Projekt finanziell zu stützen. Sie würden zusätzliches Kapital einschießen, obwohl fast die Hälfte davon ausging, dass ein solches Projekt sich nicht positiv entwickeln würde.

Volles Risiko fürs Prestigeprojekt – Fehlplanungen zahlt der Steuerzahler

Die Studie zeigte: Projektmanagerinnen und -manager aus der öffentlichen Hand zeigen mit Abstand die größten kognitiven Verzerrungen. Die Entscheidungsträgerinnen und -träger in Bauunternehmen urteilen und entscheiden dementgegen deutlich rationaler.

Pfnür erklärt, warum: „In Verwaltung und Politik werden Entscheider massiv daran gemessen, ob ein Prestigeprojekt verwirklicht werden kann. Daher sind die Manager bereit, deutlich höhere Risiken einzugehen – oder sie verdrängen sie.“ Was Pfnür nicht erwähnte, ist die Tatsache, dass es hier keine mit ihrem Vermögen persönlich haftenden Gesellschafter gibt. Der Steuerzahler muss für alle Fehlentscheidungen herhalten.  

In Bauunternehmen, bei denen Immobilienprojekte zum Tagesgeschäft gehörten, seien die Entscheider emotional nicht so stark involviert und die Anreize etwas anders gelagert: „Die Unternehmen wollen Geld verdienen, und wenn das Projekt gegen die Wand fährt, zahlt der Auftraggeber nicht.“

Der „Tunnelblick“

Dabei spielt es keine Rolle, wie erfahren die Projektführenden sind. Erfahrung entpuppte sich in der Studie als Fluch und Segen. Sie erhöhte die Genauigkeit bei der Entscheidungsfindung, führte aber auch dazu, dass die Probanden Risiken unterschätzten.

Habe jemand im Verlauf seines Berufslebens bereits viele Entscheidungen getroffen und Erfahrungen gesammelt, sei sein Bild der Abläufe in der Branche geprägt und die Offenheit für neue Informationen oder das Unerwartete nehme ab, erläutert Pfnür. Es entwickele sich ein „Tunnelblick“. „Je mehr Berufserfahrung, je mehr Fachwissen, je höher in der Hierarchie, desto größer die Neigung, sich zu überschätzen.“

Entscheidungen prinzipiell nicht alleine treffen

Das Thema Projektentwicklung ist im Fachgebiet Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre ein Schwerpunkt. Hier werden die Interaktionen zwischen Beteiligten untersucht. In diese Richtung geht auch die Studie zur kognitiven Verzerrung.

Die Wissenschaftler leiten aus ihren Ergebnissen verschiedene Empfehlungen ab: Akteure des Baugeschäfts sollten sich bewusst werden, dass sie ihre Entscheidungen nicht immer rational treffen und sie dahingehend hinterfragen. Hilfreich sei es auch, Entscheidungen prinzipiell nicht alleine zu treffen, sondern auch der Sichtweise von jüngeren und weniger berufserfahrenen Projektbeteiligten systematisch Raum zu geben.

Handlungsbedarf sei durchaus gegeben, so Pfnür: „Die Verzerrungen in der Wahrnehmung der Entscheidungssituation und deren Auswirkungen auf das Verhalten sind deutlicher als wir dachten.“

Für ihre Studie „Kognitiv verzerrte Entscheidungen als Ursache für Ineffizienzen in der Immobilienprojektentwicklung“ befragten Professor Andreas Pfnür und Diplomwirtschaftsingenieur Kevin Meyer vom Fachgebiet Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre des Fachbereichs Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der TU Darmstadt  240 Manager der Immobilienbranche. Unter den Probanden waren Vertreter des Finanzsektors, Dienstleister aus der Immobilienwirtschaft, Bauunternehmen und Akteure der öffentlichen Hand und von Unternehmen, die ihre Bauprojekte in Eigenregie realisieren. Die Studie entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut der Deutschen Immobilienwirtschaft e. V. und dem Bundesverband Public Private Partnership.

(rls/Silke Paradowski /idw)



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