„Dramatischer Niedergang“ – Immer mehr Traditionsgeschäfte geben auf

Fachhändler, kleine Läden, Geschäfte mit individuellen Angeboten. In den Ladenzeilen der Innenstädte finden sich in verwaisten Schaufenstern immer öfter „Zu vermieten“-Schilder. Der inhabergeführte Fachhandel kämpft ums Überleben, immer mehr Betriebe müssen aufgeben. Derweil breiten sich auch in den Innenstädten zunehmend große Handelsketten aus.
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Insolvenzwelle im Einzelhandel: Verödung der Innenstädte?Foto: iStock, Axel Bueckert
Von 28. August 2023


Ladensterben: In den deutschen Innenstädten müssen immer mehr traditionsreiche kleine und mittelständische Geschäfte schließen. Was viele in den letzten Jahren beobachtet haben, geht jetzt auch aus den Daten des Handelsverbandes Deutschland (HDE) hervor. Demnach ist der Umsatzanteil der selbstständigen Fachhändler im vergangenen Jahr auf 13,3 Prozent geschrumpft, im Jahr zuvor waren es noch 13,9 Prozent. In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Anteil des sogenannten „nicht-filialisierten Fachhandels“ – also der klassischen, häufig inhabergeführten Fachgeschäfte wie Schreibwarenläden, Herrenausstatter, Boutiquen oder Schuhläden – mehr als halbiert.

Akute Gefahr für über Generationen familiengeführte Betriebe

„Wir beobachten insbesondere bei kleineren Handelsunternehmen einen teils dramatischen Niedergang“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des HDE, Stefan Genth, gegenüber „Merkur“. Besonders in klein- und mittelgroßen Städten seien „über Generationen familiengeführte Betriebe in akuter Gefahr“. Keine guten Nachrichten auch für das laufende Jahr: Der Anteil des Fachhandels könne im Jahr 2023 erstmals seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 2002 unter die Marke von 13 Prozent fallen, sagte Genth.

Im August 2022 bemängelte Genth in einem „Deutschlandfunk“-Interview, dass die Konsumstimmung im Keller sei, und zwar bei allen Einkommensklassen. Nach zwei Jahren Krisen seien viele Menschen verunsichert und würden sich zurückhalten. Menschen würden insgesamt günstiger einkaufen, das gelte auch für Lebensmittel. Längerfristige Anschaffungen würden zurückgestellt. Mittelständler hingegen müssten mit Kostensteigerungen rechnen.

In der Monatsausgabe des vom HDE herausgegebenen „Konsumbarometers“ wird die wirtschaftliche Lageentwicklung folgendermaßen beziffert: „In den ersten vier Monaten dieses Jahres gab es laut der amtlichen Insolvenzstatistik insgesamt 5.545 Unternehmensinsolvenzen. Dies ist ein Anstieg um 17,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.“

Als „Normalisierung“ zu betrachten: Höchstwert der Konkurse seit 2016

Laut dem „Insolvenztrend“ vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) stieg die Zahl der Konkurse von Personen- und Kapitalgesellschaften im Juni auf den höchsten Wert seit 2016. Mit insgesamt 1.050 war die Zahl im Juni um 48 Prozent höher als im Vorjahresmonat und lag um elf Prozent über dem Juni-Durchschnittswert der Jahre 2016 bis 2019 – also vor der Corona-Zeit mit ihren Maßnahmen, die für etliche Unternehmen große finanzielle Verluste bedeuteten.

Während der HDE Alarm schlägt, sieht Christoph Niering, Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID), „trotz deutlichem Anstieg der Unternehmensinsolvenzen […] nicht die vielfach erwähnte Insolvenzwelle“. Das Insolvenzgeschehen sei in der Pandemie von staatlicher Seite deutlich abgemildert worden, nun sei vor allem „eine Normalisierung“ zu beobachten.

Die Bundesregierung hatte Insolvenzantragspflichten in der Corona-Pandemie teilweise ausgesetzt, um eine Pleitewelle zu verhindern. Zusätzlich hatten Staatshilfen die Zahl der Firmeninsolvenzen in den vergangenen Jahren auf ein niedriges Niveau gedrückt. Für das laufende Jahr wird ein Anstieg erwartet, auch weil für viele Betriebe die Rückzahlung von Corona-Hilfen bevorsteht.

Immer mehr große Handelsketten in Innenstädten

Gleichzeitig mit der Insolvenzwelle, besonders im inhabergeführten Einzelhandel, breiten sich große Handelsketten wie Drogeriemärkte und Bekleidungshändler in den Innenstädten weiter aus – genau dort, wo die Betreiber der Läden zunehmend ihre Mieten, Strom- und Personalkosten nicht mehr erbringen können und aufgeben müssen.

Diese Entwicklung spiegelt sich auch in deren Bilanzen wider, rechnet „Merkur“ vor: Der Umsatzanteil der Fachhandelsfilialisten wie H&M, Deichmann oder Douglas stieg zwischen 2002 und 2022 um 2,8 Prozentpunkte auf 14,9 Prozent. Auch Fachmarktketten wie beispielsweise MediaMarkt/Saturn, Bauhaus oder die Drogeriekette Rossmann verzeichneten Zuwachs im gleichen Zeitraum um 3,1 Punkte auf 16,6 Prozent. Bei Discountern wie Netto, Aldi oder Lidl stieg der Anteil um 3,9 Prozentpunkte auf 15,6 Prozent.

Dramatische Lage für den Einzelhandel

Auch der Onlinehandel boomt, Profiteure der Krise sind große Plattformen wie Amazon und Zalando. Mit etwa 631 Milliarden Euro wurden zuletzt 6,5 Prozent des gesamten Umsatzes im Onlinehandel erzielt.

Laut „Zahlenspiegel“ des HDE hat sich der Umsatzanteil des klassischen Einzelhandels hingegen seit 2022 praktisch halbiert. Besonders dramatisch sei die Lage für die kleineren, häufig traditionsreichen Betriebe, befürchtet Genth. Wegen der Krisen der vergangenen Jahre sei das Eigenkapital häufig aufgezehrt, an Investitionen oft nicht mehr zu denken.

Insgesamt dürften im laufenden Jahr 9.000 Geschäfte schließen. Für den Einzelhandel stehen jetzt 50.000 Jobs auf dem Spiel, warnt Genth.

In Deutschland erwirtschaften aktuell rund 300.000 Einzelhandelsunternehmen mit drei Millionen Beschäftigten an 450.000 Standorten einen jährlichen Umsatz von rund 540 Milliarden Euro.



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