EZB erhöht Leitzinsen erneut – Lagarde erwägt aber Zinspause

Zum neunten Mal binnen Jahresfrist erhöht die EZB die Zinsen. Nun könnte die Notenbank erstmals das Tempo rausnehmen.
Die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main.
Die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main.Foto: Arne Dedert/dpa
Epoch Times27. Juli 2023

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen ein weiteres Mal angehoben. EZB-Präsidentin Christine Lagarde erwog am Donnerstag jedoch, beim nächsten Termin gegebenenfalls eine Pause bei den Zinserhöhungen einzulegen. Aus Wirtschaft und Wissenschaft mehren sich die Rufe danach, es wird befürchtet, dass die Notenbank mit ihren Erhöhungen über das Ziel hinausschießen könnte.

Am Donnerstag beschloss der EZB-Rat aber zunächst eine Erhöhung der Leitzinssätze um jeweils 0,25 Prozentpunkte auf das nunmehr höchste Niveau seit Anfang 2001. Der zentrale Satz, zu dem Geschäftsbanken sich Geld bei der EZB leihen können, steigt auf 4,25 Prozent, der für Sparer wichtige Einlagenzins auf 3,75 Prozent und der Spitzenrefinanzierungssatz zur kurzfristigen Beschaffung von Geld auf 4,5 Prozent.

Die Inflation werde voraussichtlich „zu lange zu hoch bleiben“, erklärte die Bank zur Begründung. Im Juni hatte die Teuerungsrate in der Eurozone bei 5,5 Prozent gelegen und dürfte laut EZB weiter sinken. Das Zwei-Prozent-Ziel bleibe aber noch weit entfernt. Der EZB-Rat sei zugleich „entschlossen“, die Teuerung mittelfristig wieder auf das gewünschte Niveau zu bringen.

Lagarde kündigte anschließend jedoch an, mit einer „unvoreingenommenen Haltung“ an die nächsten Zinsentscheidungen im September und danach heranzugehen. Die verfügbaren wirtschaftlichen Daten würden darüber entscheiden, „ob wir die Zinsen erhöhen oder ob wir eine Pause machen werden“. Eine Zinssenkung in den kommenden Monaten schloss die EZB-Präsidentin aus.

Forderungen nach einer Zinspause nehmen zu

Wirtschaftswissenschaftler haben sich bereits für eine Zinspause ausgesprochen. Sie verwiesen auf die Folgen der hohen Zinsen wie die Probleme in der Baubranche und einen Rückgang der Firmenkreditvergabe. Sparkassenpräsident Helmut Schleweis lobte vor diesem Hintergrund, dass die EZB sich „mit kleinen Schritten vorantastet“. Künftig „sollte sie noch vorsichtiger sein“. Denn: Die bisherigen Zinsschritte zeigten bereits Wirkung. Bei den Preisen sei eine „Tendenz zur Beruhigung“ zu erkennen, es sei Zeit für eine Zinspause.

Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), erklärte, die Unternehmen hätten die erneute Leitzinserhöhung erwartet. Dieser Schritt sei notwendig und bei vielen Betrieben bereits eingepreist. „Jetzt geht es aber um die Frage, wie es weiter geht.“

Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) Kiel, Moritz Schularick, wurde deutlicher: Es spreche vieles dafür, „jetzt zunächst die realwirtschaftlichen Effekte abzuwarten und eine Pause einzulegen, um die Auswirkungen der Zinserhöhungen valide bewerten zu können“. Die Effekte seien inzwischen deutlich sichtbar: Der Immobilienmarkt sei eingebrochen und die Firmenkreditvergabe deutlich gefallen. „Die Wolken am Konjunkturhimmel verdunkeln sich“, erklärte er.

DIW-Präsident warnt vor Wohlstandsverlust durch hohe Zinsen

Schon vor der Entscheidung des EZB-Rates hatte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, gemahnt: „Das, was die EZB macht, kostet kurzfristig Wohlstand, kostet Einkommen von Menschen.“ Ein Beispiel dafür seien die aktuellen Probleme in der Baubranche wegen der hohen Zinsen, sagte er der Mediengruppe Bayern. „Die milde Rezession, die wir gerade durchlebt haben, geht jedenfalls letztlich auf die Zinspolitik der EZB zurück.“

Neben der Zinserhöhung beschloss der Rat der Zentralbank, die Mindestreserven künftig nicht mehr zu verzinsen. Dabei handelt es sich um Geld, dass die Banken bei der EZB hinterlegen müssen. Durch den Beschluss „bleibt die Wirksamkeit der Geldpolitik gewahrt“, erklärte die Zentralbank. Angesichts der hohen Zinsen war die Verzinsung der Mindestreserve zuletzt als „Subvention“ für Banken kritisiert worden.

Am Mittwoch hatte bereits die US-Notenbank Fed ihren Leitzins ebenfalls auf das höchste Niveau seit 2001 gesetzt. Im Juni hatten die US-Zentralbanker eine Pause bei ihren Zinserhöhungen eingelegt, nun stiegen die Leitzinssätze wieder um 0,25 Prozentpunkte auf 5,25 bis 5,5 Prozent. Wie es in den kommenden Monaten weitergehe, ließ Fed-Präsident Jerome Powell weitgehend offen: Die Bewertungen würden „von Sitzung zu Sitzung“ vorgenommen.

Kaufkraftverlust der Verbraucher

Höhere Teuerungsraten lassen die Kaufkraft der Menschen schwinden: Verbraucherinnen und Verbraucher können sich für ihr Geld weniger leisten. Sie treten beim Konsum auf die Bremse. Das belastet das Wirtschaftswachstum, für das der private Konsum eine wichtige Stütze ist. Auf der anderen Seite verteuern steigende Zinsen Kredite für Unternehmen, weshalb die eine oder andere Investition ausfallen könnte. Auch das bremst die Konjunktur.

Sparer profitieren nach jahrelanger Flaute von steigenden Zinsen für Tagesgeld und Co. Der Durchschnittszins bundesweit verfügbarer Tagesgeldangebote lag nach Berechnungen des Vergleichsportals Verivox zuletzt bei 1,31 Prozent (Stand 20. Juli 2023). Anfang August 2022 waren es nur 0,05 Prozent. Jedoch gibt es bei 141 von 738 ausgewerteten Geldhäusern den Angaben zufolge auf dem Tagesgeldkonto nach wie vor keine Zinsen.

Für Kreditnehmer wird es durch steigende Zinsen teurer, vor allem Bauherren bekommen das deutlich zu spüren. Seit Frühjahr 2022 sind die Zinsen für Baukredite in Deutschland, die sich an der Verzinsung von Bundesanleihen orientieren, der Bundesbank zufolge im historischen Vergleich unerwartet stark gestiegen. Die Analyse zeige, „dass die Banken in Deutschland den Zinssatz für Wohnungsbaukredite an private Haushalte seit Mai 2022 stärker angehoben haben als zu erwarten gewesen wäre“, hieß es im Bundesbank-Monatsbericht Juni. (afp/dpa/dl)



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