Familienunternehmer schlagen Alarm: EU lähmt sich selbst

Die Stiftung Familienunternehmen und Politik hat in einem Appell die EU-Kommission aufgefordert, endlich konkrete Schritte gegen überbordende Bürokratie und Berichtspflichten zu setzen. Diese seien ein wesentlicher Faktor zur Schwächung der Wirtschaft.
Die EU-Kommission will mit dem Abbau von Bürokratie, vereinfachter Besteuerung und neuen Maßnahmen gegen Zahlungsverzug kleine und mittlere Unternehmen entlasten.
Die EU-Kommission will mit dem Abbau von Bürokratie, vereinfachter Besteuerung und neuen Maßnahmen gegen Zahlungsverzug kleine und mittlere Unternehmen entlasten.Foto: Arne Immanuel Bänsch/dpa
Von 20. November 2023

In ihrer Herbstprognose hat die EU-Kommission am Mittwoch, 15. November, erneut ihre Wachstumserwartungen gesenkt. Ging man im Sommer noch von einem – ohnehin nicht exorbitanten – Plus von 0,8 Prozent für 2023 aus, ist jetzt nur noch von 0,6 Prozent die Rede. Auch für das kommende Jahr hat man die Prognose von 1,4 auf 1,3 Prozent nach unten korrigiert. Deutschland erreicht selbst diese Werte bei Weitem nicht. Neben einem generell ungünstigen weltpolitischen Umfeld tragen auch hausgemachte Faktoren zu der Misere bei. Einer davon ist die Bürokratie.

Bürokratie unter den zentralen Standortnachteilen

Erst kürzlich hatte der Verband European Round Table for Industry (ERT) in einem jüngst präsentierten „Visionspapier“ einen tiefgreifenden Bedeutungsverlust Europas diagnostiziert. Die Industrie sei nicht mehr wettbewerbsfähig, auch bei den Innovationen falle man deutlich hinter die USA und China zurück. Seit 15 Jahren lasse sich dieser Trend auch an den Wachstumszahlen ablesen.

Die Vielzahl der Standortnachteile, die sich zuungunsten der Wirtschaft in der EU auswirken, wird immer weniger überschaubar. Sie reicht von hohen Energiepreisen über Inflation und geringe Kaufkraft bis hin zu Überalterung und Innovationen hemmenden Vorschriften.

Ein ganz zentraler Nachteil sei aber vor allem die überbordende Bürokratie. Selbst aus der Ampelregierung war Ende August Kritik am Anteil Brüssels an der damit verbundenen Belastung von Unternehmen laut geworden.

Buschmann: Bürokratische Belastungen zu 57 Prozent Folge von EU-Recht

Die Bundesregierung hatte damals ein Bürokratieentlastungsgesetz auf den Weg gebracht, das die Wirtschaft um etwa 2,3 Milliarden Euro an geldwertem Aufwand entlasten sollte. Zwar will man gleichzeitig nicht von Vorgaben abweichen, wie sie das Lieferkettengesetz oder Nachweispflichten im Kontext von Exportförderungen geschaffen haben.

Dennoch wies Bundesjustizminister Marco Buschmann darauf hin, dass 57 Prozent der bürokratischen Belastungen von Unternehmen ihren Ursprung im EU-Recht hätten. Vor allem mit Frankreich zusammen wolle man sich deshalb auf europäischer Ebene um eine Entbürokratisierung bemühen.

Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sah es als erforderlich an, die „Regelungsdichte zu lichten“. In diesem Kontext wies auch er auf die entsprechenden Vorgaben auf europäischer Ebene hin.

Von der Leyen kündigt eigenen Beitrag zum Abbau von Bürokratie an

Zumindest ansatzweise scheint die Botschaft in Brüssel mittlerweile angekommen zu sein. Wie das „Handelsblatt“ berichtet, hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den früheren EZB-Präsidenten Mario Draghi mit der Erstellung eines Berichts beauftragt.

Er soll bis zum kommenden Sommer analysieren, wo die europäischen Wettbewerbsdefizite liegen. Draghi selbst hatte jüngst auf einer Konferenz der „Financial Times“ ein düsteres Bild gezeichnet. Demnach habe die EU-Wirtschaft in den vergangenen 20 Jahren dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Dies gelte „nicht nur gegenüber den Vereinigten Staaten, sondern auch gegenüber Japan, Südkorea und natürlich China“.

Die Fraktion der EVP wirft der Kommission vor, die Wirtschaftspolitik jahrelang vernachlässigt zu haben. Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher Markus Ferber forderte diesbezüglich „eine 180-Grad-Wende“. Von der Leyen soll im Oktober einige Vorschläge vorgelegt haben. So sollen die Berichtspflichten von Unternehmen um 25 Prozent gesenkt werden.

„Maßlose Regulierung“ immer noch der Regelfall

Die Stiftung Familienunternehmen und Politik bezeichnet diese Ankündigung zwar als ein „richtiges Signal“, der Umfang sei jedoch „homöopathisch“, die Umsetzung ungewiss. Auch deshalb hat die Stiftung nun einen Appell an die EU-Kommission verfasst. In diesem illustriert sie die Situation anhand einiger besonders drastischer Beispiele. In weiterer Folge fordert sie konkrete Schritte beim Bürokratieabbau.

Immer noch sei eine „maßlose Regulierung“ aus Brüssel der Regelfall, die Bürokratie verlange immer mehr an Berichten und erlasse stetig mehr an Vorschriften mit immer größerer Detailtiefe. Besonders im Bereich der Nachhaltigkeit, aber auch der Lieferkette seien die Anforderungen besonders belastend. Die Lieferketten-Berichtspflichten gingen sogar noch über das deutsche Ausmaß hinaus.

So müsse ein Familienunternehmen aus dem Bereich der Luftfahrt für 79 Gesellschaften jeweils 1.149 Datenpunkte bewerten und erfassen. Bereits das koste einmalig etwa fünf Millionen Euro. Dazu kämen die Kosten für Compliance-Beauftragte, Beratung und neue IT-Systeme. Aus der Stiftung heißt es dazu:

„Wir appellieren an die EU, diesen Kurs zu beenden und stärker auf marktwirtschaftliche Lösungen zu vertrauen.“

Konzernführungskräfte: 83 Prozent glauben nicht an Besserung

Der Unternehmerverband Conference Board hat mehr als 50 CEOs und Aufsichtsratschefs europäischer Konzerne zu dem Thema befragt. Auch dort gaben 86 Prozent an, dass die Regulierungswut und Bürokratie der EU in den kommenden Jahren die europäische Wettbewerbsfähigkeit empfindlich beeinträchtigen werde. 83 Prozent glauben auch nicht an eine Verbesserung der Situation.

Auch ERT-Präsident Martin Brudermüller sieht in der Regulierung das größte Risiko für die Wettbewerbsfähigkeit der EU. Kommission und EU-Parlament müssten dieses Thema in der kommenden Legislaturperiode zur Priorität machen.

In seinem „Visionspapier“ meint der ERT jedoch auch, dass die EU mehr Befugnisse brauche. Sie sei auf die vielen bürokratischen Detailregelungen angewiesen, weil sie über zu wenig an eigenen Haushaltsmitteln verfüge. Hätte sie mehr davon zur Verfügung, könne sie auch über Subventionen oder Steuererleichterungen Probleme lösen – wie die USA dies täten.

 



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