Geldpolitik: Begrenzter Spielraum für künftige EZB-Chefin Lagarde

Mario Draghi hat als EZB-Präsident Maßstäbe gesetzt. Bringt sein Abschied die Wende in der europäischen Geldpolitik? Zweifel sind angebracht.
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Christine Lagarde.Foto: JOHN THYS/AFP/Getty Images
Epoch Times3. Juli 2019

Christine Lagarde ist voll des Lobes: „Für mich sind Sie, die Zentralbanker, die Helden der Krise.“ Gut vier Jahre nach diesen Worten hat sich die derzeitige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Rennen um die Nachfolge von Mario Draghi an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) durchgesetzt.

Nach dem Willen der Staats- und Regierungschefs soll damit erstmals in der 20-jährigen Geschichte der EZB eine Frau und Nicht-Ökonomin an die Spitze der mächtigen Notenbank rücken.

Anders als die drei bisherigen EZB-Präsidenten war die Juristin und frühere französische Wirtschafts- und Finanzministerin auch nie Chefin einer nationalen Notenbank.

„Ich habe genug gesunden Menschenverstand, ich habe ein bisschen Wirtschaft studiert, aber ich bin keine supertolle Ökonomin“, sagte Lagarde vor einigen Jahren dem „Guardian“.

Der Spielraum für die 63-Jährige an der Spitze der EZB wäre nach acht Jahren Anti-Krisen-Kurs ohnehin begrenzt. Europas Währungshüter haben die großen Linien längst festgezurrt – zumindest auf absehbare Zeit. Womöglich legt die Notenbank wegen der schwächelnden Konjunktur sogar noch einmal nach.

„Wir sind weit entfernt von einer Normalisierung der Geldpolitik, weil die Welt weit entfernt von einer Normalisierung ist“, sagte Draghi Anfang Juni und wurde damit für einen Notenbanker ungewohnt deutlich. Internationale Handelskonflikte, Brexit, Italien – die Unsicherheiten sind groß.

Nicht einmal zwei Wochen nach seinen deutlichen Worten bewegte der Italiener mit der Aussicht auf mögliche „zusätzliche Stimuli“ wie erneute Anleihenkäufe die Märkte. Auch über eine Verschärfung des Strafzinses für Banken wird in Frankfurt nachgedacht.

Ein enges Korsett also für die mögliche künftige EZB-Präsidentin, die im November ihr Amt antreten würde. „Für welche Art der Geldpolitik Lagarde wirklich steht, kann derzeit niemand sagen“, sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt Deutschland der ING. Er hält eine Fortsetzung des geldpolitischen Kurses für wahrscheinlich.

Maßstäbe hatte Draghi mit seinem Machtwort aus dem Sommer 2012 gesetzt: „Whatever it takes.“ Die EZB werde „alles tun, um den Euro zu retten“, versprach der Italiener, als die Eurozone am Abgrund stand.

Während Politiker diskutierten, stabilisierte Draghi mit wenigen Worten den Währungsraum in der tiefsten Krise seiner jungen Geschichte.

Selbst Kritiker zollen Draghi Respekt für sein entschlossenes Handeln – auch wenn bis heute gestritten wird, ob die nicht demokratisch gewählte EZB unter Draghis Führung nicht doch ihre Kompetenzen überschritten hat.

So verhandelt das Bundesverfassungsgericht Ende Juli über das milliardenschweren Anleihenkaufprogramm der EZB – im Fachjargon „Quantitative Easing“ (QE) genannt.

Die gewaltige Summe von 2,6 Billionen Euro steckte die Notenbank bis Ende 2018 in Wertpapiere von Eurostaaten und Unternehmen – und will diese Gelder bis auf Weiteres in neue Anleihen investieren.

Ohne Zweifel: Die Notenbank hat ihren Werkzeugkasten in der Ära Draghi erheblich erweitert und wird die Instrumente so rasch nicht wieder aus der Hand geben.

„Zwar haben die EZB-Entscheider insbesondere bei den unkonventionellen Maßnahmen zum Teil sehr hart und ausgiebig diskutiert. Schlussendlich fielen aber in der Rückschau betrachtet nahezu alle Entscheidungen einstimmig“, konstatiert BayernLB-Analyst Stefan Kipar.

Auch angesichts der globalen Rahmenbedingungen sei zu erwarten, „dass die Nachbesetzung Draghis nicht zu einer spürbaren Änderung der Geldpolitik führen wird“.

Lagarde könnte als EZB-Präsidentin die geldpolitische Linie ohnehin nicht allein bestimmen. Die obersten Währungshüter haben im Entscheidungsgremium – dem EZB-Rat – ein einfaches Stimmrecht. Nur im Falle eines Patts gibt die Präsidenten-Stimme den Ausschlag.

Seit März 2016 ist der Leitzins im Euroraum auf dem Rekordtief von null Prozent eingefroren – zum Leidwesen von Millionen Sparern.

Seit Mitte Juni 2014 müssen Geschäftsbanken Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken, aktuell 0,4 Prozent – eine Milliardenbelastung für die Institute.

Irgendwann wird Draghis mögliche Nachfolgerin einen Ausstieg aus dem Dauerkrisenmodus finden und die Finanzmärkte geschickt darauf vorbereiten müssen – fragt sich nur, wann die EZB dazu bereit ist. (dpa)



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