Eine Finanzkrise, die uns alle angeht

Titelbild
Buchcover „Der größte Raubzug der Geschichte" von Matthias Weik und Marc Friedrich.Foto: Tectum Verlag
Von 5. Juli 2013

Matthias Weik und Marc Friedrich haben zusammen das Buch „Der größte Raubzug der Geschichte: Warum die Fleißigen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden“ geschrieben, das im Mai 2012 im kleinen Wissenschaftsverlag Tectum erschienen ist. Das Buch ist seit 11 Monaten in allen wichtigen Bestsellerlisten vertreten. So liegt es auf Platz 10 der Jahresbestsellerliste 2012 des „Spiegel“, Sparte Sachbuch, und im Manager Magazin war es dreimal auf Rang 1. Sie bezeichnen sich selbst als Ökonomen, Querdenker, Finanzexperten und nun auch Bestsellerautoren. Wir trafen sie in Berlin zu einem Gespräch.

ETD: Herr Friedrich, Herr Weik, was hat Sie eigentlich angetrieben, Ihr Buch zu schreiben? Und was haben Sie dabei für eine innere Botschaft?

Marc Friedrich: Für uns war das Buch ein Akt der Zivilcourage, um die Leute aufzuwecken und zu zeigen, dass hier was schief läuft. Wir wollen uns nicht anmaßen, dass wir die Lösung haben. Wir wollten einfach nur mal den Status quo aufzeigen und die vielen Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammenfügen, sodass es jeder verstehen kann und den Leuten zeigen, so geht’s nicht weiter.

Matthias Weik: Keiner von uns hat die Lösung und keiner weiß, wie`s weitergeht, aber wir wissen alle, dass es so nicht weitergeht. Unsere Intention war auch, die Leute aufzuwecken. Und je mehr Leute aufgeweckt sind und auf die Krise vorbreitet sind, desto milder wird der Aufprall. Was nützt es mir, wenn nur ich vorbereitet bin und um mich herum bricht alles zusammen und die Leute verlieren alles. Wenn die Gesellschaft oder ein großer Teil auf etwas, was kommt, vorbreitet wird, dann wird der Aufprall viel milder sein, als wenn – wie es in der Vergangenheit immer war – ein Großteil kalt erwischt wird.

Friedrich: Seit 2008 haben wir Finanzkrise, Währungskrise, Vertrauenskrise, das geht immer so weiter, aber wir müssen wirklich tiefer schauen. Es ist eine gesellschaftliche Systemkrise, es ist eine menschliche Krise, die wir haben. Die Botschaft ist eigentlich: Wir alle sind das Problem. Das Fundament für die Krise sind die Menschen mit der menschlichen Gier. Das ist archaisch bedingt, der Egoismus, die Überheblichkeit, die Hybris nach dem Motto: Wir können alles regeln, alles bestimmen und so lenken, wie wir es möchten.

ETD: Warum archaisch?

Friedrich: Archaisch, weil der Mensch sich immer weiterentwickeln möchte, wir haben das Rad erfunden, das Feuer irgendwie gefunden und der Mensch hat einen Überlebensdrang und möchte sich immer weiter entwickeln von der Höhle in die Hütte und von der Hütte ins Haus und vom Haus in die Villa und ins Weltall. Der Mensch hat den Drang, zu expandieren, was auch völlig legitim ist, aber dabei haben wir einen übersteigerten Egoismus und eine übersteigerte Gier an den Tag gelegt. Und die Gier lässt das System immer aus den Fugen geraten und dann endet es immer in einem großen Knall, in einem Crash. Ob das dann ein Krieg ist oder eine wirtschaftliche Verwerfung, das mag mal dahingestellt sein, aber die Botschaft ist und muss sein, jedem Bürger aufzuzeigen, dass das System so, wie es momentan läuft, nicht mehr zu halten ist und dass wir ein zutiefst ungerechtes und unfaires Finanzsystem haben, was nur fünf Prozent dient und nicht allen Menschen.

ETD: Wovor fürchten Sie sich, wenn Sie sagen Sie brauchten Zivilcourage?

Weik: Wenn wir an unser Szenario denken, das letzte was wir sehen möchten – und was wir wahrscheinlich bald in der Südperipherie Europas sehen werden – das sind bürgerkriegsähnliche Zustände, oder vielleicht sogar ein Krieg. Ehrlich gesagt, davor fürchte ich mich, wir haben in Deutschland schon längst gelernt, dass das zu nichts führt. Unsere Großmütter leben beide noch, die sind jetzt 90 und wenn ich höre, wie das damals in Kriegszeiten war, ehrlich gesagt, das möchte ich nicht miterleben. Wir können heilfroh sein, dass wir die letzten 60 Jahre Frieden hatten. Außer Gesundheit und Liebe schätze ich Frieden sehr hoch ein und – wir leben alle in Großstädten – die Bilder möchte ich mir nicht vorstellen, wenn der Crash hart kommt. Überlegen Sie einmal, hier in Berlin wird einfach mal zwei Wochen kein Hartz4 ausbezahlt, was dann hier in der Stadt los ist. Das können wir uns nicht einmal ansatzweise vorstellen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2: Ein neuer Slogan? „Wir sind der Staat“

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Ein neuer Slogan? „Wir sind der Staat“

Friedrich: Für das Buch haben wir in die Vergangenheit geschaut. Die Vergangenheit ist ein guter Ratgeber, denn in die Zukunft können wir beide nicht sehen, aber man kann mal schauen, wie es bei den großen strukturellen Verwerfungen in der Vergangenheit auch immer einen gesellschaftlichen Wandel gab bis hin zum Krieg.

ETD: Die letzte große Wende, die wir in Deutschland hatten, war eine friedliche. Auch der Umbruch fast im ganzen Ostblock.

Weik: Ja, das war eine friedliche Wende und wir können dafür auch dankbar sein, denn wir haben ja in Zeiten des Kalten Krieges gelebt und das war auch keine sichere Zeit. Aber war die friedliche Wende vielleicht auch nur möglich, weil wir sie mit unglaublich viel Geld finanziert haben, wenn das Geld nicht dagewesen wäre, wäre das dann auch so milde abgegangen?

ETD: Aber es gibt Länder wie Polen, Lettland, Estland, denen es ganz schön dreckig ging oder geht, die trotzdem auf friedliche Weise versuchen es zu bewältigen. Auch das sind Möglichkeiten für die Zukunft.

Weik: Ja, ich glaube auch an das Gute im Menschen, aber wie es Einstein schon gesagt hat, die Dummheit der Menschheit ist unbegrenzt, also unendlich. Ich wünsche mir von Herzen, dass die Menschen ihr Herz öffnen, ihren Kopf öffnen und sich erneut frei machen. Aber wenn ich mir die Gesellschaft momentan anschaue, die sehr egoistisch ist, hart und kalt, konsumgetrieben und oberflächlich ist, das ist kein Miteinander, eher ein Nebeneinander und Gegeneinander. Aber eine Krise kann auch dazu führen, dass die Menschen eher zusammenrücken, das haben wir auch schon gesagt.

Friedrich: Unser Buch verkauft sich immer noch gut, die Menschen wollen sich nicht mehr einlullen lassen, oder anlügen lassen. Step by Step findet ein Umdenken statt.

ETD: Könnten Sie sich einen Slogan vorstellen der lautet: Wir sind der Staat?

Weik: Ja das stimmt, wir alle sind der Staat

ETD: Aber noch sieht es ja aus wie ein duales System, die einen regieren den Staat, die anderen sind dem ausgeliefert und sorgen dafür, dass der Staat auch Geld hat. Was passiert, wenn die Bürger sagen: Wir sind der Staat?

Friedrich: Dann würde den Politikern in Berlin wohl die Muffe gehen. Das ist glaub ich gar nicht gewollt von der Politik, dass wir sagen, wir sind der Staat. Das ist noch gar nicht im Kopf der Leute.

Weik: Wir sind auch Europa.

Friedrich: Spannende Frage. Ja, wir sind der Staat und alles an Geld, was in diesem Staat bewegt wird, gehört eigentlich uns allen.

Marc Friedrich (l) und Matthias WeikMarc Friedrich (l) und Matthias WeikFoto: M. Friedrich

ETD: Sie haben 2001 bittere und bedrohliche Erfahrungen in Argentinien gemacht beim totalen Crash, das beschreiben Sie auch in ihrem Buch. Will das hier jemand hören?

Friedrich: Das ist für alle ganz, ganz weit weg, das kann sich keiner vorstellen und es ist schon 12 Jahre her, das sind hier gefühlte Jahrhunderte. Wir haben diese Hybris, dass in Deutschland sowieso nichts passieren kann, aber wenn man nach Portugal oder Griechenland schaut, dann kann uns das nicht gleichgültig sein. Spanien, Italien, das ist Argentinien 2.0, das ist vor unserer Tür, das ist Europa. Für uns sieht es so aus, als berichteten die Medien bewusst sehr wenig darüber, wie das Leben dort jetzt schon konkret aussieht. Die 64 Prozent Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen in Griechenland und 57 Prozent in Spanien wird man wohl kaum mit einem neuen Gipfel – der viel zu spät kommt – lösen können.

Lesen Sie weiter auf Seite 3: Da wird gerade eine ganze Genration verbrannt

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Da wird gerade eine ganze Genration verbrannt

Weik: Da wird gerade eine ganze Genration verbrannt. Die Jugend ist die Zukunft eines Landes, das ist ein Fiasko. Ich habe bei einem Vortrag in einer Schule neulich gesagt zu den Jugendlichen, „wenn ihr jetzt spanische Jugendliche wärt, dann würde man zu jedem zweiten von euch sagen, dass ihr nicht gebraucht werdet, es wäre besser, wenn es euch nicht gäbe für die Zukunft. Wenn Du gehen würdest oder dich am nächsten Baum aufhängen würdest, wäre es besser für uns alle.“ Da haben sie geschluckt, da wurde ihnen erst richtig klar, was in Griechenland und Spanien los ist. Eine Jugend, die keine Aussicht auf Zukunft hat, wird eine Revolution lostreten mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen.

Friedrich: Die lassen sich ihr Leben und ihre Zukunft nicht einfach klauen von der Politik und der Finanzwelt, da sind wir ziemlich sicher. Wir wollen keinen Bürgerkrieg herbeireden, aber politisch wird nichts Wirkungsvolles dagegen getan. Gelddrucken hat noch nie geholfen, das gibt es nicht mal bei Monopoly. Das Spiel ist aus, wir müssen ganz neu nachdenken, wie wir zusammen leben wollen.

ETD: Quantenphysiker wie Hans-Peter Dürr sagen, im Innersten gäbe es keine Teilchen, nichts Festes, dort definiert sich alles nur durch Bewegung und Kooperation.

Friedrich: Eben, das Leben ist doch so, es ist ein ewiger Kreislauf. Wir müssen doch nur die Natur betrachten und uns abschauen, wie das Leben funktioniert. Wenn wir uns daran orientieren würden für unsere Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme, dann würde das doch gehen, das muss man nur adaptieren.

Weik: In der Natur wächst nichts exponentiell, der Volksmund sagt es so schön, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen – nur die Menschen wollen immer mehr, mehr, mehr. Es ist auf unserer Erde nicht möglich, exponentiell zu wachsen, weil die Ressourcen limitiert sind und weil es auch mathematisch vollkommener Unsinn ist. Die Menschen könnten alle satt werden, aber einige wollen das Tausendfache und werden auch noch dafür bewundert und nachgeahmt.

Friedrich: Das ist die Gier, und da müssen wir auch mit einer Lösung ansetzen. Kurz gesagt, wir müssen die Gier unter Strafe stellen. Erst dann können wir ein Wirtschaftssystem implementieren, das auch allen Menschen dient und das auch frei ist.

ETD: Wie macht man das?

Friedrich: Gute Frage. Einer will mehr als der andere und da wir ein Schuldgeldsystem haben, läuft das aus dem Ruder. Wir müssen auch die Haftung für Bankmanager und Politiker einführen. Wenn einer mal eben vier Milliarden an die Wand fährt, dann wird er auch dafür geradestehen müssen, und zwar mit Haus und Hof, auch mit Gefängnis. Das würde die spekulativen Exzesse nicht mehr unterstützen. Man muss auch mal etwas deckeln.

ETD: Da werden manche sagen, dass der Unternehmergeist verloren geht.

Weik: Hatten wir nicht bis in die 80er-Jahre eine gut funktionierende Marktwirtschaft? Der Unternehmergeist hat damals nicht gelitten, im Gegenteil. Es ist deutlich zu sehen, dass hier vieles aus den Fugen geraten ist und neu justiert werden muss. Von uns allen. Eigentlich sofort.

Friedrich: Ja, es ist eine menschliche Krise, die wir haben, wir müssen uns alle reduzieren, wir müssen, den Kuchen besser aufteilen. Wenn wir weiterhin so verfahren wie bisher, also egoistisch und „wir sind eine Industrienation“ und ich, ich, ich, ich, Konsum, Konsum, dann machen wir diesen schönen Planeten kaputt. Wenn wir so weitermachen, werden wir die Menschen und den Planeten komplett vernichten, das ist doch unglaublich, das wird total an die Wand fahren.

Aber wenn dieses Umdenken noch stattfinden würde, was wir ja hoffen und weshalb wir das Buch geschrieben haben, dann könnte man noch umlenken. Wir pochen an die menschliche Intelligenz, dass die Menschen endlich mal ihren Kopf öffnen und sagen: Ja, wir sind intelligent genug, diesen Wandel zu vollziehen, wir können auch abgeben, aber das ganze System kann nicht mehr nur ein bisschen repariert werden, es muss verwandelt werden – lieber rechtzeitig und freiwillig, als in einem Desaster zu enden.

ETD: Die Frage bleibt, wer fängt an und hat den Mut dazu?

Wir danken für dieses Gespräch.

Das Interview führte Renate Lilge-Stodieck

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Matthias Weik und Marc Friedrich heute um 21 Uhr auf 3sat in „Makro“:
Versicherungen – Die grauen Eminenzen. In der Finanzkrise ist viel von Banken die Rede. Wenig von Versicherungen. Dabei sind beide aufs Engste miteinander verquickt. Die Hälfte der Versicherungsgelder ist bei Banken investiert. Kippt eine Bank, haben Versicherungen ein Problem.



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