Enttäuschung über EU-Taxonomie: NGOs gründen „grünes“ Finanzlabel

Dass die EU in ihrer Taxonomie auch KKWs als „nachhaltig“ eingestuft hat, stört den WWF und andere NGOs gewaltig. Sie gründen nun ein eigenes Finanzlabel.
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Der WWF und einige befreundete Organisationen haben ein eigenes Finanzlabel ins Leben gerufen.Foto: Jens Kalaene/ZB/dpa/dpa
Von 20. Januar 2023


Im Vorjahr hatte die EU in ihrer Taxonomie Investitionen in Gas- und Kernkraftwerke unter bestimmten Umständen als nachhaltig eingestuft. Dies verschafft Investoren in diesen Bereichen potenzielle Vorteile, beispielsweise im Bereich der Finanzierung oder von Zertifizierungen. Regierungen und Umweltorganisationen, die diese Technologien aus ideologischen Gründen ablehnen, laufen dagegen Sturm. Der WWF und weitere Umweltorganisationen wollen nun ein eigenes „grünes“ Finanzlabel gründen.

Finanzlabel hat keine Konsequenzen auf hoheitlicher Ebene

Das Label soll Banken, Versicherer und Investoren Orientierung darüber geben, welche Geldanlagen auch aus Sicht der Initiatoren als „nachhaltig“ erscheinen. Am Mittwoch (18. Januar) kündigten der WWF, Ecos und der europäische Verbraucherverband BEUC diesen Schritt in einer Erklärung an.

Die Initiatoren wollen mit ihrer eigenen Taxonomie nun anhand von „strengen Kriterien“ wirtschaftliche Aktivitäten auf der Grundlage eines Ampel-Prinzips bewerten. Die Kriterien für eine Einstufung als „grünes“, „gelbes“ oder „rotes“ Gebaren soll eine „Gruppe unabhängiger Experten“ regelmäßig überprüfen.

An den juristischen Konsequenzen der Einstufung gemäß EU-Taxonomie ändert diese alternative Klassifizierung freilich nichts. Das Finanzlabel stellt rechtlich gesehen eine Wissenserklärung dar – relevante Wirkungen kann sie nur im privatrechtlichen Kontext entfalten.

Sogenannte Ethikfonds gewinnen zunehmend an Bedeutung

Eine mögliche Verwendung für das Finanzlabel haben beispielsweise Investmentgesellschaften. Sie können dessen Bewertungen als Empfehlungen oder sogar verbindliche Vorgaben im Bereich „nachhaltiger“ oder „ethischer“ Geldanlage verwenden.

Sogenannte Ethikfonds haben in den vergangenen Jahren auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewonnen. Ihr Marktvolumen in Deutschland, Österreich und der Schweiz soll 2019 bereits insgesamt 838,83 Milliarden Euro betragen haben. Meist sind es offene Aktienfonds, die sich ihren Anlegern gegenüber zur Einhaltung bestimmter Grundsätze verpflichten.

Die Anlagekriterien funktionieren vorwiegend nach dem Ausschlussprinzip. Demnach dürfen die Fonds in Unternehmen aus bestimmten Branchen, in Hersteller bestimmter Produkte oder Nutzer bestimmter Produktionsverfahren nicht investieren. Ausschlusskriterien können breit gefächert sein und von Kinderarbeit über Rüstung oder Tierversuche bis hin zu Menschenrechtsüberlegungen reichen.

In einigen Fällen ist auch eine Positivauswahl relevant, der zufolge Unternehmen bestimmte Standards erfüllen müssen. Häufig ist eine Selbstverpflichtung der Unternehmen Grundlage der Investitionsentscheidung. Das vom WWF und dessen Partnern ins Leben gerufene Finanzlabel würde für beide Herangehensweisen eine potenzielle Orientierung bieten.

Kirchliche Gemeinschaften legten als Erste auf Grundlage von „Finanzlabels“ an

Neben Themenfonds oder säkularen Ethikfonds, die größtenteils nach „grünen Kriterien“ agieren, gibt es beispielsweise auch religiös motivierte Geldanlagen. Diese stellen historisch auch die Grundlage des sogenannten ethischen Investments dar. In den USA etablierten kirchlich geprägte Anleger beispielsweise Vermögensmassen, in denen eine Anlage in „Sin Stocks“ ausgeschlossen war.

Dies betraf vornehmlich Alkohol, Tabak und Glücksspiel. Seit den 1970er-Jahren etablierte sich das Prinzip zunehmend in Form offener Investmentfonds. Heute ist das Angebot in diesem Bereich noch breiter gefächert. Der LIGA-Pax-Cattolico-Union-Fonds von Union Investment hat beispielsweise auch Pornografie und künstliche Empfängnisverhütung als Ausschlusskriterien, ebenso der Ave Maria Mutual Funds in den USA.

In der islamischen Community spielen Halal-Fonds eine wachsende Rolle, wobei die Ausschlusskriterien nicht immer deckungsgleich sind. Gemäß der Scharia sind Investitionen in Alkohol, Pornografie, Prostitution, Rüstungsgüter und Schweinefleisch unerwünscht. Einige Fonds schließen jedoch auch Banken und Versicherungen aus – zum einen wegen des Zinsverbotes, zum anderen wegen des glücksspielartigen Charakters des Versicherungsvertrages.

„Sündenfonds“ erzielt ebenfalls zweistellige Renditen

Sowohl die genannten christlichen als auch die muslimischen Fonds boten eine ansehnliche Performance. Sie konnten im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre Renditen knapp an der Grenze zum zweistelligen Bereich oder darüber erzielen. Der katholische Fonds LIGA-Pax-Cattolico-Union kam sogar auf 12,98 Prozent.

Allerdings erzielte auch der sogenannte Vice Funds seit seiner Auflage eine zweistellige Rendite. Er investiert bewusst und ausschließlich in jene Bereiche, die Ethikfonds säkularer und religiöser Provenienz aus Prinzip meiden. Dieser Fonds verwaltete Ende März 2008 ein Kapitalvermögen von circa 180 Millionen US-Dollar und hat sogar den S&P 500 Index mehrfach übertroffen. Das Finanzlabel des WWF und seiner Unterstützer dürfte auch für diesen kaum von Belang sein.

(Mit Material von dpa)



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