Fast jeder zweite Fonds wird ökologischen Anforderungen nicht gerecht
Nicht überall, wo bei Geldanlagen grün draufsteht, ist auch grün drin. Das ergab eine Auswertung von mehr als 800 als besonders nachhaltig („Dark Green“) etikettierten Fonds. 547 davon sind auch in Deutschland handelbar. Aufgedeckt wurde dies durch ein internationales Medienprojekt, woran neben dem „Handelsblatt“ acht weitere europäische Medienhäuser sowie die niederländischen Plattformen „Follow the Money“ und „Investico“ beteiligt waren.
Bei den Analysen unter dem Arbeitstitel „Great Green Investment Investigation“ wurde erwiesen, dass knapp 48 Prozent der Fonds auch dort beteiligt waren, wo kein ökologischer Mehrwert zu erkennen ist.
Über 800 Fonds überprüft
Die mehr als 800 überprüften Fonds haben sich dem „Handelsblatt“ zufolge alle dem „strengsten Ökoreglement“ der EU-Kommission unterworfen. Sie dürfen daher nur „klimafreundliche Investments“ tätigen.
Doch sei Geld nicht nur in besonders nachhaltige Unternehmen geflossen, sondern auch in RWE, Lufthansa oder Rusal, einem Aluminium- und Kohleproduzenten aus Russland.
Konsequenzen hat dies jedoch selten. Ärger mit der EU droht erst, wenn Anbieter Kunden gezielt in die Irre führen. Der derzeit bekannteste Fall in dieser Hinsicht ist die DWS, eine Tochter der Deutschen Bank. Dort ermittelt zurzeit die Staatsanwaltschaft wegen „Greenwashings“.
Gefahr des „Greenwashings“
Laut einer Studie des Lehrstuhls für nachhaltige Finanzen an der Universität Kassel funktioniert der „grüne Megatrend“ bei der Geldanlage in der Praxis schlecht. Anlageberater zweifelten an der Nachhaltigkeit und sehen die Gefahr des „Greenwashings“. Verkaufen müssen sie die Fonds trotzdem.
Fast jeder zweite untersuchte Fonds investiert in Wirtschaftsbereiche wie Kohle, Öl oder Luftfahrt. Bei in Deutschland erhältlichen Fonds summiert sich ein Betrag von etwa fünf Milliarden Euro – europaweit sind es 8,5 Milliarden Euro, die nicht in ökologische Firmen fließen.
Einordnung in Kategorien
Ebendiese Investitionen wollte die EU unterbinden. Im Mai 2021 erließ die EU-Kommission daher eine Verordnung, die Fonds entsprechend ihrer Nachhaltigkeit klassifiziert. Den höchsten „Reinheitsgrad“ haben der Verordnung zufolge Fonds der Kategorie „Artikel 9“. Dazu zählen die über 800 eingangs erwähnten Fonds. Investitionen in entsprechende Industriezweige sollten laut EU tabu sein.
Wie nachhaltig sie letztlich aber sind, können die Fondsanbieter selbst bestimmen. Sich dabei als nachhaltig zu präsentieren, ist verlockend, weil äußerst lukrativ. Die Nachfrage nach „klimafreundlichen Fonds“ steigt weiter. Laut einer Studie von „Morningstar“ kletterte der Anteil kurzfristig von 34 auf 50 Prozent.
EU-Verordnung ohne Sanktionen
Eine Kontrolle der Einstufungen findet selten statt, Sanktionen sieht die EU-Verordnung überhaupt nicht vor. „Da die Verordnung neben Umweltzielen auch soziale Ziele umfasst, könnte dies im Ergebnis bedeuten, dass die Investitionen nicht zwingend klimafreundlich sein müssen“, zitiert das „Handelsblatt“ einen Sprecher der Bundesanstalt für Finanzaufsicht (Bafin).
Die Behörde überprüfte, ob die Anbieter sich an die Transparenzpflichten sowie die jeweiligen Anlagebedingungen halten. „Bei Nichtbeachtung kann insbesondere eine entsprechende Anpassung der vorvertraglichen Informationen beziehungsweise des Verkaufsprospekts angeordnet werden.“
Bis zu 40 Prozent fließen in „klimaschädliche Industrie“
Für ihre Untersuchung haben „Follow The Money“ und „Investico“ den Großteil der in Europa gehandelten Investmentfonds zusammengetragen, die sich als „Artikel-9“-Fonds ausweisen. Dann haben sie diese mit Daten der Umweltschutzorganisation „Urgewald“ sowie der Climate Bonds Initiative (CBI), einem Finanzforschungsunternehmen aus London, abgeglichen.
Beide kategorisieren die Nachhaltigkeit von Unternehmen in eigenen Datensätzen. Von den 547 in Deutschland vertriebenen Fonds, die mehr als 272 Milliarden Euro in Aktien und Anleihen investierten, legen 260 ihr Geld auch in Fluglinien und sogenannte „graue Energiegewinnung“ an.
In extremen Fällen fließen da mehr als 40 Prozent des Kapitals in Luftfahrt-, Öl- oder Kohlekonzerne. Bei einer großen Zahl der Fonds sind es jedoch weniger als zwei Prozent.
Vertrauensverlust bei Anlegern befürchtet
„Viele Angebote halten nicht, was sie versprechen. Die Werbung ist oft nebulös und intransparent“, sagt Nils Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
Geldanlagen könne jeder als ökologisch bezeichnen: „Die Begriffe sind nicht geschützt und bei Falschinformationen drohen faktisch keine Sanktionen“, erläutert Nauhauser. Nach Ansicht von Joost Schmets vom Anlegerverband „European Investors“ besteht die Gefahr, „dass eine große Gruppe von Anlegern, die Nachhaltigkeit in ihre Entscheidung mit einbeziehen, enttäuscht wird“. Sie verlören möglicherweise ihren Glauben an eine nachhaltige Wirtschaft.
Dieser Verlust an Reputation scheint langsam in der Finanzbranche anzukommen. Anbieter wie Blackrock, Amundi oder die französische Großbank BNP Paribas haben bereits Artikel-9-Fonds zurückgestuft. Das Kreditinstitut korrigierte die Anzahl kürzlich von 26 auf acht.
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