Finanzexperte Markus Krall im Interview: Warum die Bankenbilanzen Zeitbomben sind

Experte Markus Krall warnt vor einem Finanzcrash aufgrund von Fehlallokationen durch Niedrigzinsen. Verluste könnten das Eigenkapital um ein Vielfaches überschreiten. Staat und Zentralbanken müssten mit frisch gedrucktem Geld retten, was die Inflation erhöhen würde. Krall fordert einen globalen Goldstandard. Die Banken sind nicht gut vorbereitet, es gibt einen Zielkonflikt zwischen Inflationsbekämpfung und Finanzstabilität.
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Im Interview warnt Finanzexperte Markus Krall vor einer drohenden Finanzkrise.Foto: ETD
Von 11. April 2023

Im Interview spricht Markus Krall, Banken- und Finanzexperte, über die Vorbeben eines kommenden Finanzcrashs. Krall, der die globale Finanz- und Wirtschaftspolitik seit langer Zeit kritisiert, geht davon aus, dass die Verluste, die das Banksystem treffen werden, das Eigenkapital des Bankensystems um ein Vielfaches übersteigen werden. Krall prognostiziert, dass die Staaten und Zentralbanken erneut eingreifen müssen, um die Finanzsysteme zu stabilisieren.  Der Volkswirt sieht nur einen Weg aus dem momentanen Teufelskreis herauszukommen.

Gut 15 Jahre nach der Bankenpleite erleben wir gerade ein Déjà-vu. Die Notrettung der Credit Suisse und das momentane Schlingern der Deutschen Bank lässt hier nichts Gutes erwarten. Sind wir mitten in einem großen Crash?

Wir sind noch nicht mittendrin, wir erleben die Vorbeben. Ähnlich wie bei einem Erdbeben sind sie das Signal, dass sich gewaltige Spannungen und Ungleichgewichte aufgestaut haben. In unserem Fall sind es die Fehlallokationen gewaltiger Ströme von Kapital durch fast 20 Jahre marktwidriger Niedrig-, Null- und Negativzinsen.

Diese Fehlallokationen müssen korrigiert werden und diese Korrektur geht mit riesigen Verlusten einher, weil sie die reale bilanzielle Abschreibung von Wertverlusten beinhaltet, die sich schon längst eingestellt haben, die aber noch als bilanzielle Illusion auf dem Papier weiterbesteht. An welchen Stellen drängen diese Ungleichgewichte und Risiken an die Oberfläche?

Da gibt es drei: der Verlust in der Marktbewertung von Anleihen durch steigende Zinsen, das Kreditrisiko durch Zombieunternehmen in den Büchern der Banken und die intransparente Risikoverschiebung der Ungleichgewichte des Anleihenmarktes durch Derivate.

Die Funktionsfähigkeit und Effizienz der Kapitalmärkte wird durch Bilanzbetrug behindert.“

Wir haben etwa 235 Billionen, also 235.000 Milliarden Euro Schulden auf dem Planeten akkumuliert, was etwa 250 Prozent des Weltbruttosozialprodukts entspricht. Davon sind etwa 150 Milliarden Anleihen unterschiedlicher Laufzeiten, die durch die steigenden Zinsen etwa 18 bis 20 Billionen Euro an Marktwert eingebüßt haben. Diese Verluste finden sich in den Büchern der Banken, der Versicherungen, Lebensversicherungen, Pensionsfonds, Hedgefonds, kurz: der diversen Kapitalsammelstellen in den Finanzmärkten wieder.

Sie sind bisher nicht bilanziert und man hofft, das Problem durch Halten der Anleihen bis zur Fälligkeit aussitzen zu können. Das wird nicht funktionieren, weil erstens die Marktteilnehmer früher oder später herausfinden werden, wer auf den Verlusten sitzt und das Ergebnis werden wiederkehrende Bank-Runs sein und weil man zweitens die größte liquide Vermögensklasse auf dem Planeten, die Anleihen, nicht straflos illiquide machen kann.

Das hat Folgen für die Liquidität der Kapitalmärkte insgesamt und führt zu krisenhaften Erscheinungen, weil die Funktionsfähigkeit und Effizienz der Kapitalmärkte durch diesen Bilanzbetrug behindert wird.

Zugleich haben die marktwidrig niedrigen Zinsen in den letzten 20 Jahren als Subvention für schlechte, ineffiziente, nicht wettbewerbsfähige Unternehmen gewirkt und so die Zahl der Unternehmenspleiten künstlich um 80 bis 90 Prozent gesenkt.

Dadurch wurden Pleiten gesamtwirtschaftlich aufgespart und man muss davon ausgehen, dass mindestens 20 Prozent aller Unternehmen daher sogenannte Zombies sind, Unternehmen, die ohne den Null- und Negativzins längst Pleite wären, aber deren Pleite nachgeholt wird, wenn die Zinsen steigen. Tritt dies ein, so werden die Verluste aus ausfallenden Krediten das Eigenkapital der Banken in Europa und den USA um ein Vielfaches übersteigen.

Betrachtet man alleine das Derivatevolumen der Deutschen Bank von 42 Billionen Euro, so erhält man eine Vorstellung davon, was passiert, wenn auch nur ein Teil davon zum Kreditrisiko mutiert.“

Last not least haben wir riesige Derivateportfolien im Interbankenhandel aufgetürmt. Das Nettorisiko der gehandelten Derivate ist zwar in den einzelnen Banken meist gering, jedoch nur deshalb, weil für praktisch jedes so versicherte Risiko eine Rückdeckung bei einem anderen Derivateemittenten besteht.

Geht ein größerer Knotenpunkt in diesem System bankrott, so verwandelt sich das abgesicherte Marktrisiko in ein nicht abgesichertes Kreditrisiko. Die eigenen Positionen werden zur Zahlung fällig, die Rückversicherung greift jedoch nicht. Das hat das Potenzial für eine systemvernichtende Kettenreaktion.

Betrachtet man alleine das Derivatevolumen einer Deutschen Bank von 42 Billionen Euro, so erhält man eine Vorstellung davon, was passiert, wenn auch nur ein Teil davon zum Kreditrisiko mutiert.

Sie sprachen von einem „Vorbeben“, was wir gerade erleben. Was steht uns Ihrer Meinung nach noch bevor?

Die oben beschriebenen Ungleichgewichte werden zur Entladung kommen. Die Verluste, die das Finanzsystem im Ganzen und das Banksystem im Speziellen treffen werden, übersteigen das Eigenkapital des Bankensystems um ein Vielfaches. Der Staat und die Zentralbanken werden keine andere Wahl haben, als erneut zur Rettung zu schreiten, die nur mit frisch gedrucktem Geld erfolgen kann.

Angesichts der Größe der oben beschriebenen Ungleichgewichte kann dies die Schaffung neuen Geldes durch die Zentralbanken von 4 bis 8 Billionen Euro in der EU alleine auslösen, analog in den USA. Da die Rettung „alternativlos“ ist, wird dieses Geld gedruckt werden und die Inflation auf neue Höhen katapultieren.

Sie gehören ja seit einigen Jahren zu den Fachleuten, die immer wieder davor gewarnt haben, dass die Bankenbilanzen „Zeitbomben“ seien. Nun, wo die Zentralbanken sich aus ihrer Politik der Null- und Negativzinspolitik verabschiedet haben, scheinen diese Bomben hochzugehen und die Abwertung der Bankaktiva zu Liquiditätsproblemen zu führen. Wie hoch schätzen Sie die Verluste?

Das ist sehr schwer zu sagen. Aber sie dürften sich im Euroraum bei den Anleihebewertungen zwischen 2 und 5 Billionen, bei den Zombiekrediten zwischen 4 und 5 Billionen bewegen. Bei den Derivaten ist eine Schätzung mit den mir verfügbaren Daten nicht möglich.

Diese müssten ja kaufmännisch korrekt in den Bilanzen abgeschrieben werden. Große Banken haben das ja auch schon in hohen Summen gemacht. Das würde doch aber das Eigenkapital der Banken übersteigen. Wie soll man denn aus diesem Teufelskreis herauskommen?

Aus diesem Teufelskreis gibt es keinen Ausweg mehr innerhalb des existierenden Geldsystems. Am Ende wird der Kollaps der Produktion eintreten. Rettet man die Banken nicht, so wird ihre Pleite das Finanzsystem und die mit ihm verbundenen Unternehmen (so gut wie alle) in den Abgrund ziehen. Rettet man sie, so wird die Inflation so lange steigen, bis die globalen Lieferketten durch die Unkalkulierbarkeit der Preise bei Einkauf, Produktion und Verkauf an vielen Stellen reißen und so die Produktion auch zum Erliegen kommt.

Dann muss ein Reset nach dem Muster der Währungsreform Deutschlands von 1948 her, um die Produktion schnell wieder in Gang zu setzen. Das setzt voraus, dass diese Reform das Vertrauen der Wirtschaftssubjekte hat, was bei den jetzt an den Schalthebeln befindlichen Personen und Institutionen höchst zweifelhaft erscheint. Diese Reform wird daher auch neue Institutionen hervorbringen müssen. Ich plädiere an dieser Stelle für die Einführung eines neuen globalen Goldstandards.

Welche Gründe gibt es aus Ihrer Sicht für die Unterfinanzierung fast aller Banken?

Der tiefere Grund liegt in der Wettbewerbsverzerrung des Bankensektors durch den Staat. Seit 100 Jahren werden Banken als systemisch, damit als unverzichtbar und als sakrosankt betrachtet und gerettet. Für Banken gilt die Marktwirtschaft nicht, die schlechte, ineffiziente, schlecht geführte, zu riskante Unternehmen mit der Pleite aussortiert und so das System permanent reinigt.

Damit werden zwei Verhaltensweisen angeregt, die für das System insgesamt schädlich sind: Erstens wird Größe weit über die optimale Größe hinaus zu einem Wettbewerbsvorteil für die Banken. Der Vorteil der Größe besteht zunächst in höherer Kosteneffizienz und der Möglichkeit, auch große Finanzierungen stemmen zu können. Ab einer gewissen Größe überwiegen aber die Wettbewerbsnachteile.

Das sind steigende Komplexität, Intransparenz, Risiken, Entkopplung von Verantwortung und Kontrolle, Entkopplung von Eigentum und Verfügung darüber bei großen Bank-Aktiengesellschaften. In einem System, in dem der Staat nicht rettet, würden Anleger daher Banken, die eine gewisse Größe überschreiten, gar kein Geld mehr anvertrauen und so das Problem automatisch lösen. Nicht so, wenn die Garantie der Rettung diese Risiken ausblendet.

Staatliche Bürokratie hat sich als untauglich erwiesen.“

Zweitens wird ein Anreiz geschaffen, das Eigenkapital gering und das Fremdkapital hochzuhalten, da Eigenkapital als Risikokapital zuerst haftet und erst nach seinem Verbrauch das Fremdkapital in die Verlustkette eintritt. Daher ist auch die Verzinsung von Eigenkapital höher als die von Fremdkapital, mit anderen Worten: Eigenkapital hat höhere Kapitalkosten.

Ein Unternehmen, bei dem die Manager über die Boni die eigentlichen Nutznießer sind und nicht die Aktionäre, wird daher versuchen die Kapitalkosten zu minimieren, also das Eigenkapital so gering wie möglich zu halten. Das Ergebnis ist eine Risikostruktur, die Gewinne beim Management privatisiert und Verluste bei den Aktionären und dem Steuerzahler sozialisiert. Auch das ist nur möglich durch die staatliche Rettungsgarantie der Banken.

Der in der Vergangenheit gemachte Versuch, dies durch eine staatliche Bürokratie, nämlich die Bankenaufsicht, zu kompensieren, hat sich final und endgültig als untauglich erwiesen. Eine Bürokratie kann nicht leisten, was der Markt leistet und scheitert daher an dem Problem, zumal die Verantwortlichen die Mechanismen überhaupt nicht verstanden haben und wenn sie sie verstanden haben, diese leugnen, würde es sie doch sonst ihren Job kosten, das zuzugeben.

Inwieweit sind die Banken auf eine mögliche Krise vorbereitet und welche Risiken sehen Sie für die Finanzstabilität?

Die Banken sind nicht gut vorbereitet. Ihr Eigenkapital ist zu niedrig im Verhältnis zu den Risiken, die Transparenz ist nicht ausreichend gegeben, um durch Maßnahmen des Managements rechtzeitig gegensteuern zu können. Der Nullzins hat die Banken gezwungen, ihre Erfolgsrechnung durch überproportionale Risikonahme „aufzuhübschen“ und die Versuche der Aufsicht, das Problem durch Stresstests in den Griff zu bekommen dürfen wir als gescheitert ansehen.

Die EZB scheint im Moment eine Politik „Sowohl als Auch“ betreiben zu wollen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde sagte zuletzt, es gebe keinen Zielkonflikt zwischen Inflationsbekämpfung und Finanzstabilität. Sehen Sie das auch so?

Im Gegensatz zu Frau Lagarde verfüge ich über den Luxus, auf Wunschdenken in der Sache verzichten zu können. Natürlich gibt es hier einen Zielkonflikt. Jeder, der ein halbes Semester Finanzmathematik gehört hat, wird das nicht leugnen. Frau Lagarde hat sich lediglich für eine Doppelstrategie entschieden, um das nicht zugeben zu müssen, wobei Teil zwei der Strategie den ersten Teil konterkariert.

Was meine ich damit? Sie hält die Zinsen oben, damit sie beim Thema Inflationsbekämpfung das Gesicht nicht verliert. Zugleich signalisiert sie ihre Variante vom „whatever it takes“, nämlich die „unbegrenzte Solidarität“ der Euroländer und damit die absolute Bereitschaft, jede fallierende Bank und auch jeden fallierenden Staat in Europa zu retten. Das geht nur mit frisch gedrucktem Geld.

Die resultierende Liquiditätsflut wird die Zinsstrukturkurve weiter invertieren und so die Rezession verschärfen, zugleich fließt das Geld in die Aktien- und Anleihemärkte und führt dort zu einem vorübergehenden Crackup-Boom. Von dort wird das Geld, wie schon beim letzten Mal, in die Gütermärkte strömen und Inflation erzeugen, die durch den Rückgang der Produktion aufgrund von Pleiten noch weiter verschärft werden wird.

Da die Inflation ein monetäres Phänomen ist, wird die Inflationshöhe sich an der neu geschaffenen Geldmenge orientieren. Das bedeutet, sie steigt deutlich über das aktuelle Niveau von 8 bis 12 % an. Es dürfte eher bei 20 bis 30 % liegen und dann steht die EZB erneut vor der Wahl: bekämpfen oder akkommodieren? Wenn das kein Zielkonflikt ist, dann weiß ich nicht, was ein Zielkonflikt sein soll.

Viele Ökonomen behaupten, dass die Schulden in den meisten Volkswirtschaften aufgrund der Tatsache, dass die Zinssätze deutlich unter den Inflationsraten liegen, entwertet werden. Doch ist das wirklich der Fall?

Das ist in Kaufkraft betrachtet aktuell noch der Fall. Da jedoch die Einkommen nicht an die Inflation indexiert angepasst werden und die Zinsen relativ zu ihrem Niveau um 300 % gestiegen sind (von 1 Prozent  auf 4 Prozent) sind die Schulden und der Zinsdienst relativ zum Einkommen der Leute stark angestiegen. Dass dieses geschuldete Geld auch eine geringere Kaufkraft hat, ist für die Schuldner daher ein schwacher Trost.

Würden die Zentralbanken jetzt die Inflationsbekämpfung zugunsten der Bankenrettung opfern, was bedeutet das aus Ihrer Sicht für die Inflation?

Den Konjunktiv in dieser Frage kann man getrost streichen. Die Zentralbanken werden genau das tun, mit den oben beschriebenen Folgen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Markus Krall ist promovierter Diplom-Volkswirt und arbeitete 30 Jahre in leitenden Funktionen für einige der Top-20-Finanzinstitutionen der Welt.  Heute ist er Unternehmensberater und Autor. 



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