Firmenpleiten in Deutschland nehmen zu

Die Zahl der Firmeninsolvenzen in Deutschland stieg im ersten Quartal um ein Fünftel im Vergleich zum Vorjahr. Besonders zwei Branchen sind von Pleiten betroffen.
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Firmenpleiten haben im ersten Quartal zugenommen.Foto: Monika Skolimowska/dpa/dpa
Von 22. Juni 2023

Die Zahl der Firmeninsolvenzen nimmt in Deutschland merklich zu. Wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden meldete, erhöhte sich die Zahl der Insolvenzen im ersten Quartal um 18,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. In Zahlen ausgedrückt verzeichnet das Bundesamt zwischen Januar und März insgesamt 4.117 Insolvenzen.

Ebenfalls stiegen auch die voraussichtlichen Forderungen der Gläubiger aus den gemeldeten Firmeninsolvenzen deutlich. Die Amtsgerichte bezifferten die Summe auf rund 6,7 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr lag die Summe im gleichen Zeitraum noch bei rund 3,9 Milliarden Euro.

Insolvenzgeschehen normalisiert sich

Auf den ersten Blick klingt der Anstieg zum Jahresanfang ziemlich erschreckend. Daher muss man die Zahlen etwas einordnen. In den vergangenen Jahren war die Anzahl der Insolvenzen zurückgegangen. Trotz Corona- und Energiekrise waren die Firmenpleiten in den Jahren 2020 bis 2022 auf einem historisch niedrigen Niveau. Das hatte Ursachen: Viele Firmen erhielten damals umfangreiche staatliche Hilfen im Zuge der Corona-Pandemie.

Außerdem wurden damals die Insolvenzantragspflichten teilweise ausgesetzt. Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften machten sich also damals nicht der Insolvenzverschleppung schuldig, wenn sie – trotz tatsächlicher Überschuldung – keinen Insolvenzantrag beim zuständigen Amtsgericht stellten. Dazu kamen noch die Ausweitung des Kurzarbeitergelds sowie der Vollstreckungsstopp der Finanzbehörden und Krankenkassen.

Nun scheint langsam wieder Normalität in der Wirtschaft einzukehren. Der „Berufsverband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID)“  spricht in einer Pressemitteilung vom vergangenen Freitag, 16. Juni, von einer „Entwicklung, die eine langsame Normalisierung des Insolvenzgeschehens einleitet“.

Branchen unterschiedlich von Pleiten betroffen

Das ist auf die Gesamtheit gesehen sicherlich richtig. Nur zeichnet sich für die einzelnen Branchen ein recht unterschiedliches Bild ab, sodass die Erklärung der Normalisierung zu kurz greift. Das zeigt eine exklusive Auswertung des Karlsruher Insolvenzdatenspezialisten STP Business Information.

„Wir haben alle Insolvenzverfahren von Personen- und Kapitalgesellschaften zwischen Januar 2019 bis Ende Mai 2023 analysiert“, sagt Geschäftsführer Michael Speckmann gegenüber dem Wirtschaftsmagazin „WirtschaftsWoche“. „Die jeweiligen Unternehmen wurden Branchen zugeordnet. Auf dieser Basis haben wir dann die Insolvenzzahlen vor und während der Corona-Pandemie mit den aktuellen Entwicklungen verglichen“, so Speckmann weiter.

Ein Blick auf das Resultat lohnt sich: In einzelnen Branchen, die als große Corona-Verlierer galten, gibt es nach wie vor weniger Pleiten als vor Corona. Bei anderen Branchen hingegen liegen die Insolvenzzahlen deutlich über der Vor-Corona-Zeit.

So gibt es beispielsweise aktuell weniger Insolvenzen im Maschinenbau als in den ersten fünf Monaten des Jahres 2019. Auch bei Autohändlern und Werkstätten, bei Marktforschungsinstituten und in der Gastronomie sieht es ähnlich gut aus. „Wirtschaftsbereiche wie der Groß- und Einzelhandel, die Logistik oder auch Architektur- und Ingenieurbüros liegen in etwa auf dem Ausgangsniveau von 2019“, sagt Speckmann. Geschäftsaufgaben ohne Insolvenzverfahren werden in der Statistik allerdings nicht erfasst.

Insolvenzwelle bei der Gastronomie blieb aus

Gerade dass die Gastronomie offenbar so unbeschadet die letzten Jahren überstanden hat, dürfte erst einmal verwundern. Galt doch diese Branche damals als die Krisenbranche schlechthin. Experten erwarteten damals das große Sterben der Restaurants und Kneipen. Speckmann verweist aber auf die Insolvenzstatistiken, die dann doch einen anderen Trend aufzeigen.

Wie in vielen anderen Branchen auch sind die Insolvenzzahlen in den letzten Jahren deutlich gesunken. Auch hier hielten staatliche Hilfen und ausgesetzte Insolvenzpflichten die Zahl der Pleiten trotz Corona- und Energiekrise auf niedrigem Niveau. Seit dem vergangenen Jahr tritt allerdings langsam wieder eine Normalisierung bei den Insolvenzzahlen ein. „Insgesamt gibt es aber immer noch weniger Insolvenzen gastronomischer Betriebe als vor der Pandemie“, sagt Speckmann. Dass sich die Gastronomie dauerhaft vom Wirtschaftsgeschehen abkoppeln kann, ist wenig wahrscheinlich.

Gesundheitsbranche stark von Insolvenzen betroffen

Deutlich mehr Insolvenzen als vor Corona gibt es laut den Erhebungen der STP Business Information im Grundstücks- und Wohnungswesen, bei Zeitarbeitsfirmen, IT-Dienstleistern und in der Gebäudereinigung. Besonders stark betroffen ist allerdings der Gesundheitsbereich. Dort gab es „die größten Steigerungen im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit“, so Speckmann.

Wie dramatisch die Situation ist, darauf wies vor einigen Tagen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in verschiedenen Interviews hin. Er machte deutlich, dass im Moment 25 Prozent aller Krankenhäuser in Deutschland insolvenzgefährdet seien. Die Branche leide unter einem enormen Ärzte- und Pflegekräftemangel.

Tatsächlich nahmen in den vergangenen Monaten die Insolvenzen im Gesundheitsbereich zu. So meldeten beispielsweise mit Unternehmen wie Curata und Novent, Teilen von Doreafamilie und der Hansa-Gruppe gleich mehrere große Pflegeheimbetreiber Insolvenz an.

Zinsanstieg führt zu Pleiten

In den vergangenen Jahren schnellte die IT-Branche von Erfolg zu Erfolg. Die Branche war daher erfolgsverwöhnt. Mit der technischen Rezession scheint damit nun Schluss zu sein. „Inzwischen stellen deutlich mehr IT-Dienstleister Insolvenzantrag als vor Corona“, sagt Experte Speckmann dazu. Woran das liegt, sei unklar. „Betroffen ist aber insbesondere der Beratungsbereich.“

Klarer ist die Lage hingegen in der Immobilienbranche. Diese leidet seit einem Jahr zunehmend an den steigenden Zinsen. Das führt nun zu verstärkten Firmenpleiten.

Durch den Anstieg der Zinsen steigen sowohl die Finanzierungskosten für neue Bauvorhaben als auch die Refinanzierung bestehender Immobilien. Darüber hinaus leiden Gewerbeimmobilien unter der anhaltend geringen Auslastung von Büros und dem Rückzug wichtiger Mieter, insbesondere aus dem Einzelhandel. Nach dem lang anhaltenden Immobilienboom geht es nun bergab. Die Schwierigkeiten der Immobilienentwickler wirken sich auch auf die Bauindustrie aus.

Laut dem Statistischen Bundesamt sind die Baugenehmigungen im April auf den niedrigsten Stand seit mehr als 17 Jahren gefallen. Lediglich 21.200 Wohnungen wurden genehmigt, was einem Rückgang um fast ein Drittel (31,9 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Angesichts dieser Zahlen könnte man eigentlich eine deutliche Zunahme von Baupleiten erwarten. Jedoch ist die Situation „sehr heterogen“, wie Speckmann erklärt.

„Bei Bauinstallationen, also allen Gewerken, die mit Dämmung, Heizungs- und Elektroinstallationen zu tun haben, gibt es aber weiterhin vergleichsweise wenig Insolvenzverfahren“, sagt der Experte. „Bei Abbruch- und Baustellenarbeiten sehen wir dagegen deutlich mehr Insolvenzen als in den ersten fünf Monaten 2019.“ Er kommt zum Ergebnis: „Während Neubauprojekte kriseln, kann der Dämm- und Klimabereich weiter profitieren.“

Trend könnte sich fortsetzen

Dass die Zahl der Firmenpleiten in diesem Jahr um ein Fünftel gestiegen ist, sollte man allerdings nicht als ein vorübergehendes Phänomen betrachten. Auch in diesem zu Ende gehenden Quartal könnte sich dieser Trend fortsetzen. Darauf deutet zumindest die Entwicklung bei den beantragten Regelinsolvenzen hin, die im Mai um 3,1 Prozent im Vergleich zum Vormonat gestiegen sind.

Schon im April war ein Plus von 4,8 Prozent zu verzeichnen gewesen. Diese beantragten Verfahren fließen aber erst nach der ersten Entscheidung des Insolvenzgerichts in die Statistik ein. Der Zeitpunkt, an dem der Insolvenzantrag eingereicht wurde, liegt in vielen Fällen dann aber schon fast drei Monate zurück.



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