„Grüner Neokolonialismus“: Brasiliens Präsident erteilt EU-Forderungen eine Absage

Die EU will unter anderem ein Freihandelsabkommen mit der lateinamerikanischen Gemeinschaft Mercosur umsetzen. Diese soll jedoch europäische „Klimazölle“ akzeptieren. Brasilien und weitere Länder sind dazu nicht bereit.
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Findet über die Freihandelspolitik der EU nur wenig schmeichelhafte Worte: Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (l) und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen.Foto: JEAN-CHRISTOPHE VERHAEGEN/AFP via Getty Images
Von 24. August 2023

Anlässlich des Mitte Juli abgehaltenen Gipfels mit der Gruppe der Lateinamerikanischen und karibischen Staaten (CELAC) hat die EU nicht nur Großbritannien verärgert. Anlass dafür war die Bezeichnung der Falkland-Inseln in einer Erklärung als „Malvinas“. Auch der Gipfel selbst brachte kaum zählbare Ergebnisse.

Man wollte der geplanten Umsetzung eines Freihandelsabkommens mit den Mercosur-Staaten näherkommen. Dem Zusammenschluss gehören unter anderem Brasilien, Argentinien, Paraguay und Bolivien an. Eine grundlegende Vereinbarung gibt es bereits seit 2019. Vor allem Brasilien machte jedoch deutlich, dass an weitere Schritte gegenwärtig nicht zu denken sei.

Deutliche Absagen aus Brasilien und Paraguay

Einer der Gründe dafür sind europäische Forderungen an die Freihandelspartner in spe, die wenig mit dem Handel selbst zu tun haben. Unter anderem geht es um die Gestaltung der Umwelt- und Klimapolitik, mit Blick auf Länder wie Brasilien vor allem um den Umgang mit dem Regenwald.

Auch im August haben sich die Gesprächsparteien noch nicht angenähert. Wie die „Welt“ berichtet, betonte insbesondere Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, Belehrungen aus Brüssel nicht akzeptieren zu wollen. Europas Forderungen an die Mercosur-Staaten hemmten deren Entwicklung. In diesem Zusammenhang habe Lula geäußert:

Wir können keinen grünen Neokolonialismus akzeptieren, der unter dem Deckmantel des Umweltschutzes Handelshemmnisse einführt.“

Paraguays Präsident Santiago Peña sprach von „einfach inakzeptablen“ Forderungen aus Brüssel. Er plädierte dafür, die Gespräche mit der EU „auf Eis“ zu legen. Die Wünsche der EU seien „einfach inakzeptabel“.

Verdirbt es sich die EU mit mehreren Partnern gleichzeitig?

Für die Europäer wird die welthandelspolitische Lage damit zunehmend ungünstig – obwohl die Entwicklung für viele nicht überraschend kommt. Zwar ist Europa spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Entkolonialisierung keine Weltmacht mehr, in den Köpfen vieler seiner Politiker ist dies möglicherweise jedoch noch nicht gänzlich angekommen.

Immer noch scheint man in Brüssel eigene Befindlichkeiten als deckungsgleich mit den Interessen aller Länder der Welt wahrzunehmen. Dies führt dazu, dass europäisches Sendungsbewusstsein häufig die Gestaltung politischer und wirtschaftlicher Beziehungen zu Staaten belastet, die dies anders sehen. Dabei spielt es nicht einmal immer eine Rolle, ob diese als freundlich oder feindselig wahrgenommen werden.

Mit Energiepartner Russland hat die EU infolge des Ukraine-Konflikts gebrochen. Mit Blick auf die USA ist das einst geplante Freihandelsabkommen TTIP in den 2010er-Jahren nicht zuletzt an europäischen Positionen gescheitert. In Afrika ist man von europäischen Mahnungen zu einem Verzicht auf fossile Energieträger wenig angetan – erst recht nicht, wenn man wenig später selbst als Erdgaslieferant einspringen soll. Und Großbritannien schließt seit dem Brexit immer mehr Freihandelsabkommen im Alleingang ab, die zuvor an umweltpolitischen Sensibilitäten der EU gescheitert waren.

Freihandelsgespräche mit Mercosur und weiteren Staaten stocken

Der Rest der Welt scheint sich damit aus Sicht der politisch Verantwortlichen in Brüssel von Europa zu isolieren. Diese Entwicklung hat die EU zunehmend von China abhängig gemacht, dessen Exportgüter die Europäer nicht zuletzt für ihre klimapolitischen Vorhaben benötigen.

Immerhin verfügt China über Seltene Erden und Rohstoffe für Elektroautos. Aber auch Solarpanels und Bauteile für Windkraftanlagen kommen häufig von dort. In einigen Fällen werden sie von Unternehmen produziert, die vor ihrer Produktionsverlagerung nach China mit europäischen Subventionen aufgebaut wurden.

Um sich unabhängiger von Peking und dessen KP-Regime zu machen, strebt die EU nun mehr Freihandelsabkommen mit Drittstaaten an. Dazu gehören unter anderem die Philippinen, Thailand, Indien, Indonesien oder eben die Mercosur-Gruppe.

Maschinenbau-Verband mahnt zur Zurückhaltung

Von einem Freihandelsabkommen mit Mercosur verspricht man sich in Brüssel unter anderem den Zugriff auf Rohstoffvorkommen in Lateinamerika. Dazu gehören etwa Kupfer, Silber oder Lithium. Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), hält eine Vereinbarung längst für überfällig.

Dazu käme der Faktor der Personenfreizügigkeit. Diese zu erleichtern, könnte dem demografischen Abstieg und dem Fachkräftemangel in Europa gegensteuern. Die EU lockt mit der Aussicht auf den Zugang zu einem Binnenmarkt mit 451 Millionen Menschen. Allerdings nimmt diese Zahl stetig ab – und infolge von Krieg, Inflation und zunehmenden Belastungen auch deren Kaufkraft.

Die EU will es jedoch nicht bei technischen Vereinbarungen zu diesen Fachthemen belassen. Ihr geht es um Umweltstandards, Klimaschutz, soziale Standards und geopolitische Zusicherungen. Brodtmann spricht von einer Tendenz der EU, „die Handelsabkommen mit Themen zu überfrachten, die nicht direkt mit Handel zu tun haben“.

Ab Oktober will die EU „Klimazölle“ verhängen

So wollte man in Berlin die CELAC-Staaten zu einem Zusatzprotokoll drängen, in dem diese sich zu „nachhaltigem Umwelt- und Klimaschutz“ bekennen sollten. Vor allem zielte dies auf den Umgang mit der Bewirtschaftung des Regenwaldes ab. Darüber hinaus wollte man eine Verurteilung des „russischen Angriffskrieges“ vonseiten der lateinamerikanischen Länder erwirken.

Vor allem Brasilien machte deutlich, sich diesen Forderungen nicht beugen zu wollen. Viele weitere Länder des Globalen Südens sehen dies ähnlich. Dort nimmt man die umwelt- und klimapolitischen Forderungen der Europäer als Vorwand wahr, sich in die Souveränität anderer Staaten einzumischen.

Gleichzeitig will sich die EU selbst beispielsweise das Recht vorbehalten, sogenannte Klimazölle zu verhängen. Im Oktober soll der sogenannte „Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CBAM) in Kraft treten. Für eine Reihe von Waren aus Ländern wie Indien oder der Mercosur-Gruppe würde ein Aufschlag fällig, weil diese Umweltvorgaben nicht entsprächen. Dass vor diesem Hintergrund die Bereitschaft Indiens wenig Motivation für eine Intensivierung von Freihandelsgesprächen verspürt, ist da wenig überraschend.



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