Individuelle Inflation womöglich bei 15 Prozent und mehr
Die Deutsche Bundesbank erwartet weiterhin steigende Verbraucherpreise. „Insgesamt könnte die Inflationsrate im Herbst eine Größenordnung von zehn Prozent erreichen“, liest man im aktuellen Monatsbericht aus Frankfurt. Gründe für Erhöhung liegen unter anderem im Auslaufen des sogenannten Entlastungspakets. Ab dem 1. September 2022 entfallen Tankrabatts sowie das 9-Euro-Ticket. Vor allem die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro ab Oktober dürften den Kostendruck und damit die Inflation weiter antreiben.
Ein weiterer, oft vergessener Faktor für hohe Verbraucherpreise ist die Schwäche des Euros. So wertete die Einheitswährung im Vergleich zum Dollar binnen eines Jahres um 15,5 Prozent ab, was mit 0,9929 Dollar den niedrigsten Wert seit fünf Jahren markiert. Eine schwache Währung erzeugt auch schwache Zinsen – und umgedreht. Und da Geld tendenziell in jene Länder fließt, die höhere Zinsen anbieten können – was wiederum den Wechselkurs nach oben treibt – ist eine geringere Inflation vorerst nicht zu erwarten.
Die Betrachtung der Kerninflation ist maßgeblich
Aktuelle Untersuchungen zeigen nun, dass die Inflation anders ausfallen könnte, als es die Behörden verkünden. Die Ökonomen Marijin A. Bolhuis, Judd N.L. Cramer und Lawrence H. Summer widmeten sich der Tatsache, dass in früheren Zeiten die Inflationsrate in den USA anders gemessen wurde. Diese Ungleichheit bereinigten die Wissenschaftler und berechneten die Daten einheitlich. Das Ergebnis liegt jetzt vor.
„Unsere Analyse deckt auf, dass die gegenwärtige Inflation, vor allem die Kerninflation, erheblich näher an den früheren Spitzenwerten liegt, als es aus den offiziellen Zahlen hervorgeht“, so die Autoren in der „Welt“. Unter Kerninflation versteht man einen Wert, bei dem bestimmte Faktoren in der Berechnung nicht berücksichtigt werden.
Da Energie und Lebensmittel großen Schwankungen ausgeliefert sind, verfälschen sie laut einigen Volkswirten die Teuerungsrate und werden daher ausgeklammert. Die Ursache dieser Schwankungen liegt demnach nicht in der betrachteten Volkswirtschaft selbst, sondern an externen Faktoren wie zum Beispiel dem Krieg in der Ukraine oder Lieferengpässen aufgrund der Lockdowns anderer Länder. So herrscht beispielsweise Knappheit bei gewissen Medikamenten, da vor allem Generika in China hergestellt werden. Da Peking besonders rigide Lockdowns in die Wege geleitet hat, hatte dies zur Folge, dass über Wochen, teilweise Monate, Schiffe mit Waren nicht auslaufen durften.
Im Juni 1980 lag die Kerninflation laut den Erhebungen der Forscher bei 9,1 Prozent, die offizielle Zahl der Behörden lag jedoch bei 13 Prozent. Die aktuelle Kerninflation beträgt in den USA derzeit 5,9 Prozent, in Deutschland 3,2 Prozent. Hier zeigt sich, wie viel Einfluss Energie und Lebensmittel haben – wenn Experten der Bundesbank von zweistelligen Steigerungsraten ausgehen, wie am Anfang erwähnt.
Wie hoch die Belastung für den Bürger ist, lässt sich bereits an wenigen Zahlen festmachen. Ein Beispiel, das besonders prägnant erscheint, ist die 1,5-PET-Flasche Mineralwasser. Seit mehr als 20 Jahren kostet die jeweilige Eigenmarke der Supermärkte 19 Cent. Nun kosten alle diese Wasserflaschen einhellig 25 Cent, was eine Preissteigerung von mehr als 30 Prozent ergibt. Dies deckt sich auch mit den Statistiken zu Preissteigerungen von Nahrungsmitteln. Im Vergleich zum Juli 2021 stiegen die Preise für Nahrungsmittel um 14,8 Prozent und die Energiepreise sogar um 35,5 Prozent.
Wenn man den Fokus auf den Kaufkraftverlust rückt, so wird schnell klar: Der Bürger verliert durch die hohe Inflation effektiv Geld. Nimmt man an, dass ein Monatsgehalt 1.000 Euro netto beträgt, also 12.000 Euro im Jahr, beträgt bei einer Inflation von 9 Prozent die Kaufkraft am Ende des Jahres knapp 11.000 Euro. Zwar hat der Arbeitnehmer einen Nettolohn von 12.000 erhalten, kann sich jedoch, da das Geld an Wert verliert, nur noch Waren im Wert von 11.000 Euro leisten (Berechnung mit Inflationsrechner von Finanz-Tools.de).
Warenkorb ist nicht immer korrekt bestückt
Ob EZB-Präsidentin Christine Lagarde den Mut aufbringt, die Zinsen stark zu erhöhen, ist ungewiss. Zwar ist entschieden, die Leitzinsen um jeweils 0,5 Prozent zu erhöhen. „Weitere Normalisierungen“ sollen laut der Präsidentin folgen. Ob dies die Preissteigerung in dem Maße einfangen lässt, dass es bei den Verbrauchern ankommt, wird sich zeigen.
Auf der Seite des Bundesamts für Statistik destatis.de kann sich jeder Bürger seine eigene, individuelle Inflation errechnen. So ist es gut möglich, dass eine Familie mit zwei Kindern, die zur Miete in einer Metropole lebt, eine private Teuerungsrate von mehr als 15 Prozent und mehr aufzuweisen hat. Ähnlich kann es Studenten und Rentnern gehen.
Dabei ist immer noch nicht gesagt, ob die Inflation korrekt berechnet wurde. Nicht immer gibt der Warenkorb, der die Teuerungsrate abbilden soll, den realistischen Bedarf wieder. Das Konsumverhalten des Verbrauchers ändert sich schneller, als der Warenkorb aktualisiert wird. Problematisch hierbei ist, dass die Gewichtung nur alle fünf Jahre abgeglichen und überarbeitet wird.
Es ist jedoch offensichtlich, wie stark sich das Konsumverhalten gerade in den letzten zwei Jahren verändert hat. Beispielsweise der Besuch im Kino oder im Restaurant, was zeitweise nicht oder nur eingeschränkt möglich war, oder der Anstieg von Liefer- und Streamingdiensten. Auch den Preisverfall aufgrund technischen Fortschritts beispielsweise bei Computern kann der Warenkorb oftmals nicht abbilden.
So ist also davon auszugehen, dass die Inflation auch in den nächsten Monaten steigen wird. Jedoch hat die Europäische Zentralbank alle Mittel in der Hand, gegen diesen Trend anzusteuern. In den USA liegt der Leitzins bei 2,5 Prozent – in Deutschland dagegen nur bei 0,5 Prozent.
Über den Autor:
Julian Marius Plutz ist Publizist und wohnt in Nürnberg. Zu seinen Schwerpunkten gehören neben der Ökonomie die Politik und die Medienkritik.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 59, vom 27. August 2022. >>> Shop
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