Ist ein Schuldenschnitt durch Krieg die Lösung ökonomischer Probleme?

Durch den aktuellen Konflikt kann sehr gut von eigenen Dingen abgelenkt werden. In Kriegszeiten kann auch über Notstandsgesetze administrativ in die Märkte und die Preise ohne nennenswerte Widerstände der Bevölkerung eingegriffen werden, meint Prof. Dr. Christian Kreiß.
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Dollar- und Euro-Scheine.Foto: iStock
Von 14. März 2022

Die weltweiten Schulden sind so hoch wie noch nie. Die führenden Notenbanken der Industrieländer haben so viel frisches Geld gedruckt wie noch nie. Während Corona wurden ungeheuer viele Schecks auf die Zukunft gezogen, die unmöglich jemals eingelöst werden können.

In irgendeiner Form muss ein Geld- und Schuldenschnitt kommen. Wäre ein großer Ukraine-Krieg eine Lösung für unsere Finanzprobleme?

Die ökonomische Entwicklung seit 1980

Seit etwa 1980 sehen wir in den USA, aber auch in vielen anderen Industrienationen, eine zunehmende Ungleichverteilung. Die Schere zwischen Arm und Reich, genauer, zwischen den Wohlhabenden und der Mittelschicht bzw. den unteren Einkommensschichten ist aufgegangen. Das war auch politisch durchaus so gewollt.

Von der „konservativen Revolution“, die 1980 in den USA und Großbritannien begann, ging das Motto aus: Macht die Reichen reicher, entlastet die Unternehmen steuerlich, dann wird mehr investiert und das Wachstum steigt. Das hat auch funktioniert, allerdings unter Inkaufnahme zunehmender Ungleichverteilung, das heißt, dass ein großer Teil des zunehmenden materiellen Wohlstands nach oben zu den ohnehin schon Wohlhabenden geflossen ist. 

Massenproduktion ist aber nur möglich bei Massennachfrage und diese setzt wiederum Massenkaufkraft voraus. Aber just die Massenkaufkraft ist nur sehr wenig gestiegen, da die Löhne zurückgeblieben sind. Wie war also das starke Wirtschaftswachstum überhaupt möglich?

Wer hat mit welchem Geld die ganzen zusätzlichen Produkte und Dienstleistungen gekauft? Das funktionierte nur über zunehmende Schulden. Die weltweiten Schulden sind derzeit mit 296 Billionen US-Dollar, das entspricht 353 Prozent der weltweiten Wirtschaftskraft (Global Debt Monitor September 2021), so hoch wie noch nie und können unmöglich jemals zurückbezahlt werden.

Was ist also von 1980 bis heute geschehen? Das zusätzliche Geld und Kapital hat sich mehr und mehr bei einer kleinen Oberschicht konzentriert. Von dieser wurde es wieder renditemaximierend in neue Investitionen gesteckt, für die eigentlich die Massennachfrage gefehlt hat. Die Massennachfrage hat man dann über zusätzlich Kredite geschaffen. Es hat also ein nicht organisches, nicht gesundes, sondern krankes, krebsartiges Wachstum stattgefunden.

Neue Schulden: Ungesundes, krebsartiges Wachstum

2007 war ein unhaltbarer Zustand dieser Entwicklungen erreicht. Die Schulden waren zu hoch geworden und insbesondere die Immobilienmärkte (aber nicht nur diese) waren krebsartig gewachsen. Das führte zu der Finanzkrise 2007 bis 2009, die die Welt an den Rand eines Zusammenbruchs des Weltfinanzsystems führte.

Das Schuldenproblem wurde „gelöst“, indem neue Schulden aufgenommen wurden. Das war möglich, weil die Notenbanken in fast allen Industriestaaten die Zinsen auf oder nahe null gesetzt und frisches Geld in noch nie da gewesenem Maße gedruckt haben – der Fachausdruck dafür ist quantitative easing, quantitative Lockerung bzw. Geldmengenausweitung. Die USA haben die Zentralbankgeldmenge seit 2007 grob verelffacht, die EZB etwa verneunfacht. 

So stehen wir heute nicht nur vor einem unlösbaren Schuldenproblem, sondern auch vor einer riesigen Geldblase, die beide das finanzielle Spiegelbild des eigentlich zu Grunde liegenden ökonomischen Problems sind: Die Massennachfrage ist zu gering, die Produktionskapazitäten sind, gemessen an den Masseneinkommen, viel zu hoch, weil die Ungleichverteilung ständig gestiegen ist.

Ein großer Teil des Wirtschaftswachstums der letzten 40 Jahre war krebsartiges, ungesundes, schuldenfinanziertes und daher nicht nachhaltiges Wachstum. 

Krieg als Lösung der ökonomischen Probleme?

„Die“ Lösung „der“ Finanzmarkt- oder Überkapazitätsprobleme ist zu allgemein. Ich möchte daher auf ganz bestimmte konkrete Interessenlagen eingehen. Zunächst die USA. Wie stellt sich die polit-ökonomische Lage aus US-Sicht dar? Aus Perspektive der USA ist Mitteleuropa, insbesondere Deutschland, ein beachtlicher ökonomischer Rivale.

Deutschland ist die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt. Technik, Produktion, Produktivität, Effizienz sind im internationalen Vergleich ausgezeichnet. Dazu kommt, dass Deutschland seit der Wiedervereinigung von der Einwohnerzahl her deutlich größer als Frankreich, Großbritannien und Italien ist und daher zumindest das Potenzial hat, sich politisch stärker geltend zu machen. Vermutlich sind weder ein starkes Europa noch ein starkes Deutschland unter machtpolitischen Aspekten im Interesse der USA, im Gegenteil, es sind unangenehme Konkurrenten. 

Von daher könnte die Schwächung Europas, vornehmlich Mitteleuropas, auch ein mögliches Ziel im Ukraine-Konflikt sein. Unter rein hegemonialpolitischen Gesichtspunkten sehe ich keinen triftigen Grund für die USA, bei einem möglichen Vormarsch russischer Truppen nach Westen, Polen oder Deutschland militärisch ernsthaft zu unterstützen. Im Gegenteil. Aus machtpolitischer Sicht könnte ein solcher militärischer Vorstoß nach Mitteleuropa den USA durchaus willkommen sein. Eine echte, tiefe Allianz zwischen Russland und Deutschland könnte für die USA heikel sein.

China als lachender Dritter?

Unter machtpolitischen Gesichtspunkten wäre für China ein großer Konflikt zwischen der NATO und Russland auf europäischem Territorium vorteilhaft. Als lachender Dritter könnte man die kriegführenden Parteien mit allen Arten von zivilem und ggf. auch mit Kriegsmaterial beliefern.

China hat daher großes Interesse daran, den Konflikt zu schüren und zum Krieg zu ermuntern. China hat sich bislang stark auf die Seite Russlands gestellt, was eine mögliche Eskalation des Krieges umso wahrscheinlicher macht, da Putin nicht mit einem Zweifrontenkrieg rechnen muss, im Gegenteil.

Die Lösung ökonomischer Probleme?

Schon heute zeichnet sich ab, dass man durch den Ukraine-Konflikt sehr gut von eigenen Problemen ablenken und Putin leicht zum Sündenbock für viele Arten von ökonomischen und Finanzproblemen in der Weltwirtschaft machen kann.

Ihm wird schon heute die Schuld an einer kommenden Inflation oder Stagflation gegeben – und nicht etwa dem Gelddrucken der Notenbanken oder den für die Finanzbranche lukrativen Schuldenexzessen der letzten Jahrzehnte oder den explosionsartig wachsenden Vermögen der Milliardäre. 

In Kriegszeiten kann über Notstandsgesetze in die Märkte und in die Preise administrativ relativ einfach und ohne nennenswerte Widerstände der Bevölkerung eingegriffen werden, sodass beispielsweise tatsächlich vergleichsweise einfach über Inflationsprozesse ein Schuldenschnitt herbeigeführt werden könnte.

Die Toleranz der Menschen gegenüber gravierenden Staatseingriffen, Inflation oder Vermögenseingriffen ist in Kriegszeiten und angesichts täglicher schauerlicher Kriegsbilder ungleich höher als in Friedenszeiten. Falls größere Teile der Produktionsanlagen in Mittel- und Osteuropa durch einen Krieg zerstört werden sollten, würde sogar das ursprünglich zu Grunde liegende Problem der Überkapazitäten gelöst – zugunsten der Länder, auf deren Territorien keine Kampfhandlungen stattfinden. Man kann danach am Wiederaufbau gleich mitverdienen.

Was kommt?

Bereits vor dem Ukraine-Konflikt gab es reichlich Grund zur Sorge um das Wohl und Wehe der Weltwirtschaft: Die hohen Schulden, die Geldblase, überbewertete Aktien- und Immobilienmärkte, starke Armut und Hunger in Entwicklungsländern usw. – was alles durch die Corona-Maßnahmen noch dramatisch verschlimmert wurde.

Durch die Kriegshandlungen schnellen derzeit (Stand 4.3.22) zusätzlich die Energie- und Lebensmittelpreise sowie die Preise einiger Rohstoffe in die Höhe. Das dürfte für sehr viele Unternehmen, Länder und zahllose Menschen eine große, vielleicht nicht mehr tragbare Belastung darstellen.

Die Aktienbörsen sind seit den Kampfhandlungen abgestürzt und schwanken dramatisch. Wenn der Konflikt weiter anhält, dürften die Weltkapitalmärkte vor großen Turbulenzen und vermutlich einem Crash stehen.

Prof. Dr. Christian Kreiß (Jahrgang 1962) studierte und promovierte in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Er war neun Jahre als Bankier tätig, davon sieben Jahre als Investmentbanker. Seit 2002 ist er Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre und Autor mehrerer Bücher wie „Gekaufte Wissenschaft“ (2020) und „Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft“ (2019).  www.menschengerechtewirtschaft.de

Der Artikel erschien zuerst in der Wochenzeitung Ausgabe Nr. 35, am 11. März 2022.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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