IWF: Energiepreise und Demografie werden Standort Deutschland dauerhaft belasten

Der IWF geht davon aus, dass die Wirtschaft in Deutschland auch langfristig stagniert. Er schlägt Rezepte vor, die Minister Lindner als fragwürdig erachtet.
Das Logo des Internationale Währungsfonds an dessen Hauptsitz in Washington.
Das Logo des Internationalen Währungsfonds an dessen Hauptsitz in Washington.Foto: Jim Lo Scalzo/EPA/dpa
Von 23. Mai 2023

Mit einer düsteren Prognose für Deutschland und dessen Wirtschaft ließ jüngst der Internationale Währungsfonds (IWF) aufhorchen. Mitte des Monats publizierten Berichterstatter zum Abschluss einer sogenannten Artikel-IV-Mission eine vorläufige Einschätzung.

Eine solche Mission dient der Evaluierung der wirtschaftlichen Situation eines Landes. Experten führen dafür Gespräche mit Unternehmen, Gewerkschaften, Ministerien und der Bundesbank.

Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft in Gefahr

In dem Papier attestierte man Deutschland zwar, trotz ausbleibender Gasimporte aus Russland den Winter einigermaßen gut überstanden zu haben. Dies habe nicht zuletzt an den verhältnismäßig milden Temperaturen gelegen. Langfristig werde die deutsche Wirtschaft dennoch nicht aus der Stagnation herauskommen. Dies liege an zahlreichen Faktoren, die zum Teil hausgemacht seien.

Auf internationaler Ebene belasteten steigende Zinsen und verschärfte Finanzierungsbedingungen die Wirtschaftstätigkeit. Dies hemme auch in Deutschland die Wirtschaftsentwicklung, heißt es in dem Papier. Vor allem in zinssensiblen Sektoren wie dem Bau von Wohnimmobilien mache sich dies bemerkbar.

Ein weiterer entscheidender Wettbewerbsnachteil seien jedoch die anhaltend hohen Energiekosten. Diese stellten hauptsächlich in energieintensiven Sektoren der Industrie deren Wettbewerbsfähigkeit infrage.

Chemische Industrie bestätigt Einschätzungen des IWF

Der IWF rechnet für dieses Jahr nicht mit einem Wachstum der deutschen Wirtschaft. Auch für die drei darauffolgenden Jahre hält man ein Plus von mehr als zwei Prozent für wenig realistisch. Langfristig werde sich das Wachstum wahrscheinlich sogar unter einem Prozent einpendeln. Dies sei auch eine Konsequenz von Überalterung und einem zunehmenden Fachkräftemangel. Außerdem seien die Produktivitätsgewinne zu gering.

Kurzfristig schadeten der deutschen Wirtschaft jedoch primär die Energiepreise. Markus Steilemann, Präsident des Verbandes der chemischen Industrie (VCI), bestätigt gegenüber der „Berliner Zeitung“ die Einschätzung. Bereits jetzt seien die Anlagen in der Chemieindustrie lediglich zu 78,6 Prozent ausgelastet. Für das laufende Jahr sei von einem Produktionsrückgang von fünf Prozent auszugehen.

Zwar lösten sich Lieferengpässe in der Industrie allmählich auf, heißt es aus dem Verband. Die Energiepreise seien jedoch nach wie vor deutlich über dem Niveau vor dem Ukraine-Krieg angesiedelt – zum Teil beliefen sie sich auf das Doppelte:

Strom und Gas sind immer noch deutlich teurer als vor der Krise und im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähig.“

Für immer mehr Industrieunternehmen werde die Abwanderung ins Ausland zur ernsthaften Option.

IWF: „Schuldenbremse lockern, dafür Sondervermögen zurückfahren“

Aber auch abseits der Energiepreise mache sich die Teuerung bemerkbar. Bis zum Ende des Jahres rechnet der IWF zwar mit einem Rückgang auf 4,5 Prozent – im April waren es noch 7,2 –, dennoch sei dies immer noch deutlich über dem langfristigen Zwei-Prozent-Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB). Die sogenannte Kerninflation abseits von Energie- und Lebensmittelkosten sei noch zäher, so die Einschätzung.

Der IWF nennt auch einige Handlungsempfehlungen, die Deutschland aus seiner Sicht helfen könnten, der ungünstigen Entwicklung gegenzusteuern. So regt das Papier an, die Schuldenbremse temporär „vielleicht um einen Prozentpunkt“ anzuheben. Diese begrenze derzeit auf Bundesebene die jährliche strukturelle Neuverschuldung auf 0,35 Prozent des BIP.

Aus Sicht des IWF verhindert diese fiskalische Spielräume, um auf Schocks zu reagieren. Zudem sei ein vorübergehender Energie-Soli zugunsten ärmerer Bevölkerungsschichten eine mögliche Option. Im Gegenzug solle es zu einem Rückbau der Schattenhaushalte und Sondervermögen kommen, auf die der Bund derzeit zurückgreife.

EU will Spielregeln für Stabilitätspakt verändern

Bundesfinanzminister Christian Lindner hat die Infragestellung der Schuldenbremse oder Steuererhöhungen bislang entschieden abgelehnt. Er setzt auf „finanzielle Zurückhaltung und angebotsseitige Maßnahmen“.

Wie die „Welt“ berichtet, könnte ihm jedoch schon bald ein weiterer Gegenspieler in Sachen Fiskalpolitik erwachsen. Der IWF spricht nämlich auch davon, dass Deutschland die vorgeschlagenen Maßnahmen bis zur geplanten Reform des EU-Stabilitätspakts aufschieben soll.

Bislang sieht dieser gleiche Spielregeln für alle Mitgliedstaaten vor: Die Defizite in den Länderhaushalten dürfen drei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung nicht überschreiten. Gleichzeitig ist die Verschuldung auf 60 Prozent zu begrenzen.

Nach Corona hält die Kommission diese Regeln für nicht mehr tragfähig – zu viele Mitgliedstaaten würden daran scheitern. Stattdessen will die Kommission künftig individuell und von Fall zu Fall unterschiedliche Pläne zur Schuldenregulierung vereinbaren.

Immerhin bleiben zwei Grundsätze dabei aufrecht: Zum einen sollen Staaten mit großen Defiziten ihre Schuldenquote jährlich um einen halben Prozentpunkt senken. Zum anderen solle das Ausgabenwachstum nicht größer als das unter Normalbedingungen stattfindende Wirtschaftswachstum sein.



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