Kann der Euro etwas vom Yen lernen?

Die EZB und die japanische Zentralbank stehen vor ähnlichen Problemen: Die Währungen sind schwach, eine geldpolitische Falle tut sich auf.
Geldpolitische Falle – Kann der Euro etwas vom Yen lernen?
Die Charts zeigen oft nach unten: an der Tokioter Börse am 30. Juni 2022.Foto: KAZUHIRO NOGI/AFP via Getty Images
Von 16. Juli 2022

In Japan und der Eurozone haben es die beiden Zentralbanken Bank of Japan und die Europäische Zentralbank (EZB) mit ähnlichen, wenn auch punktuell voneinander abweichenden Phänomenen zu tun. Summa summarum lässt sich sagen, dass die über das letzte Jahrzehnt jeweils verfolgten Strategien der beiden Notenbanken schnurstracks den Weg in eine geldpolitische Falle geebnet haben, aus der es kein Entrinnen mehr zu geben scheint.

Ablesen lässt sich diese Vermutung nun schon seit einiger Zeit an den jeweiligen Kursverläufen des japanischen Yens und des Euros. Japan, das sich seit dem Jahr 2002 als erstes Land auf der Welt einem Ankauf von Bonds aller Art (Quantitative Easing; QE) bedient hat, um nach einer ehedem geplatzten Aktien- und Immobilienblase eine hartnäckige Deflation zu bekämpfen, sieht sich nun zwanzig Jahre später vor seine geldpolitischen Grenzen gestellt.

Unlimitiert Geld aus dem Nichts erzeugen

Laut den jüngst eingegangenen Inflationsdaten kann von einem deflationären Trend in Japan inzwischen keine Rede mehr sein. Trotz allem kündigte Haruhiko Kuroda, Gouverneur der Bank of Japan, kürzlich an, auch weiterhin unlimitiert Geldeinheiten aus dem Nichts erzeugen zu wollen. Ziel ist, die Kontrolle über die heimische Zinskurve durch die Bank of Japan mit allen Mitteln aufrechtzuerhalten.

Notwendig wurden die erneut aufgenommenen QE-Aktivitäten aus Sicht der japanischen Notenbank aufgrund eines zeitweisen Überschießens der Zinsen an den Staatsanleihemärkten. So hatte der Zins im Bereich von Regierungsbonds mit einer Laufzeit von zehn Jahren in den vergangenen Wochen wiederholt jene durch die Bank of Japan in Form einer roten Linie gezeichneten Obergrenze von 0,25 Prozentpunkten überschritten.

Japan, eine der weltweit am höchsten verschuldeten Nationen, kann sich steigende Zinsen schlichtweg nicht leisten, wenn nicht der Ausbruch einer Fiskal- und Schuldenkrise in der Heimat riskiert werden soll.

Der Yen erweckt den Eindruck eines angeschlagenen Boxers

Die inzwischen getroffene Entscheidung, unlimitiert Geld aus dem Nichts zu erzeugen, um durch steigende Bondankäufe den Verlauf der heimischen Zinskurve zu kontrollieren, zeigt das ganze Dilemma auf, in welchem sich die Bank of Japan befindet.

Es stellt sich nämlich die Frage, was wichtiger ist: den Versuch einer Zinskontrolle nicht aufzugeben oder dabei zuzuschauen, wie der japanische Yen zeitgleich von einem Tief zum nächsten taumelt. Nachdem der Yen zuletzt auf ein Multi-Dekaden-Tief von 135 Yen gegenüber dem US-Dollar gesunken war, warnen Währungsanalysten davor, dass sich diese Talfahrt bis auf 150 Yen pro US-Dollar fortsetzen könnte.

Kürzlich wurde bekannt, dass die Bank of Japan inzwischen mehr als fünfzig Prozent aller emittierten Staatsanleihen (JGBs) in ihrem Portfolio hält. Versicherungen, Banken und andere Finanzmarktbeobachter warnen mittlerweile ganz offen vor einer möglicherweise noch stark zunehmenden Dysfunktionalität der japanischen Staatsanleihemärkte.

EZB steckt in einem ähnlichen Dilemma

Ein Blick auf die aktuellen Entwicklungen an den Finanzmärkten der Eurozone lässt vermuten, dass es die EZB schon recht bald mit ähnlichen Problemen zu tun bekommen könnte.

Denn hier hatte allein die Ankündigung von EZB-Chefin Christine Lagarde, den Leitzins in der Eurozone im laufenden Monat um mickrige 25 Basispunkte anheben zu wollen, einmal mehr für teilweise stark abweichende Zinsdifferenzen zwischen deutschen Bundesanleihen sowie den umlaufenden Staatsanleihen der Eurozonen-Südländer im vornehmlich zehnjährigen Bereich geführt.

Um ein potenzielles Auseinanderdriften der Zinsen in der Eurozone zu verhindern, hatte die Europäische Zentralbank zuletzt von einem „neuen Instrument“ gesprochen, das genutzt werden soll, um diese Probleme zu adressieren.

Eine „Operation Twist“ unter neuem Namen

Bei Licht besehen – und anhand dessen, was bislang bekannt geworden ist – handelt es sich hierbei allerdings nur um eine Fortsetzung der QE-Aktivitäten der Europäischen Zentralbank. In einer der Federal-Reserve-Bank-ähnlichen Maßnahme sollen Erträge aus zeitlich auslaufenden Anleihen in Reinvestitionen im Bereich der Südländer-Anleihen fließen.

Vornehmlich sollen also Erträge aus auslaufenden deutschen und französischen Anleihen in einer Art „Operation Twist“ verstärkt in Südländer-Anleihen reinvestiert werden. Es scheiden sich die Geister, ob ein solcher Plan mit der aktuellen Gesetzeslage überhaupt kongruent ist.

Das Dilemma, in dem die Europäische Zentralbank steckt, wird anhand der Tatsache deutlich, dass die EZB angesichts einer rekordhohen Produzenten- und Verbraucherpreisinflation in der Eurozone – und ganz speziell in Deutschland – ihren Leitzins bis dato noch nicht ein einziges Mal angehoben hat – und wahrscheinlich auch nicht in einem zufriedenstellenden Ausmaß wird anheben können.

Das Ende der Netto-Anleihenkäufe wurde zum 1. Juli 2022 beschlossen, die nächste Sitzung des EZB-Rates ist für den 21. Juli angesetzt. Dann wird der Zins um 25 Basispunkte angehoben – was bei einer Produzentenpreis-Inflation von 35 Prozent in Deutschland und einer untertriebenen Inflationsrate von 8,7 Prozent in der Eurozone als Symbolismus erscheint. Der Realzins bleibt in der Eurozone massiv negativ.

Dass sich die Federal Reserve Bank in den USA bereit dazu zeigt, ihren Leitzins weiterhin in einem zunehmenden Tempo zu erhöhen, macht die Dinge aus Sicht der Bank of Japan und der EZB nicht einfacher. Denn auf diese Weise nehmen die globalen Zinsdivergenzen weiter zu, sowohl der Euro als auch der japanische Yen werden sich dem Abgabedruck wohl nicht so schnell entziehen können.

Schwacher Euro – ein Exportankurbelungsprogramm?

Nun stellt sich angesichts eines stark rückläufigen Weltwirtschaftswachstums die Frage, ob der mittlerweile extrem schwache Euro tatsächlich die Exporte in den wichtigsten Ökonomien der Eurozone ankurbeln wird.

Wer auf die zuletzt aus Deutschland vermeldeten Handelsdaten für den Monat Mai blickt, die erstmals seit Jahrzehnten negativ gewesen sind, könnte sich eines Besseren belehrt sehen. Bewusst sollte sein, dass der schwache Euro die Importpreise in der Eurozone, allen voran im Bereich von wichtigen Rohstoffgütern, zusätzlich anheizen dürfte.

Hinzu gesellt sich der Ausblick auf eine in ganz Europa weiter eskalierende Energiemarktkrise, in deren Zuge es zu einem signifikanten Wirtschaftseinbruch auf „dem alten Kontinent“ zu kommen droht. Gute Aussichten für einen anhaltenden Bestand des Euros sind dies gewiss nicht.

Über den Autor:

Roman Baudzus studierte Wirtschaftsinformatik. Nach verschiedenen Tätigkeiten in der Marketing-, Technologie- und Softwarebranche sowie einer Reihe von Auslandsaufenthalten gründete der Wirtschafts- und Afrika-Kenner im Jahr 2004 sein eigenes Unternehmen. Schon seit vielen Jahren lebt er in Afrika.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 53, vom 16. Juli 2022.



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