Top-Ökonom Polleit: Krieg gegen Israel und die Folgen für die Kapitalmärkte

Öl reagierte kaum, doch der Goldpreis legte zu: Welche Folgen ergeben sich durch den Angriff der Hamas auf Israel für Wirtschaft und Finanzmärkte? Offiziell sieht es ruhig aus, aber indirekte Effekte des Krieges könnten weltweite Wirkungen entfalten. Zudem ist Krieg ein ganz besonders wirksames Wachstumselixier für den Staat.
Aktienhändler verfolgen die Kursentwicklung auf ihren Monitoren im Handelssaal der Deutschen Börse. Deutschlands Börsenschwergewichte bekommen die weltweite Konjunkturschwäche und die hohen Energiepreise in Deutschland zunehmend zu spüren.
Aktienhändler verfolgen die Kursentwicklung auf ihren Monitoren im Handelssaal der Deutschen Börse.Foto: Boris Roessler/dpa
Von 17. Oktober 2023

Der Terrorangriff auf Israel durch die radikal-islamistische Hamas am 7. Oktober 2023 erschüttert die Weltöffentlichkeit, lässt viele Beobachter das Potenzial eines Flächenbrandes im Nahen Osten befürchten, wirft Fragen nach den wirtschaftlichen Folgen für die Weltwirtschaft auf. Ein kurzer Blick auf die internationalen Kapitalmärkte – auf denen bekanntlich Erwartungen über künftige Ereignisse gehandelt werden – zeigt allerdings, dass zumindest bisher von einer großen Besorgnis nichts zu spüren ist.

Öl reagierte kaum, doch der Goldpreis legte zu

Am 6. Oktober 2023, dem Freitag vor dem Angriff, stand der US-amerikanische Leitindex S&P 500 bei 4.310 Punkten, Ende vergangener Woche lag er nahezu unverändert bei 4.319 Punkten. In der gleichen Zeit gingen die Renditen der langlaufenden US-Staatsanleihen nur leicht um 0,2 Prozentpunkte auf jetzt 4,63 Prozent zurück.

Auch beim Rohölpreis sind große Bewegungen ausgeblieben. Öl der Marke Brent liegt nach seinem jüngsten Hochpunkt am 27. September 2023 von 93,68 US-Dollar pro Fass jetzt bei 87,69 US-Dollar pro Fass. Allein der Goldpreis legte kräftig zu. Er stieg von 1833 US-Dollar pro Feinunze am 6. Oktober auf 1.950 US-Dollar am 13. Oktober – ein Zugewinn von 6,4 Prozent.

Der Außenwert des israelischen Schekel hatte schon Anfang Oktober begonnen, ausgehend von 3,86 pro US-Dollar, merklich nachzugeben. Die Bank von Israel intervenierte daraufhin im Devisenmarkt und stabilisierte den Schekel-Wechselkurs gegenüber dem US-Dollar seither bei etwa 3,98. Die Rendite für zehnjährige israelische Staatsanleihen schnellten am 7. Oktober nur kurz auf 4,52 Prozent hoch, fielen bis zum 13. Oktober jedoch wieder auf 4,09 Prozent.

Deutlich hingegen reagierte der israelische Aktienmarktindex TA-125: Er verlor gut 6 Prozent. Eine nachvollziehbare Preisbewegung. Schließlich ist die Kriegsführung – vor allem, wenn sie sich zeitlich in die Länge zieht – nicht nur mit großem menschlichem Leid, sondern auch mit beträchtlichen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden, die Wachstum und Beschäftigung schädigen.

Mögliche indirekte Effekte des Krieges

Israel mit einer Bevölkerung von 9,4 Millionen Menschen hat derzeit etwa 170.000 Personen in der Armee, weitere 465.000 sind Reservisten. Ein Krieg, sollte er lange andauern und eskalieren, könnte also durchaus zu einer gewaltigen Kraftanstrengung für das Land werden – auch wenn Israel eine vergleichsweise wohlhabende Volkswirtschaft ist, mit einem Pro-Kopf-Jahreseinkommen von knapp 54.800 US-Dollar – das damit leicht höher als das Pro-Kopf-Einkommen in Italien und nur leicht unter dem Großbritanniens liegt.

Die direkten wirtschaftlichen Effekte, die Israel zu schultern hat, wären vermutlich recht begrenzt für den Rest der Welt. Israel ist eine vergleichsweise kleine Volkswirtschaft mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von umgerechnet 522 Mrd. US-Dollar. Zum Vergleich: das deutsche BIP beträgt 4,4 Billionen US-Dollar, das US-amerikanische knapp 27 Billionen US-Dollar.

Jedoch gibt es durchaus eine Reihe indirekter Effekte des Krieges, die weltweite Wirkungen entfalten könnten. An erster Stelle ist die Versorgung mit Öl zu nennen. Etwa ein Drittel der weltweiten Ölversorgung stammt schließlich aus dem Nahen Osten. Beeinträchtigungen bei Produktion und Transport dieses Ölangebotes (beispielsweise durch Störungen in der Transarabischen Pipeline, der Straße von Hormus oder im Suezkanal) würden die Versorgungslage in vielen westlichen Ländern deutlich beeinträchtigen, insbesondere durch eine Verteuerung der Treibstoffpreise.

Ein solches Szenario, das nur allzu leicht eine Rezession auslösen kann, würde dann wahrscheinlich geschehen, wenn beispielsweise die Vereinigten Staaten von Amerika und andere westliche Staaten in die Kampfhandlungen eintreten – und die arabische Welt den Schulterschluss gegen den intervenierenden Westen üben will.

Der Konflikt wird quasi internationalisiert

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Angriff der radikal-islamistischen Kräfte auf Israel auch im Westen verstärkt spürbar wird. Die politisch induzierte Einwanderung in den vergangenen Jahrzehnten aus dem arabischen Raum hat die Anzahl der israelfeindlichen Menschen in Europa und Nordamerika stark anschwellen lassen.

Der Palästina-Israel-Konflikt wird quasi internationalisiert, erreicht weite Teile der Welt, nicht nur beispielsweise Marokko, Pakistan und Indonesien, auch vor den Metropolen des Westens macht er nicht mehr Halt: Demonstrationen und Unruhen tragen dazu bei, den sozialen und politischen Frieden der Bevölkerungen des Westens zu untergraben.

Der Nahostkonflikt wird also in die Welt getragen – mit negativen Wirkungen für die Wachstums- und Beschäftigungsperspektiven der davon betroffenen Volkswirtschaften: Erfolgreiches und produktives Wirtschaften benötigt schließlich Frieden, einschließlich ein Mindestmaß an zwischenmenschlicher Harmonie.

Hinzu kommt, dass Verunsicherung, Sorgen und Ängste die Menschen in die Hände des vermeintlich beschützenden Staates treiben. Das ermächtigt Regierende, Bürokraten und diejenigen Sonderinteressengruppen, die den Staat für ihre Zwecke einzuspannen gedenken, auf Kosten der bürgerlichen und unternehmerischen Freiheiten.

Krieg ist ein ganz besonders wirksames Wachstumselixier für den Staat. In der Stunde der Not wird es dem Wahlvolk erschwert, die Auswüchse des Staates zu kontrollieren, in Zaum zu halten, Regierende und Bürokratie verbuchen hingegen Machtzuwächse. Die Interessenlage des Staates und der ihn (aus-)nutzenden Sonderinteressengruppen kann sogar zu einem Ausufern des Kriegsgeschehens führen. Die militärische Eskalation des Kriegsgeschehens ist und bleibt daher eine große, nicht zu unterschätzende Gefahr.

Es geht auch um geostrategische Interessen der Großmächte

Zudem ist an dieser Stelle zu bedenken, dass es in diesem Krieg letztlich nicht nur um Israel und Palästina geht, sondern die geostrategischen Interessen der Großmächte sind ebenfalls berührt.

Der neue Krieg ist damit nicht zuletzt eine weitere Herausforderung für die Vereinigten Staaten von Amerika und die ihnen folgenden westlichen Staaten durch die nicht-westlichen Länder, die sich jüngst öffentlichkeitswirksam im Club der „BRICS“-Staaten vereint haben, insbesondere auch, um der US-Dominanz und dem US-Imperialismus die Stirn zu bieten. Und daher bergen nicht nur „False Flag“-Ereignisse, sondern vornehmlich auch ein wachsendes Misstrauen gegenüber den „wahren Gründen“ für den Krieg ein hohes Eskalationspotential.

Der zentrale Schwachpunkt des Westens ist seine gewaltige Verschuldungslage, die eine Wirtschaftskontraktion im Grunde gar nicht mehr verträgt. So hat die öffentliche Schuldenlast in den USA die Marke von 33 Billionen US-Dollar oder 123 Prozent des US-Bruttoinlandsproduktes bereits überschritten. Und die aktuelle Haushaltslage ist extrem angespannt, sie gibt derzeit beispielsweise keine weitere Finanzierung der Ukraine im Krieg gegen Russland mehr her.

Eine Eskalation im Nahen Osten, in die Amerika militärisch eingreift, birgt erhebliche Finanzrisiken für die weltweit größte Volkswirtschaft: Schwindendes Vertrauen in die Qualität der US-Schulden und nicht zuletzt den US-Dollar als Weltreservewährung hätten das Potenzial, das weltweite Finanz- und Wirtschaftssystem aus den Angeln zu heben – mit unkalkulierbaren Disruptionen für Produktion und Beschäftigung auf der Welt.

Umsichtig handeln

Wenngleich also der Terror gegenüber Israel und dessen mögliche Folgen bislang keinen sichtbaren Eindruck im internationalen Kapitalmarkt hinterlassen haben, so heißt das zwar nicht, dass es nicht doch noch negative Rückkopplungen geben könnte – schließlich sind die Kapitalmärkte beileibe kein Maß für perfekte Voraussicht.

Jedoch zeigt sich in der aktuellen Erwartungshaltung der Investoren die Hoffnung, dass es doch noch gelingen kann, die schwelenden Konfliktherde, primär im Nahen Osten, vor einer Eskalation zu bewahren und das Schlimmste doch noch abzuwenden.

Dessen ungeachtet: Zusätzlich zum Terrorkrieg gegen Israel verbleiben noch genügend andere Entwicklungen, die die Kapitalmarktanleger zum umsichtigen Handeln ermutigen sollten. 

Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel in Frankfurt/Main, Europas größtem Edelmetallhandelshaus. Davor war er als Ökonom 15 Jahre im internationalen Investment-Banking tätig. Er ist zudem Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Präsident des Ludwig von Mises Instituts Deutschland und Buchautor. Weitere Informationen unter: www.thorsten-polleit.com



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