Logistik in der Negativspirale – Die Suche nach den Fachkräften
Lkw-Fahrer sind derzeit besonders gefragt, für Lagerarbeiter gibt es mehr offene Stellen als Bewerber. Der Stresspegel steigt, Lieferzeiten verlängern sich. Die deutsche Wirtschaft hat ein großes Problem – ein Problem, genügend Fachkräfte zu finden. Wie wird der Fachkräftemangel in Speditionen gelöst?
Antworten erhielten wir von Marius Kurz, dem Geschäftsführer der Kurz und Klein GmbH. Die Firma unterstützt Hersteller, Speditionen und Logistikunternehmen bei der Mitarbeitergewinnung. Wir fragten ihn, was Arbeitnehmer und Arbeitgeber tun können, um die Lage zu verbessern. Im Interview erklärt der Geschäftsführer die Hintergründe zum Fachkräftemangel in der Logistik.
Herr Kurz, wie gravierend ist der Fachkräftemangel in der Logistik?
Der Mangel an Fachkräften ist so groß, dass Unternehmer verzweifelt Wachstumsziele streichen und alles daran geben, jeden Mitarbeiter zu halten, um keine Kunden zu verlieren.
Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft fehlen in der Logistikbranche derzeit etwa 100.000 Fachkräfte. Eine entsprechende Studie des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik zeigt, dass in Deutschland derzeit mehr als 60.000 Stellen in der Logistik unbesetzt sind. Deutlich wird der Mangel, wenn man die hohen Eingeständnisse anschaut, die Unternehmen den Mitarbeitern bieten.
So berichten uns Unternehmer aus der Branche aktuell stolz, welche Zusatzleistungen sie für neue Arbeitnehmer neben einem attraktiven Gehalt bieten. In manchen Unternehmen ist es mittlerweile normal, dass sie sich neben Gehaltserhöhungen, variablen Arbeitszeitmodellen auch noch um private Angelegenheiten der Arbeitnehmer wie die Unterkunft, Verpflegung und Mobilfunkverträge kümmern.
Was bedeutet das konkret für Speditionen und andere Unternehmen im Mittelstand?
Die allgemeine Angst vor der Zukunft ist in vielen Gesprächen deutlich zu spüren. Für jeden Unternehmer ist es wichtig, gute Mitarbeiter zu halten und interne Ausbildungen aufzubauen, um Quereinsteiger aufnehmen zu können.
Durch digitale Schulungen werden neue Mitarbeiter schneller eingelernt und Maßnahmen zur Mitarbeitergewinnung eingesetzt. Unternehmen, die sich nicht an diese Situation anpassen, geraten in eine Negativspirale. Erst fehlen Mitarbeiter fürs Wachstum, dann brechen durch Kündigungen und Rentenbeginn weitere Mitarbeiter weg.
Um eine Überlastung des Teams zu vermeiden, müssen Aufträge abgegeben und letztlich der Geschäftsbetrieb eingestellt werden. Die Angst vor dieser Negativspirale ist in vielen verzweifelten Handlungen wiederzukennen und führt oft zu teuren Fehlversuchen.
Was hat in den vergangenen Jahren den Fachkräftemangel verursacht?
Die Logistikbranche gehört zu einer der wachstumsstärksten Branchen. So wirkt sich der immer größer werdende Bedarf an passenden Fachkräften in Kombination mit dem demografischen Wandel gleich doppelt aus.
Durch den gesellschaftlichen Fortschritt sind Berufe mit körperlicher Anstrengung nicht die erste Wahl bei jungen Arbeitnehmern. Die Arbeitsbedingungen vieler Berufe in der Logistikbranche sind im Vergleich mit ähnlich gut bezahlten Jobs in der Industrie sowohl körperlich als auch von den Arbeitszeiten her schlechter.
Die Politik hat bislang keine Antwort auf dieses Ungleichgewicht gegeben, obwohl die Relevanz der Berufe für unsere Gesellschaft mindestens gleichwertig sind.
Wie stark ist die Logistikbranche im Vergleich zu anderen Branchen vom Fachkräftemangel betroffen?
Gerade bei gewerblichen Berufen wie den Lkw-Fahrern und Lageristen sind Logistikunternehmen besonders stark betroffen. Vor allem das Lohngefälle zu Industrie und Bauunternehmen sorgt für eine Abwanderung der Mitarbeiter und bereitet den Logistikunternehmen Probleme.
Es ist wichtig zu betonen, dass jedes Unternehmen anders ist und unterschiedlich von dem Fachkräftemangel betroffen sein kann. Eine kleine Spedition hat beispielsweise Schwierigkeiten, Lkw-Fahrer zu finden, was dazu führt, dass die Lieferzeiten verlängert werden und die Kundenzufriedenheit leidet. Ein Unternehmen in der Transport- und Logistikbranche hingegen hat Probleme, qualifiziertes Personal für die Organisation und Planung von Lieferketten zu finden.
Welche Probleme können durch hohen und dauerhaften Fachkräftemangel verursacht werden?
Aus der Sicht eines Unternehmens gibt es eigentlich keinen Mangel an Fachkräften. Es gibt genug, jedoch arbeiten die gerade woanders. Jedes Unternehmen sollte sich selbst eine Strategie überlegen oder einen Partner engagieren, der das Problem löst.
Die Logistikbranche leidet vor allem unter den hohen Energie- und Personalkosten, die jedes Jahr steigen. Die Politik ist hier auch gefragt, denn aktuell verliert der Wirtschaftsstandort Deutschland massiv an Attraktivität für Unternehmen in dieser Branche.
Seit mehreren Jahren spricht die Politik davon, den deutschen Fachkräftemangel mittels Einwanderung zu lösen. Können in Ihrer Branche osteuropäische Fahrer zur Lösung beitragen?
Nein, inzwischen rücken osteuropäische Firmen von außen mit Billigangeboten in den deutschen Markt und unterbieten deutsche Firmen bei Aufträgen. Außerdem werden die Fachkräfte aus Osteuropa in den Ländern selbst gebraucht. Für Fahrer aus Osteuropa ist es zunehmend unattraktiv, in Deutschland als Pendler aktiv zu sein.
Und wie könnte das Problem der Sub-Sub-Firmen gelöst werden?
Sub-Sub-Firmen können perfekt in Sonderfällen, beispielsweise dem Erfüllen von Auftragsspitzen und zum Ausgleich von Krankheitsfällen, eingesetzt werden. Bei der Auswahl eines verlässlichen Partners sollten Unternehmer vorab prüfen, wie flexibel die Firma auf kurzfristige Anfragen reagieren kann. Und wie die Qualität des Personals ist.
Langfristig gesehen sind Sub-Sub-Firmen eine teure Symptombehandlung und keine Problemlösung. Unternehmer müssen selbst Mitarbeiter finden und einstellen können, wenn sie profitabel und gesund wachsen möchten.
Wie kann der Fachkräftemangel Ihrer Meinung nach effektiv beseitigt werden?
Die gesamt-volkswirtschaftliche Lösung kann ich nicht präsentieren. Für Unternehmen jedoch gibt es eine Lösung: Mit attraktivem Gehalt und guten Arbeitsbedingungen, Top-Arbeitgeber werden.
Man sollte sich so präsentieren und mit digitalen Prozessen qualifizierte Kandidaten ansprechen und als Mitarbeiter gewinnen. Wichtig wird vor allem auch, dass Unternehmen in der Lage sind, Quereinsteiger aufzunehmen und diese schnell einzuarbeiten. Durch digitale Schulungssysteme ist das einfacher und günstiger denn je.
Was sollte jemand mitbringen, wenn er sich derzeit um einen neuen Arbeitsplatz bewirbt?
Zunächst ist eine relevante Ausbildung sowie Berufserfahrung erforderlich. Dazu gehört es auch, gewisse Fachkenntnisse und Kompetenzen zu besitzen, die von der Stelle gefordert werden. Es darf weder an Team- und Kommunikationsfähigkeit, noch an Lernbereitschaft, Flexibilität, Selbstständigkeit oder Verantwortungsbewusstsein fehlen.
Zudem sollte man in der Lage sein, komplexe Aufgaben zu meistern – also eine Problemlösungsfähigkeit mitbringen. Branchen- sowie Technologie-, Sprach- und interkulturelle Kompetenzen sind ein großer Vorteil.
Was würden Sie Jugendlichen und Schülern in der 10. Klasse sagen im Hinblick auf ihre Berufswahl?
Ich würde Jugendlichen und Schülern in der 10. Klasse raten, sich als Erstes Gedanken über Interessen und Fähigkeiten zu machen. So kann man schnell erkennen, was man auf lange Sicht machen möchte. Danach gilt es, sich über verschiedene Branchen und Berufe zu informieren, damit man ein besseres Verständnis für die Anforderungen und Perspektiven bekommt, die sie bieten.
Man sollte unbedingt die Möglichkeiten zur Berufsorientierung nutzen, Praktika, Schnupperlehren oder Job Shadowing, um erste Erfahrungen in verschiedenen Bereichen zu sammeln. Man sollte auch in die Zukunft schauen und die wirtschaftliche Perspektive und die Nachfrage an Jobs realistisch beachten.
Als Nächstes sollte man sich überlegen, welche Karriere der Beruf bietet und welche Entwicklungsmöglichkeiten es gibt. Zu überlegen wäre auch, wie sich die Digitalisierung auswirkt.
Auch die Anforderungen des demografischen Wandels und die damit einhergehenden Veränderungen müssen im selben Maße berücksichtigt werden. Zudem würde ich jungen Menschen raten, krisenfeste Berufe zu wählen, wie in Medizin und Pflege, IT, Finanzwesen, Logistik, Energietechnologie und erneuerbare Energien. All diese Berufe bieten eine gute Zukunftsaussicht.
Was zeichnet eine „Fachkraft“ überhaupt aus? Wie viel zählen Hard Skills und Soft Skills?
Meiner Meinung nach verfügt eine Fachkraft über die erforderliche Ausbildung und Berufserfahrung und damit über Fachkenntnisse und Kompetenzen. Hard Skills sind immer weniger wichtig. Nach kurzer Zeit sind sie oft nicht mehr notwendig, weil sich Prozesse verändern.
Wichtig ist das Verständnis für die Aufgabe und lösungsorientiertes Handeln. Fachkräfte übernehmen Verantwortung, sind in der Lage, eigenständig oder im Team zu arbeiten und können große Herausforderungen meistern.
In der Zukunft wird es notwendig sein, sich regelmäßig weiterzubilden. Arbeitgeber sollten sich darauf einstellen und Quereinsteiger ausbilden und die angestellten Mitarbeiter regelmäßig weiterbilden.
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