Niedriglohnland Deutschland? Verdi warnt vor Armut trotz Arbeit

In Deutschland müssen immer mehr Menschen Zweit- und Drittjobs annehmen. Verdi warnt vor einem dauerhaften Abstieg zum Niedriglohnland.
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Ein älterer Mann bei seiner Arbeit: Bratwürste braten in Nürnberg.Foto: iStock
Von 31. Mai 2023

Die Gewerkschaft Verdi warnt vor einem dauerhaften Abstieg Deutschlands zum Niedriglohnland. Wie Generalsekretär Philipp Schumann gegenüber der „Tagesschau“ erklärt, müssen deshalb immer mehr Beschäftigte mehrere Jobs annehmen.

Der gesetzliche Mindestlohn, so erläutert der Gewerkschafter, summiere sich bei einer 42-Stunden-Woche auf ein Monatsbrutto von knapp 2.200 Euro. Dies entspreche jedoch lediglich etwa 60 Prozent des deutschen Durchschnittseinkommens. Zum Leben reiche diese Summe deshalb nicht aus.

Wenn die Arbeit nicht zum Überleben reicht

Der Paritätische Armutsbericht stützt, wie die ARD-Nachrichtensendung berichtet, die Darstellung von Verdi. Mittlerweile seien bereits fast 17 Prozent der Bevölkerung in Deutschland von Armut betroffen. Vor allem die hohe Inflation der vergangenen Monate sorge dafür, dass immer mehr Menschen arm sind, obwohl sie in Vollzeit arbeiten.

Erst vor zwei Wochen hatte das Statistische Bundesamt von 17,3 Millionen Menschen gesprochen, die mindestens armutsgefährdet seien. Dies entspreche 20,9 Prozent der Bevölkerung des Landes.

Mindestlohn müsste bei 17 bis 18 Euro liegen

Verdi-General Schumann schildert, dass immer mehr Menschen aufgrund der Entwicklung gezwungen seien, zusätzliche Jobs anzunehmen. Das zuerst in den USA der 1990er-Jahre bekannt gewordene Phänomen der „Working Poor“ habe damit auch Deutschland erreicht.

Um nicht auf Multijobs angewiesen zu sein, müssten Beschäftigte mit ihrem Einkommen mindestens 80 Prozent des Durchschnittseinkommens im Land erzielen. Der gesetzliche Mindestlohn müsste, um dies gewährleisten zu können, jedoch zwischen 17 und 18 Euro liegen. Derzeit ist er bei 12 Euro angesiedelt. Bereits diese Höhe war innerhalb der Ampel umstritten, da vor allem die FDP befürchtete, dass der Mindestlohn zum Inflationstreiber werden könnte.

Tatsächlich sind es hohe Preise für Energie, Treibstoff und Lebensmittel, die hauptsächlich Geringverdienern zusetzen.

Hartz-Reformen nicht allein ausschlaggebend

Der Regierung Schröder hatten Kritiker den Vorwurf gemacht, durch die Hartz-Reformen zwar Arbeitsplätze geschaffen zu haben – allerdings keine gut bezahlten. Tatsächlich war der Niedriglohnsektor von 21,0 Prozent im ersten Hartz-IV-Jahr 2005 auf 23,9 Prozent im Jahr 2011 angestiegen.

Er blieb allerdings noch bis 2020 im Bereich von mindestens 20 Prozent. Erst im Jahr 2022 war er auf 19 Prozent gesunken. In Ostdeutschland hat der Niedriglohnsektor allerdings seit seinem Höhepunkt mit 39,9 Prozent im Jahr 2007 rasant abgenommen. Im Jahr 2020 war er bei 27,4 Prozent angelangt. Verdi zufolge macht der soziale Abstieg von Beschäftigten, die trotz Arbeit arm sind, auch vor höheren Bildungsschichten nicht halt.

Selbstständigkeit nur in bestimmten Fällen Alternative zu mehrfacher Arbeit

Inwieweit Selbstständigkeit für Multijobber eine Alternative darstellen würde, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Entscheidend sind unter anderem Sicherheit und Stabilität der Einnahmequellen, die Marktnachfrage, Risiko und Spezialisierung. Aber auch vorhandene finanzielle Ressourcen und Akquisestärke spielen eine Rolle.

Der Gang in die Selbstständigkeit könnte vor allem dann eine Alternative darstellen, wenn die Tätigkeit eine langfristige Perspektive eröffnen kann. Zu beachten sind zudem auch Fragen wie eine etwaige Versicherungspflicht oder das Risiko einer Scheinselbstständigkeit bei zu starker Abhängigkeit von einem einzelnen Auftraggeber.



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