Oktober könnte Pleitewelle lostreten: 45 Prozent des Mittelstandes von der Insolvenz bedroht

Ab Oktober endet die Aussetzung der Insolvenz-Antragspflicht für zahlungsunfähige Unternehmen. Zudem treten neue Bestimmungen für die Verbraucherinsolvenz in Kraft. Der Mittelstand könnte in einen Teufelskreis geraten, da auch die Kaufkraft der Massen sinkt.
Von 28. September 2020

Das „Handelsblatt“ hat sich mit den möglichen Auswirkungen der Änderungen zum Insolvenzrecht befasst, die am kommenden Donnerstag (1.10.) in Kraft treten. Anders als Vertreter von Auskunfteien wie Creditreform oder der Erfolgsautor Dirk Kreuter, die sich zu jüngst dazu zu Wort gemeldet hatten, rechnet das Fachblatt nicht erst zu Beginn des nächsten Jahres, sondern bereits zu Anfang Oktober mit einem erheblichen Anstieg der Insolvenzzahlen. Der Mittelstand ist noch weit von der Rückkehr zur Normalität entfernt.

Etwa 90 Prozent aller Insolvenzen aufgrund von Zahlungsunfähigkeit

Die Aussetzung der Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, gilt vorerst noch bis Ende des Jahres für Unternehmen, die als überschuldet gelten – wo also weder vorhandenes Vermögen noch erwartete Einnahmen eines Schuldners dessen bestehende Verbindlichkeiten abdecken. Bereits ab Donnerstag müssen Unternehmen einen Insolvenzantrag stellen, wenn sie zahlungsunfähig sind, also mindestens zehn Prozent ihrer Rechnungen nicht bezahlen können.

Erfahrungsgemäß ist Zahlungsunfähigkeit in 90 Prozent aller Fälle von Insolvenzanträgen an deutschen Amtsgerichten der Grund für deren Einbringung. Deshalb gehen Experten wie Michael Hermanns von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Buth & Hermanns davon aus, dass es nicht erst bis 2021 dauern wird, bis die Zahl der Firmenpleiten drastisch in die Höhe schnellt. Es werde bereits ab dem vierten Quartal wellenförmige Bewegungen hinsichtlich der Insolvenzfälle geben. Gegenüber dem Handelsblatt erklärt Hermanns:

Nach einer ersten Welle durch die gesetzliche Verschärfung zum 1. Oktober droht eine zweite und vielleicht dritte Welle, […] dann nämlich, wenn überschuldete Firmen bis zum Ende des Jahres ihre Finanzpläne für 2021 erstellen, die nicht aufgehen.“

Mittelstand hat Hausaufgaben gemacht

Im Fall einer solchen Zahlungsunfähigkeit steht das Unternehmen vor der Entscheidung, entweder binnen 21 Tagen die noch offenen Rechnungen zu begleichen oder – wenn ihnen das nicht möglich erscheint – einen Finanzplan mit Fortbestandsprognose abzugeben. Dieser kann genehmigt werden, wenn es als realistisch erscheint, dass auf der Basis dieses Konzepts die offenen Forderungen der Gläubiger binnen drei bis sechs Monaten beglichen werden können. Dieser Weg muss bis 30. September nicht gegangen werden, seit im Zeichen der Corona-Krise die entsprechende Verpflichtung ausgesetzt war.

Kritiker der Regelung meinen, dass man damit weder den betroffenen Unternehmen selbst noch dem Markt insgesamt einen Gefallen getan hätte. Wer es in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs nicht geschafft habe, sein Unternehmen solide aufzustellen und Reserven aufzubauen, werde dazu in Zeiten Corona-bedingter Rezession erst recht nicht in der Lage sein.

Auf der anderen Seite hatte der Mittelstand Studien des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) zufolge durchaus seine Hausaufgaben gemacht. Die Eigenkapitalquote von Unternehmen mit Jahresumsatz zwischen 20 und 250 Millionen Euro liegt bei 39 Prozent, was einen beachtlichen Wert darstellt.

Karnevals-Spezialist stellt Antrag auf Eigenverwaltung

In der Corona-Krise kommen nun vor allem Unternehmen unter die Räder, die entweder aufgrund ihrer Größe – etwa als Kiosk oder kleiner Frisörsalon – nicht in der Lage sind, hohe Reserven aufzubauen. Bei vielen davon ist die Eigenkapitalquote eher bei 20 Prozent oder gar weniger angesiedelt.

Vor allem aber sind Unternehmen gefährdet, deren Ertragslage unter den Bedingungen der Normalität des Alltagslebens gesund wäre, denen aber Einschränkungen im Bereich von Publikumsveranstaltungen, Volksfesten oder Sport mit einem Mal die Einnahmen wegbrechen ließen.

Das „Handelsblatt“ nennt als Beispiel das Unternehmen Fritz, Fries & Söhne aus Idar-Oberstein, dessen Geschäftsmodell auf den Verkauf von Bedarf für Partys, Karnevalsveranstaltungen oder Kostümfeste ausgerichtet ist. Der Mittelständler mit 70 Vollzeitkräften hat beim Amtsgericht einen Antrag auf Eigenverwaltung gestellt – was häufig der erste Schritt hin zu einem späteren Insolvenzverfahren ist.

Maskenpflicht drosselt Shopping-Interesse

Zu allem Überfluss hat der Anstieg der Zahl an Corona-Fällen im Herbst auch Reisebeschränkungen zumindest ins Ausland wieder zum Thema gemacht. Das trifft nicht zuletzt Reisebüros oder Busunternehmen, die in der kühleren Jahreszeit sonst häufig mit Städtereisen oder Wellness-Touren Umsatz erzielen. Nun werden in einigen Städten sogar die Weihnachtsmärkte abgesagt.

Eine Insolvenzwelle könnte jedoch auch auf den Handel zukommen, insbesondere dort, wo in Innenstadtlagen die Kundschaft den Einkaufsgalerien fernbleibt, weil die Maskenpflicht das Shopping-Erlebnis trübt. Was an Insolvenzen oder Schutzschirmverfahren jetzt schon Galeria Karstadt Kaufhof, Vapiano oder bekannte Modeketten wie Esprit eingeholt hat, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit noch zahlreiche weitere Akteure der Branche treffen.

Letzter Strohhalm Überbrückungshilfe

Die Managementberatung Munich Strategy sieht, so geht aus ihrer Studie „Stresstest Mittelstand“ hervor, bis zu 45 Prozent der mittelständischen Unternehmen in Gefahr. Im Gastgewerbe seien die Juli-Umsätze nicht einmal auf 60 Prozent des Februar-Niveaus zurückgekehrt, bei den Reisebüros beklagt man Einbußen von bis zu 80 Prozent.

Ein letzter Strohhalm könnte für viele die Verlängerung der staatlichen Überbrückungshilfe werden. Diese soll nun bis mindestens Dezember fortgesetzt werden. Der Staat übernimmt dabei 90 Prozent der Fixkosten für kleine und mittelständische Betriebe sowie Solo-Selbstständige und Freiberufler. Bis zu 200.000 Euro für das letzte Jahresdrittel könnte, so das „Handelsblatt“, den Betroffenen nun zugutekommen.

Unternehmen der Veranstalter- oder Schaustellerbranche können sogar höhere Förderungen kassieren, da sie noch auf nicht absehbare Zeit vollständig stillstehen werden – sofern sie keine Möglichkeit finden, ihre Dienste im Ausland anzubieten, wo Kirmesveranstaltungen häufig wieder stattfinden. Im Gastgewerbe können Betriebe Überbrückungshilfe beantragen, sofern ihr Umsatz um mindestens 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken ist.

Haushalte ebenfalls durch Corona unter die Räder gekommen

Inwieweit ein Ende der Beschränkungen die betroffenen Unternehmen überhaupt noch retten kann, bleibt ungewiss. Denn die Kaufkraft der Bürger selbst ist infolge der Corona-bedingten Einkommenseinbußen ebenfalls deutlich gesunken. Die „Welt“ schreibt von bis zu 50 Prozent an finanziellen Einbußen für deutsche Haushalte. Auch Verbraucherinsolvenzen könnten ab Oktober in die Höhe schnellen.

Einer Creditreform-Umfrage zufolge, über die der „Spiegel“ berichtete, gaben 37 Prozent der Befragten an, infolge von Corona Einkommenseinbußen gehabt zu haben. Etwa 20 Prozent sprachen sogar von einer Höhe zwischen 30 und 50 Prozent, acht Prozent gehen von noch höheren Verlusten aus.

Als Folge davon befürchten 28 Prozent zeitnahe Zahlungsschwierigkeiten oder neue Schulden. Elf Prozent haben die gesetzlichen Möglichkeiten zur Stundung von Krediten genutzt, die im Zeichen von Corona geschaffen wurden. Patrik-Ludwig Hantzsch von der Creditreform-Wirtschaftsforschung rechnet im Fall eines längerfristigen Trends zur Einkommenseinbuße mit einem enormen Anstieg der Fälle überschuldeter Verbraucher.

Betroffene Verbraucher warten Oktober ab

Auch die Verbraucherinsolvenzen bleiben vorerst aber noch rückläufig. Hier zeigt sich die Ruhe vor dem Sturm: Ab Oktober gilt ein neues Gesetz, dem zufolge die Wohlverhaltensphase, in der die festgelegte Schuldenquote abgetragen werden muss, von sechs auf drei Jahre reduziert wird. Entsprechend werden auch hier viele Verbraucher warten, um vom Inkrafttreten der Neuregelung profitieren zu können.



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