„Produktion in Deutschland auslaufen lassen“: Abwanderung wird zum Trend

Und dann sind sie plötzlich weg: Immer mehr mittelständische Unternehmen in Deutschland denken an Abwanderung. Nicht alle sprechen offen darüber.
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Steigende Energiepreise und schwächelnde Wirtschaft lassen die Sorgen bei Deutschlands Mittelständlern wachsen. Immer häufiger wird Abwanderung zum Thema.Foto: Chan2545 / iStock
Von 4. Mai 2023

Zuletzt haben einige Fälle von Ausverkauf und Produktionsverlagerung ins Ausland wie im Fall des Unternehmens Viessmann Aufsehen erregt. Offenbar stellen diese jedoch nur die Spitze des Eisbergs dar. Bereits ein Viertel aller deutschen Mittelständler denken laut einer Erhebung des Verbandes BVMW über eine Abwanderung aus Deutschland nach. Sogar 69 Prozent der Familienunternehmer spielen mit dem Gedanken, ihre Betriebe zu verkaufen.

Strom nicht nur immer teurer – manchmal ist er auch gar nicht verfügbar

Der deutsche Mittelstand gilt als das Rückgrat der heimischen Wirtschaft. Die Unternehmen schaffen Arbeitsplätze. Sie sind regional verankert, innovativ und in einigen Bereichen sogar Weltmarktführer. Nun geben viele von ihnen den Glauben an die Zukunft des Standorts Deutschland auf.

Im ARD-Magazin „Plusminus“ sprachen jüngst einige besonders erfolgreiche mittelständische Unternehmer über ihre Erfahrungen. So will Dr. Thomas Körner von „Hellma Materials“ in Jena seine Produktion „investieren und erweitern, aber nicht in Deutschland“. Seine synthetischen Kristalle für Halbleiter entstehen künftig in Schweden.

Der Weltmarktführer sieht nicht nur wie 70 Prozent der deutschen Unternehmen – laut der Beratungsgesellschaft PwC – die Beschaffung und Kosten von Energie als immer größeres Problem. Mittlerweile seien ihm, so Körner, bereits Schäden von bis zu zwei Millionen Euro durch Stromausfälle entstanden. Zwar verfüge sein Unternehmen über einen Dieselgenerator, dieser könne aber nicht die komplette Produktion absichern. Wartezeiten auf die Lieferung neuer Geräte betragen derzeit jedoch bis zu einem Jahr.

Abwanderung erfolgt oft ohne Vorankündigung

Auch Dr. Joachim Maier, der in Singen am Bodensee Spezialwerkzeuge für die Automobilbranche produziert, wird dies künftig in der Schweiz tun. Gegenüber der ARD äußerte er:

Manchmal bleibt einem unternehmerisch halt nichts anderes übrig, als ins Ausland zu gehen.“

Neben den Energiekosten nennt Dr. Maier auch den Fachkräftemangel und die Bürokratie als Gründe für sein verlorenes Vertrauen in den Standort Deutschland. Sein Unternehmen, das vor allem vom wachsenden Markt für Elektromobilität profitiert, müsse wachsen und investieren, um Schritt halten zu können.

Maier baut vorerst nur die neuen Kapazitäten im Ausland auf und belässt bestehende Produktionen bis auf Weiteres hier. Hans-Jürgen Völz vom Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) zufolge denken 25 Prozent der deutschen Mittelständler über eine Abwanderung ins Ausland nach. Dabei vollziehe sich dieser Prozess schleichend:

Viele Betroffene sprechen nicht öffentlich über ihre Ambitionen, da sie Verunsicherung bei ihren Kunden und Lieferanten vermeiden wollen.“

DIHK: Industrielles Fundament in Deutschland könnte bröckeln

Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) bestätigt auf der Grundlage eigener Umfragedaten den Trend zur Abwanderung. Wie die „Welt“ berichtet, nennen dabei 32 Prozent der Verlagerungswilligen „Kostenersparnis“ als Motiv.

Dem Leiter der DIHK-Abteilung für Außenwirtschaft, Volker Treier, zufolge ziehe es etwa Autozulieferer zunehmend in die USA. Immer mehr von ihnen ließen in Deutschland „ihre Produktion“ auslaufen. Neben Nordamerika gilt – mit Vorbehalten – auch immer noch China als attraktiver Standort. Viele wichen jedoch aus Angst vor Abhängigkeit aber auch auf andere südostasiatische Staaten aus.

Immer wieder sei die Rede von hohen Energiekosten, Fachkräftemangel, Bürokratie und Mängel im Bereich der Infrastruktur. Die Stimmung unter deutschen Unternehmen helle sich im Ausland zwar auf – der Zukunftsoptimismus beziehe sich jedoch nicht auf den ursprünglichen Heimatmarkt.

Treier warnt eindringlich:

Die Politik muss diese strukturellen Probleme angehen, sonst beginnt das industrielle Fundament in Deutschland zu bröckeln.“

Graichen: Abwanderung von „leicht zu kopierenden“ Unternehmen

Für Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen stellt die Abwanderung energieintensiver Produktionen aus Deutschland hingegen eher einen Kollateralschaden dar. Mit der Green-Energy-Plattform „Clean Up“ sprach er über den Energiepreis und dessen Bedeutung für die Unternehmen.

Dabei hielt er es für möglich, dass die entsprechende Industrie „dorthin geht, wo sie diese ein oder zwei Cent bekommt“. Allerdings vertrat er auch die Auffassung, diese sei „leicht zu kopieren“. Eine Einschätzung, der Dr. Körner von Hellma Materials in dieser Form möglicherweise nicht beipflichten wird.



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