Sorgen Social Media und zwanghafte Internetnutzung für das Ende unseres Wirtschaftswachstums?
In einem vom Bundesgesundheitsministerium veröffentlichten Bericht von Oktober 2022 zu den Folgen der Corona-Zeit auf den Substanz- und Medienkonsum heißt es, dass während der Corona-Zeit eine deutliche Zunahme des Medienkonsums von Jugendlichen (14 bis 17 Jahre) und jungen Menschen (18 bis 21 Jahre) in Deutschland stattgefunden habe.
Er betrage bei Jugendlichen derzeit fünf Stunden pro Tag an einem typischen Wochentag (Schultag, Arbeitstag) und knapp sieben Stunden an freien Tagen. Sieben Stunden – das ist fast die Hälfte der wachen Tageszeit. 2015 waren es noch knapp drei Stunden gewesen (166 Minuten täglich).
Etwa 60 Prozent der Jugendlichen und 57 Prozent der jungen Erwachsenen zeigten demnach „ein problematisches Internetnutzungsverhalten“. Das betrifft Mädchen beziehungsweise Frauen häufiger als Jungen: Bei den Mädchen zeigen 67,7 Prozent, bei den Jungen 50,5 Prozent ein Internet-Suchtverhalten, bei den jungen Frauen 63,6 Prozent, bei den jungen Männern 49,4 Prozent.
Kurz: Drei von fünf Jugendlichen in Deutschland im Alter von 14 bis 17 zeigen derzeit ein „problematisches Internetnutzungsverhalten“. Welche Auswirkungen hat diese übermäßige, zwanghafte Internetnutzung?
Mediennutzung und seelische Belastungen von Mädchen
Seit etwa 2015 zeichnet sich ein Trend zur Verschlechterung der geistig-seelischen Gesundheit junger Mädchen ab, die zu stark steigenden Selbstmorden und Selbstverstümmelung geführt hat. Die Statistiken sprechen eine beeindruckende Sprache.
Seit 2010 sind laut „Economist“ in elf Ländern die Krankenhausaufenthalte von Teenagerinnen wegen Selbstverstümmelung um 143 Prozent gestiegen. Bei Jungen stiegen sie um 49 Prozent. Als Hauptgrund dafür wird die stark zunehmende Nutzung von Social Media, insbesondere Instagram genannt.
Smartphones sind demnach besonders gefährlich für Mädchen, weil Jungs sich mehr mit Videospielen beschäftigen und weniger mit „depressions-erzeugenden Social Media“. Zahlreiche Studien hätten gezeigt, dass Social Media Trauer und Angst bei Teenagern erzeugen können.
Laut „The Guardian“, der sich Anfang 2021 auf eine Studie des „British Journal of Psychiatry“ bezieht, haben in Großbritannien 7 Prozent aller Kinder mit 17 Jahren einen Selbstmordversuch begangen und fast jeder Vierte beging einen Akt der Selbstverstümmelung im letzten Jahr. Davon waren besonders Mädchen betroffen. Als ein Grund wird genannt, dass „Social Media ein toxisches Umfeld“ sein können.
Im britischen Oberhaus gab es Anfang 2022 angesichts der steigenden Fallzahlen von Suiziden und Selbstverstümmelungen bei Mädchen eine umfangreiche Anfrage darüber, „welche Rolle Social Media beim Tod von Kindern in Großbritannien spielten, inklusive Selbstmorde, Selbstverstümmelung und Mord“.
Die dunkle Seite von Facebook, Instagram und Marc Zuckerberg
Ab September 2021 veröffentlichte das „Wall Street Journal“ eine ungewöhnlich umfangreiche Artikelserie zu Facebook. Dem Journal waren interne Unterlagen des Medienkonzerns zugespielt worden, die unter anderem die stark negativen Auswirkungen von Instagram auf die geistig-seelische Gesundheit insbesondere junger Mädchen aufzeigen.
Laut den internen Unterlagen wussten Facebook und Mark Zuckerberg beispielsweise, dass sich 32 Prozent der Teenagerinnen nach Instagram schlechter fühlten, wenn sie sich bereits vorher schlecht gefühlt hatten. „Vergleiche auf Instagram können verändern, wie sich junge Frauen sehen und sich selbst beschreiben.“ Außerdem wusste Facebook demnach genau, dass Instagram süchtig macht.
In der Öffentlichkeit hätten aber Mark Zuckerberg und andere Führungskräfte von Facebook immer wieder betont, dass die Forschungsergebnisse nicht eindeutig seien, dass Facebook wenig schädlich sei und auch viele vorteilhafte Einflüsse habe.
Ein US-Senator meinte, Facebook habe die Blaupause von big tobacco übernommen – Teenager mit gefährlichen Produkten ködern und gleichzeitig in der Öffentlichkeit die wissenschaftlichen Ergebnisse verheimlichen. Die US-amerikanische Psychologie-Professorin Jean Twenge führte aus: Zu glauben, dass ein Tabakkonzern ehrlicher mit dem Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebs umgehen solle, sei ebenso naiv wie zu glauben, dass Facebook ehrlicher mit dem Zusammenhang von Instagram und Depressionen von Teenagerinnen umgehen solle.
Der Leiter des US-Gesundheitswesens empfiehlt: Keine Nutzung von Social Media unter 16
Mitte Juni 2023 erschien im „Wall Street Journal“ ein Artikel mit der Überschrift: „Warum 16 das Mindestalter für Social Media sein sollte – ein Plädoyer, TikTok, Snapchat und Instagram für Kinder unter 16 zu verbieten“. Da die Schäden von Social Media die Nutzen überwögen und da die bestehenden Gesetze Marketing und Datensammeln schützten, jedoch nicht die Sicherheit der Kinder, empfahl die Zeitung – analog zum Autofahren –, Kindern erst ab 16 Jahren die Nutzung von Social Media zu erlauben. Das Wirtschaftsjournal berief sich dabei auf die Aussagen des Arztes Vivek Murthy.
Murthy ist Leiter des US-Gesundheitswesens (Surgeon General) und will seinen eigenen Kindern, 5 und 6 Jahre alt, vor 16 keinen Zugang zu Social Media geben. Es gebe viele wissenschaftliche Hinweise darauf, dass die Nutzung von Social Media ab 10 Jahren zu der derzeitigen Krise der psychischen Gesundheit von Jugendlichen beitrügen. Murthy sieht diese als die derzeit größte Herausforderung für das öffentliche Gesundheitswesen an.
Ärzte und Politiker seien sich einig, dass 13 für die Nutzung von Social Media zu jung sei. Unter 16 seien die Jugendlichen viel zu empfindlich für Gruppendruck, Meinungen und Vergleiche. Das Gehirn sei in diesem frühen Lebensalter in seiner Entwicklung noch viel zu verwundbar, um es den Social Media auszusetzen. Das sind überraschende Aussagen für ein Wirtschaftsjournal, das sich für einen möglichst freien Kapitalismus einsetzt.
Auswirkungen der Mediennutzung auf Jungen
Jungen nutzen teilweise andere Arten von Social Media, andere Computerspiele und sie reagieren meist auch anders als Mädchen auf Mediennutzung. Während Jungen die Aggression stärker nach außen leben, reagieren Mädchen oft mit Aggression nach innen (Autoaggression). Kriegs- und Killer-Simulationen wie fortnite, World of Warcraft, Call of Duty und so weiter werden mehrheitlich von Jungen und jungen Männern gespielt.
In seinem Film Fahrenheit 9/11 zeigte Michael Moore bereits 2004 die Vorbereitung von US-Soldaten durch solche Spiele auf Kampfeinsätze im Krieg. Diese Art von Kriegsspielen werden demnach von den militärischen Vorgesetzten gezielt eingesetzt, um die jungen Männer gefühllos und unempathisch zu machen, um ihnen Mitleid abzuerziehen, um gegenüberstehende Soldaten nicht mehr als Mensch, sondern als zu eliminierenden Feind anzusehen.
Aus Soldaten- beziehungsweise Kriegssicht ergibt das Sinn. Soldaten sollen in Kampfeinsätzen töten; dazu sind Mitleid und Empathie hinderlich. Soldaten sollen zu Kampfmaschinen erzogen werden. Skrupel zu schießen, zu töten, sollen durch solche Spiele aberzogen werden. Kurz: Diese Spiele werden zur Förderung von Skrupellosigkeit, zur Entmenschlichung und zur Verrohung verwendet. Die professionellen Ausbilder von Soldaten wissen ganz genau, was sie da tun und warum sie es tun.
Unmenschlich für Kinder
Umso erstaunlicher ist es, dass wir unsere Kinder und Jugendlichen in größtmöglichem Umfang und ohne nennenswerte öffentliche Diskussion diese Killer„spiele“ spielen lassen. Altersschranken werden oft umgangen. Häufig spielen bereits Zehnjährige diese Art von Killer- und Ego-Shooter-Spielen. Was geschieht da in den Seelen unserer Kinder?
Schon erwachsene Männer, US-Soldaten, sprechen offenbar auf diese Art Verrohung an und werden unmenschlicher. Um wie viel mehr trifft das auf Minderjährige zu? Je früher unsere Kinder in diese Art Killerspiele eintauchen, je länger sie am Bildschirm töten, je weiter verbreitet diese Art Fun-Beschäftigung ist, desto mehr werden sie zur Unmenschlichkeit erzogen.
Ich befürchte, dass nach ein paar Kohorten von Kindern und Jugendlichen, die mit diesen entseelenden Spielen besonders früh angefixt wurden, schlimme gesellschaftliche Folgen auf uns zukommen. Aggression, Rücksichtslosigkeit, Egoismus, aber auch Suchtverhalten und Krankheit werden meiner Einschätzung nach dadurch massiv gefördert.
Unsere Kinder und Jugendlichen werden ja allein durch fortnite bereits heute zu hunderten Millionen auf den Krieg aller gegen alle eingeschworen und vorbereitet. Durch fortnite, das mit höchster Intelligenz, brillantem Design und genialem Marketing arbeitet, ist es erstmalig gelungen, Legionen von Minderjährigen so früh für gegenseitiges Umbringen zu begeistern wie nie zuvor. Bei Millionen von jungen Männern werden dadurch meiner Meinung nach die Moralstandards gesenkt.
E-Sport-Verharmlosung
Die Verharmlosung dieser Prozesse wird von den Lobbyisten der Branche aktiv und bewusst vorangetrieben. Vor dem Bildschirm verbrachte Zeit ist das Gegenteil von Bewegung, Gymnastik und Sport. Begriffe und Benennungen sind wichtig für die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, unter anderem bei Eltern.
Wettbewerbe bei Kriegs- und Killer-Simulationen wie Counter Strike oder fortnite als „E-Sport“, also elektronischen „Sport“ zu labeln ist ein geschickter Schachzug der Lobbyisten und eine exakte Verdrehung der Wahrheit.
Das sagt viel aus über unsere Moralstandards, besser: die Doppelmoral, die hier vorherrscht. Die derzeitige rot-grün-gelbe deutsche Bundesregierung plant laut Koalitionsvertrag, E-Sport den Gemeinnützigkeitscharakter zu verschaffen und damit also unsere Kinder krankmachende Prozesse durch Steuerprivilegien zu fördern.
Auswirkungen
In dem Maße, in dem die Gesundheit sinkt, vermindert sich die Arbeitskraft und wir müssen darüber hinaus zusätzliche Ressourcen in das Gesundheitswesen stecken. Das vermindert unsere reale Wirtschaftskraft und unseren Lebensstandard.
Wenn Moral und Ethik verfallen, setzen Gegenmechanismen ein, die von außen herbeiführen sollen, was von innen zerfällt: Statt dass man sich intuitiv an Normen und Regeln hält, dass man sich anständig und ehrlich verhält, kommt dann der Versuch, Regeln und Gesetze über Polizeigewalt, Security, Überwachungskameras und so weiter, über äußeren Zwang, Druck, Abschreckung und Furcht durchzusetzen.
Das führt zu einer realen Abnahme unseres Wohlstandes wegen steigender unproduktiver Tätigkeiten. Der gesamtgesellschaftliche Schaden geht aber weit über stagnierende oder sinkende Wirtschaftskraft hinaus.
Mit Blick auf die massiven schädlichen Einflüsse, denen unsere Jugend seit nicht einmal 20 Jahren über die elektronischen Medien ausgesetzt wird, sind wir momentan offenbar auf dem besten Weg dorthin.
Zum Autor:
Prof. Dr. Christian Kreiß (geb. 1962), Promotion in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Neun Jahre Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investmentbanker. Seit 2002 Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Er ist Autor von sieben Büchern: Gekaufte Wissenschaft (2020); Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft (2019); BWL Blenden Wuchern Lamentieren (2019, zusammen mit Heinz Siebenbrock); Werbung nein danke (2016); Gekaufte Forschung (2015); Geplanter Verschleiß (2014); Profitwahn (2013). www.menschengerechtewirtschaft.de
Der Artikel gibt über weite Strecken Aussagen seines im August 2023 erschienen Buches „Das Ende des Wirtschaftswachstums – Die sozialen und ökonomischen Folgen mangelnder Ethik und Moral“, tredition, Hamburg, wieder.
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