Spaniens Tourismus steht nach Reisewarnungen vor einer Katastrophe

Nach einem extremen Lockdown war man in Spanien zuversichtlich, mit einer guten Tourismus-Saison ab Juli die schlimmsten Folgen egalisieren zu können. Nun gilt wieder eine Reisewarnung, außer für die Kanaren – aber selbst die profitieren nicht von ihrer Ausnahmestellung. Hoteldirektor Alirio Pérez erklärt: „Wenn wir nicht an Covid sterben, dann sterben wir an Hunger.“
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Touristen auf der Kanarischen Insel Teneriffa.Foto: DESIREE MARTIN/AFP über Getty Images
Von 24. August 2020

Die seit Freitag (21.8.) geltenden Reisehinweise des Auswärtigen Amtes für Spanien beinhalten eine Warnung vor „nicht notwendigen, touristischen Reisen nach Spanien“ aufgrund derzeit hoher Corona-Infektionszahlen. Explizit ausgenommen sind die Kanarischen Inseln.

Auf Teneriffa, Fuerteventura, Gran Canaria, Lanzarote, La Palma, La Gomera oder El Hierro sei derzeit nicht von einem erhöhten Risiko auszugehen, die Corona-Zahlen bleiben niedrig. Tourismus wäre dort also möglich.

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Für die betroffenen Regionen in Spanien ist das nur ein geringer Trost. Strände sind verwaist, Feriensiedlungen wirken wie ausgestorben, in den Städten dominieren heruntergekurbelte Rollläden und geschlossene Läden. Sogar renommierte Nobel-Ferienanlagen wie der Hotelkomplex „San Blas“ auf Teneriffa schicken ihre Belegschaft mit Ausnahme eines kleinen Restbestandes, der die Gärten und das Gebäude instand hält, in Kurzarbeit.

Statt einer Million Touristen, die im Juli 2019 auf dem Luftweg auf der Inselgruppe angekommen waren, verirrten sich im Vormonat nur noch 240.000 dorthin.

Die „Welt“ hat sich jüngst auf den Kanarischen Inseln umgesehen und zieht ein düsteres Fazit. Es sei zwar eine „angenehme Stille“, die derzeit die Inseln präge. Für die Hoteliers und Restaurantbesitzer bedeute dies aber existenzielle Probleme, da 60 Prozent der Einwohner direkt oder indirekt ihr Geld mit dem Tourismus verdienen.

Dies betreffe den gehobenen Tourismus ebenso wie die All-Inclusive-Einrichtungen für die Massen, die sich sonst um diese Zeit im Süden von Teneriffa versammeln. Hoteldirektor Alirio Pérez erklärt:

Wenn wir nicht an Covid sterben, dann sterben wir an Hunger.“

Spanien drohen Verhältnisse wie in der Eurokrise

Schon zu Beginn der Corona-Krise zählte Spanien zu dem am stärksten betroffenen EU-Ländern. Das bürokratische und staatslastige Gesundheitswesen brach zusammen, das Virus breitete sich weitgehend unkontrolliert aus, Leichen wurden in Eishallen gesammelt.

Die sozialistische Regierung unter Ministerpräsident Pedro Sánchez verhängte einen rigorosen Lockdown, dessen Effekt ein Absturz der Wirtschaftsleistung von 5,2 Prozent im ersten und gar von 18,5 Prozent im zweiten Quartal war.

Die Arbeitslosigkeit stieg in Höhen, die Befürchtungen weckten, bald könnte wieder ein Wert wie zuletzt auf dem Höhepunkt der Eurokrise Mitte der 2010er Jahre erreicht werden.

Damit waren die Opfer, die der Bevölkerung abverlangt wurden, möglicherweise umsonst. Zwar konnte ab Ende Juni ein ausreichend starker Rückgang an Infektionen verzeichnet werden, um auch die Partner in der EU davon zu überzeugen, die Reisefreiheit auch mit Blick auf Spanien wiederherzustellen.

Bald stiegen die Zahlen jedoch wieder deutlich an – und Berichte über angebliche Gelage von Ballermann-Touristen ohne Masken und Abstand erleichterten Ministern der Herkunftsländer, bestimmte Regionen des Landes wieder auf die schwarze Liste zu setzen.

Auf den Kanaren liegt die Arbeitslosenquote zurzeit mit 28 Prozent noch deutlich über dem Landesdurchschnitt. Leidet der Tourismus weiter, droht ein Anstieg auf 38 Prozent.

Reisende aus anderen Regionen auf Kanaren umgebucht

Reiseveranstalter klammern sich nun an den Strohhalm der von der Reisewarnung ausgenommenen Kanaren. Während es in Italien meist nur einzelne Hotels sind, die infolge der Einbußen im Tourismus geschlossen und deren Kunden in andere verlegt werden, buchen Reisebüros nun Spanien-Reisende von Region zu Region um – in der Hoffnung, dass die Kanarischen Inseln nicht auch schon bald den Kreis schließen und Spanien komplett als Risikogebiet gilt.

Dass unter den Umbuchern auch mögliche Partyjugendliche sein dürften, lässt das Damoklesschwert der Reisewarnung als noch bedrohlicher erscheinen.

Die EU, die versucht hatte, ihr zu Beginn der Krise drastisch verschlechtertes Image durch Hilfszusagen wieder aufzupolieren, droht einmal mehr mit ihrer Schönwetterpolitik zu scheitern.

Zwar kann Spanien jede Hilfe brauchen, aber nicht wenige Hoteliers oder Verbandsfunktionäre vermissen vernünftige und in zahlreichen anderen Regionen der Welt längst praktizierte Maßnahmen, die greifen könnten, bevor sich Urlauber mit COVID-19 infizieren.

Tourismusverbände: Reisende vor dem Flug testen, nicht erst nach dem Urlaub

Jorge Marichal von der spanischen Hotelvereinigung Cehat sieht es als grundsätzlich falschen Ansatz an, die Verbreitung von Corona verhindern zu wollen, indem man dafür Sorge trägt, dass Menschen möglichst wenig reisen. Immerhin sei der Tourismus längst auf Corona vorbereitet, etwa durch Maskenvorschriften, Desinfektionsmittel-Spender an allen Ecken und Enden und Veränderungen im Bereich der Speisesaal- und Aufzugbenutzung.

Die EU mache, so Marichal, „seit Monaten einen riesigen Denkfehler“. Es sei völlig unsinnig, Tests erst nach dem Rückflug aus dem Urlaub durchzuführen. Es wäre viel zielführender, Menschen schon vor Antritt einer Reise auf Corona zu testen. Die Hotelier Vereinigung wäre sogar bereit, die Kosten dafür zu übernehmen. Demnächst will er die Forderung auch im Regionalparlament vortragen.

In vielen anderen Ländern ist es zudem üblich, Fiebermessungen durchzuführen – häufig auch mittels Wärmebildkameras. Marichal fordert, europaweit verpflichtende Corona-Tests bereits vor einer Flugreise einzuführen.

Die Konsequenzen der Einschränkungen und Reisewarnungen würden sich gravierender auswirken als das Virus selbst, befürchtet der Verbandsfunktionär im Gespräch mit der „Welt“: „Keine Gesellschaft kann das, was uns droht, aushalten.“



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