Strom knapp – Klimaziele trotzdem verfehlt? Zu wenige Windräder in Deutschland

Energiewendevorreiter Deutschland drohen nicht nur Knappheit von Strom und Deindustrialisierung. Auch bei den Windrädern hinkt man den Zielen hinterher.
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Foto: Textbüro Freital
Von 28. Dezember 2022

Mit großen Ambitionen war Deutschland in sein Projekt der „Energiewende“ gestartet. Das nationale Projekt sollte das Land weltweit zum Vorreiter machen, man wollte das erste ausschließlich auf erneuerbaren Energien gegründete Industrieland werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ sich dafür und für den Ausstieg aus Kernkraft und Kohle feiern. Nun drohen nicht mehr nur Nachfrageüberhänge beim Strom und Deindustrialisierung. Sogar die eigenen ehrgeizigen Klimaziele könnte man verfehlen – wenn nicht ab sofort täglich sechs Windräder entstünden.

Gesamtleistung durch Windräder müsste sich mehr als verdoppeln

Eine jüngst vorgelegte Ausarbeitung des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) im Auftrag des „Handelsblatts“ kommt zu einem eindeutigen Ergebnis. Die Bundesregierung wird demnach ihre selbstgesetzten Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien bis 2030 verfehlen.

Derzeit stünden etwa 30.000 Windräder in Deutschland – zu Lande, aber auch in der Nord- und Ostsee. Die derzeitige Gesamtleistung der Onshore-Windkraft liege bei 56 Gigawatt. Bis 2030 sollen es nach dem Willen der Bundesregierung 115 Gigawatt werden.

Das EWI hat nun nachgerechnet und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass dazu von 2023 bis Ende 2029 täglich 5,8 Windräder zu errichten wären. Jedes davon müsste eine Leistung von mindestens 4,2 Megawatt gewährleisten können. Jährlich müsste die zusätzlich installierte Gesamtleistung fast neun Gigawatt betragen.

Jahresstromverbrauch wird auf 750 Terawattstunden steigen

Danach sieht es bis dato jedoch nicht aus. In den Jahren 2010 bis 2021 seien im Schnitt täglich etwa 3,5 Windenergieanlagen mit einer Nennleistung von durchschnittlich 2,8 Megawatt entstanden. Der höchste Durchschnittswert in einem Jahr waren demnach 5,3 Gigawatt im Jahr 2017. Der erforderliche Rückbau alter Anlagen sei in die Berechnung bereits eingepreist, so das EWI.

Die Fachagentur geht derzeit jedoch nur von einer Windkraftleistung von maximal 2,5 Gigawatt an Land aus. Dazu kommen die praktischen Probleme wie nicht unbegrenzt verfügbare Landflächen und unterschiedliches Windaufkommen zwischen Glücksburg und Garmisch-Partenkirchen.

Das Bundeswirtschaftsministerium will im Jahr 2023 zusätzlich fünf Gigawatt, im Jahr 2024 acht Gigawatt und ab 2025 jeweils zehn Gigawatt aus Windrädern hinzufügen. Auch bezüglich der Photovoltaik sind die Ausbauziele ambitioniert. Minister Robert Habeck geht immer noch davon aus, bis 2030 das große Etappenziel erreichen zu können. Der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch soll auf 80 Prozent steigen.

Bei ihren Berechnungen geht die Bundesregierung immerhin von einem deutlich gestiegenen Strombedarf aus. Der Jahresstromverbrauch, der im Corona-Jahr 2021 noch bei 569 Terawattstunden gelegen habe, werde demnach auf 750 steigen. In diesen Bedarf seien auch schon Aspekte wie der Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos, Wärmepumpen oder die Industrie eingerechnet.

Zusätzliche Windräder scheitern an zahlreichen Hemmnissen

Jürgen Quentin von der Fachagentur Wind sieht indes wenig Anlass dafür, auf die Erfüllbarkeit der Ausbauziele hohe Wetten abzuschließen. Jene Faktoren, die schon bisher die Ausbaugeschwindigkeit von Windparks gedrosselt hatten, würden nicht zeitnah aus der Welt verschwinden:

Aktuell sind es vor allem stark gestiegene Anlagenpreise, Kapitalzinserhöhungen sowie Lieferprobleme für einzelne Anlagenkomponenten, die den Ausbau hierzulande bremsen.“

Dazu kommen langwierige Genehmigungsverfahren und der Widerstand lokaler Bürgerinitiativen. Immerhin sei der Anteil jener Bürger, die Windräder auch in der Nähe des eigenen Wohnorts akzeptieren würden, von 39 auf 50 Prozent gestiegen.

Die YouGov-Umfrage im Auftrag der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE), aus der das hervorgeht, hat jedoch einen repräsentativen Querschnitt befragt. Dies bedeutet, dass sich unter den Befragten auch Großstadtbewohner finden, für die Windräder vor der Haustür im Alltag kaum eine Rolle spielen.

Neben dem Sankt-Florian-Prinzip, das im Zusammenhang mit Windkraftanlagen häufig zum Tragen kommt, verhindern auch Vorgaben des Natur- und Denkmalschutzes oft die Errichtung neuer Windräder. Immerhin ist die Akzeptanz von Solaranlagen auch in Wohnortnähe deutlich höher. Hier denken viele Eigenheimbesitzer sogar daran, auf ihrem eigenen Grundstück welche zu installieren.

Neben dem Ausbau ist auch der Transport ein Problem

Das sogenannte Osterpaket der Bundesregierung soll in den kommenden Jahren den Ausbau der Windenergie erleichtern und beschleunigen. Dazu hat man den Ausbau erneuerbarer Energien nun per Gesetz als „im überragenden öffentlichen Interesse“ gelegen definiert. Dies soll nicht nur helfen, Vorhaben gegen Klagen von Anrainern durchzuboxen, sondern auch mit Blick auf die naturschutzrechtliche Prüfung.

Selbst wenn sichergestellt sei, dass es ausreichend verfügbare Flächen gibt, um schnell und unbürokratisch Windräder zu errichten, ist der Ausbau jedoch kein Selbstläufer.
Nikolas Stihl, Vorsitzender des Beirats des Motorsägenherstellers Stihl, hatte erst kürzlich die Umsetzung der „Energiewende“ scharf kritisiert. Gegenüber der „Deutschen Presse-Agentur“ erklärte er:

Bei der Art und Weise, wie da vorgegangen wird, ist Dilettantismus schon ein relativ schwaches Wort.“

Bereits vor zehn Jahren habe er dies prognostiziert, so Stihl. Ein wesentlicher Faktor sei dabei auch der Ausbau der Stromnetze, der den Transport vom windreichen Norden in den windarmen Süden ermögliche. Das „Manager-Magazin“ zitiert ihn mit der Aussage:

Und wenn man sich anschaut, dass von 12.000 Kilometer Leitungen, die wir benötigen, erst etwa 2.000 Kilometer fertiggestellt wurden, dann habe ich leider recht behalten mit meiner Voraussage.“

Diese Entwicklung sei eine gravierendere Gefahr für den Industriestandort als die derzeit hohen Energiepreise. Es drohe definitiv die Deindustrialisierung des Landes.

Immerhin würde diese auf ihre Weise möglicherweise zu einer nachfrageseitigen Entlastung des Strommarktes beitragen.

(Mit Material der dpa)



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