Tarifstreit im Einzelhandel spitzt sich zu

Arbeitgeber halten die jüngsten Warnstreiks für unzulässig. Der bayerische Einzelhandel droht der Gewerkschaft deshalb jetzt mit Schadenersatzklagen. Doch Verdi zeigt sich wenig beeindruckt.
Eine Verdi Fahne ist auf einer Demonstration zu sehen.
Eine Verdi Fahne ist auf einer Demonstration zu sehen.Foto: Tom Weller/dpa
Epoch Times16. Juni 2023

Der Tarifstreit im Einzelhandel spitzt sich zu. Der bayerische Einzelhandel drohte der Gewerkschaft Verdi in einem Schreiben, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, wegen der jüngsten Warnstreiks mit Schadenersatzklagen.

„Die Drohung mit Schadenersatzforderungen durch Unternehmen ist natürlich eine Eskalation, aber wir müssen uns auch wehren“, sagte der Geschäftsführer des bayerischen Verbandes Bernd Ohlmann am Freitag. „Es gibt Unternehmen, die schon Millionenschäden haben durch die unserer Ansicht nach rechtswidrigen Warnstreiks.“ Ohlmann zeigte sich überzeugt, dass andere Landesverbände nachziehen werden. Verdi wies die Drohung als substanzlos zurück.

Der Handelsverband Deutschland, der die Tarifverhandlungen für die Arbeitgeber auf Bundesebene koordiniert, betonte, die Warnstreiks seien in den Augen des Handels unzulässig. „Der Streik ist nur ganz ausnahmsweise ein erlaubter Vertragsbruch, wenn es um Forderungen geht, die die Tarifparteien im Wege des Tarifvertrags regeln können.“

Die Arbeitgeberverbände des Einzelhandels seien nach sorgfältiger Prüfung aber zu dem Schluss gekommen, dass die aktuellen Streikmaßnahmen im Einzelhandel diesen Anforderungen nicht genügten. Es gehe nicht an, dass die Gewerkschaft mit Arbeitskampfmaßnahmen gegen ohnehin schon tarifgebundene Unternehmen die gemeinsame Beantragung der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifabschlusses erzwingen wolle.

Verdi: Schreiben hat „keinerlei Substanz“

Ohlmann betonte, wenn nur eine Forderung bei einem Warnstreik unzulässig sei, sei der gesamte Warnstreik rechtswidrig und damit drohten Klagen der bestreikten Unternehmen. Um dies zu verhindern, müsse Verdi die Forderungen anpassen.

Der Verhandlungsführer von Verdi in den Tarifgesprächen zum Einzelhandel, Hubert Thiermeyer, betonte, das Schreiben habe „keinerlei Substanz, wir werden die Forderungen nicht anpassen.“ In Nordrhein-Westfalen habe es bereits eine Klage zu dem Thema gegeben. „Dort hat das Arbeitsgericht zu unseren Gunsten entschieden.“

Für Thiermeyer ist das Schreiben ein Indiz, dass die Streikmaßnahmen Wirkung zeigten. „Der einfachste Weg, Streiks zu beenden, ist sich in den Tarifverhandlungen zu bewegen“, sagte er.

„Für die Beschäftigten geht es um eine existenzielle Forderung. Sie sind eher in den unteren Einkommensbereichen – deswegen treffen sie die starken Preiserhöhungen im Lebensmittelbereich überproportional. Die Streikmaßnahmen sind das einzige Mittel, mit dem sie auf ihre Situation aufmerksam und Druck machen können“, sagte Thiermeyer. Die Forderung nach einer Allgemeinverbindlichkeit soll nach seinen Worten „Tarifflucht mit Dumpinglöhnen“ verhindern.

Kritik auch aus NRW

Eine Sprecherin des Handelsverbandes NRW erklärte, man teile im bevölkerungsreichsten Bundesland die Rechtsauffassung der bayerischen Kollegen. Dennoch werde man ihrem Schritt erst einmal nicht folgen.

Auch der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Nord, Dierk Böckenholt, stufte die Streiks als „voraussichtlich rechtswidrig“ ein. Ob sie einen Schadenersatz begründeten, hänge aber von weiteren Faktoren ab. Er forderte Verdi auf, sich auf echte Verhandlungen zu konzentrieren. Dazu sei die Gewerkschaft bislang bundesweit nicht bereit gewesen.

Selbst eine zeitnahe Inflationsausgleichsprämie für die Beschäftigten im Einzelhandel lehne Verdi grundsätzlich als Lösungsbestandteil ab, kritisierte Böckenholt. „Sollte sich an der Haltung nichts ändern und Verdi weiterhin nichts zur Ergebnisfindung beitragen, sollten die Unternehmen rechtswidrige Streiks rechtlich unterbinden lassen und sich auch Schadenersatzforderungen vorbehalten.“ Der Handelsverband Nord ist Arbeitgeber-, Tarifträger- und Wirtschaftsverband für
alle Handelsunternehmen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. (dpa)



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