„Gezielt vom Markt genommen“: Waggonbau Niesky stellt Produktion endgültig ein

Der letzte Hersteller von Güterwagen in Deutschland macht zu. Sie hätten „den Kampf verloren“, schrieb Betriebsratschef Peter Jurke Ende August an seine Kollegen im Waggonwerk Niesky.
Titelbild
Kesselwagen in Magdeburg – einige davon dürften aus Niesky stammen.Foto: iStock
Von 5. September 2023

Ende August stellte das letzte Waggonbauunternehmen Deutschlands, der Waggonbau Niesky, seinen Betrieb endgültig ein. Der Traditionsbetrieb, der 1835 als Kupferschmiede gegründet wurde, baute seit 1917 Schienenfahrzeuge. In Niesky wurden beispielsweise 315 Spezialwaggons gebaut, auf denen Lkw den Ärmelkanal unterqueren. Auch die Schweizer Bundespost ließ in Niesky bauen: 55 Schiebewandwagen.

Nun wird er abgewickelt, weil die Auftragsbücher leer sind und das Werk laut dem Insolvenzverwalter Franz-Ludwig Danko keine Umsätze mehr erwirtschaftet. Der Betriebsrat bestätigte die Schließung des Unternehmens.

Insolvenzverwalter Danko hofft, dass binnen der nächsten vier Monate doch noch eine Investorenlösung gefunden wird. Eine direkte Übernahme habe sich zuvor zerschlagen, weitere Verhandlungen mit Firmen in der Branche laufen.

30 Wochen Mahnwache – nun Abtransport der Technik

Der bisherige Betreiber des Werks war der slowakische Güterwagenhersteller Tatravagónk. Dieser baut derzeit die Fertigungseinrichtungen ab und transportiert sie in die Slowakei. Tatravagónk verpflichtete sich, den Betrieb bis Ende des Jahres aufrechtzuerhalten, schrieb die „Sächsische Zeitung“.

Der Niedergang zerrt schon länger an den Nerven der Menschen in Niesky. Im Mai 2022 meldete Tatravagónk Insolvenz an. Im Herbst 2022 vermuteten sowohl Belegschaft als auch die IG Metall, dass die Slowaken kein Interesse mehr am Weiterbetrieb hatten. Die Anzahl der neuen Aufträge ging zurück, die Beschäftigten hatten nichts mehr zu tun. Daher organisierte die Belegschaft eine Mahnwache, die 30 Wochen lief – erfolglos.

Nun gehen die 190 Mitarbeiter bis Ende des Jahres in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft über. Vier Monate erhalten sie einen großen Teil ihrer Nettobezüge weiter und werden auf der Suche nach Beschäftigung und Fortbildungen unterstützt.

Betriebsratsvorsitzender Peter Jurke hofft noch auf die paar kommenden Monate – und will erst aufgeben, wenn die Investorensuche für gescheitert erklärt werde.

Nur „ein Wahlkampfthema“, der Schienengüterverkehr

„Wir haben den Kampf verloren“, sagt Peter Jurke. Damit würde der letzte Hersteller von Güterwagen in Deutschland gezielt vom Markt genommen, berichtete der Betriebsrat „MDR Sachsen“. Peter Jurke schrieb in seinem Brief an die Belegschaft auch:

Der Waggonbau Niesky, so wie wir ihn seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten kennen, gibt es nicht mehr und wird es leider in dieser Form auch nicht mehr geben.“

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Jurke kritisierte im „ZDF-Morgenmagazin“, dass in Deutschland Investitionen in die Schiene nur im Wahlkampf Thema seien. Doch „die Nachbarländer Österreich und Schweiz machen es uns seit Jahrzehnten vor, wie man über rechtliche Handhabungen Lastwagen von der Straße holt“.

„Das Herz der Stadt“

Der Waggonbau Niesky war der größte Industriebetrieb der Stadt. Bürgermeisterin Kathrin Uhlemann sprach vom „Herz der Stadt und der gesamten Stadtgesellschaft“, dieser Kern sei nun gefährdet, zitierte sie die „Sächsische Zeitung“.

Martin Dulig, Sachsens Wirtschaftsminister, bedauert die Entwicklung in Niesky. Sein Ministerium habe das „industriepolitische Interesse […] am Erhalt einer Güterwaggonproduktion in Niesky stets betont“.

Auch Staatssekretär Conrad Clemens traf sich in Niesky mit dem Betriebsrat und dem Insolvenzverwalter. Er erklärte: „Niemand hier trägt die Verantwortung für die entstandene Situation. Die Staatsregierung wird alles dafür tun, um eine zukunftsfähige Lösung für den Standort Niesky und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entwickeln.“

Einiges aus der Geschichte: 1835 gegründet als Kupferschmiede, 1857 erste Kesselschmiede und Maschinenschlosserei. 1863 begann der Bau von Dampfmaschinen und Brücken, 1898 wurden sie als Maschinenfabrik eine Aktiengesellschaft – mit Christoph & Unmack.

1917 begann die Fertigung von Schienenfahrzeugen wie Güter-, Post-, Reisezugwagen und Straßenbahnen in der Maschinenfabrik. 1948 wurde das Unternehmen zum Volkseigenen Betrieb „Waggon-, Holz- und Stahlbau, Vereinigung Volkseigener Betriebe – Sachsenholz – Niesky OL“, der als VEB Waggonbau Niesky erstmals 1955 für die ägyptischen und syrischen Staatsbahnen baute. 1970 begann die Produktion im „Nichtsozialistischen Ausland“. 1978 wurde der Betrieb zum Kombinat Schienenfahrzeugbau.

1998 übernahm Bombardier das Werk, 2005 wurden die Nieskyer eigenständig und 2008 dann 100-prozentige Tochter der Deutschen Bahn AG. 2014 übernahm Quantum Capital Partners den Betrieb, der vier Jahre später insolvent ging und 2018 von Tatravagónk gekauft wurde. Gebaut wurden im Laufe der Jahre nicht nur Güter- und Kesselwaggons, sondern auch Drehgestelle und – ganz früher – Post-, Reisezugwagen und Straßenbahnen.

 



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