Medikamente „just in time“ – doch die Finanzierung bleibt aus

In Österreich ist ein Fertigungsverfahren für Medikamente entstanden, das Unabhängigkeit von der Lieferkette verspricht. Allerdings sieht man sich von der nötigen Finanzierung noch weit entfernt.
RCPE HQ
Foto: RCPE
Von 7. August 2023

Deutliche Kritik am zögerlichen Umgang des österreichischen Forschungsministeriums mit einer möglichen Schlüsseltechnologie übt Johannes Khinast. Er ist CEO und wissenschaftlicher Leiter des in Graz ansässigen Forschungszentrums für die Entwicklung pharmazeutischer Anlagen (RCPE). Sein Haus hat eigenen Angaben zufolge ein einzigartiges Fertigungsverfahren für Medikamente entwickelt. Dieses hätte das Potenzial, die Abhängigkeit von Lieferketten aus China oder Indien entscheidend zu verringern.

Engpässe nach wie vor nicht überwunden

Dennoch bewege sich nichts bezüglich der Finanzierung seiner Umsetzung. Wie Khinast gegenüber der „Kleinen Zeitung“ betont, hat die Politik diese gestoppt. Dies verstärke die ohnehin hohe Abhängigkeit von China und Indien, die nicht nur Österreich im Bereich der Wirkstoffe aufweise. Die Corona-Krise hatte diese in besonderer Weise deutlich gemacht.

Apothekerkammer-Vizepräsident Gerhard Kobinger sieht die Folgen der Corona-Zeit in diesem Bereich immer noch nicht als überwunden. In Österreichs Apotheken sei nach wie vor permanente „Mangelverwaltung“ angesagt. In vielen Ländern wurde die Wiederansiedlung nach China abgewanderter Produktionsunternehmen zum Thema. Zur Umsetzung gelangten die Ambitionen bis dato noch kaum.

Dazu kommen die Preispolitik der Krankenkassen und bestimmte Eigenheiten im Patentschutz. Sie führen dazu, dass sich auch Hersteller von Generika gegenüber der Konkurrenz aus Asien im Nachteil befinden. Nicht nur in Deutschland gab es jüngst Lieferengpässe bei populären Präparaten wie Aspirin. Insgesamt sind auch in Österreich jedes Jahr etwa 500 Medikamente nicht lieferbar oder kontingentiert.

Medikamente bleiben weiterhin knapp

In Anbetracht der volatilen Weltlage will man beim RCPE diese Situation nicht länger hinnehmen. Khinast warnt davor, das Thema auf die leichte Schulter zu nehmen:

Wir können uns auf nichts verlassen, der Mangel an Medikamenten bleibt eklatant. Da geht es um Schmerzmittel genauso wie um Krebsmedikamente.“

Im Grazer Forschungszentrum habe man eine Technologie entwickelt, die Europa unabhängiger von weltweiten Lieferketten machen könnte. Sie erlaube es, Medikamente „grüner, billiger, einfacher“ zu produzieren.

Derzeit komme es bei der Pharmaherstellung erst zur Produktion des Wirkstoffs. Anschließend verarbeite man diesen mithilfe unterschiedlicher Zugaben und Materialien zu einem Produkt weiter. Khinast erklärt, dass dafür veraltete Technologien in Gebrauch seien:

Diese Systeme sind groß, teuer, brauchen viel Platz, die Qualität kann nicht gut überwacht werden. Und wenn man mit komplexen chemischen Verfahren arbeitet, dann kann es in den großen Reaktoren auch zu gefährlichen Situationen kommen – außerdem fallen hohe Kosten zum Beispiel für das Reinigen und das Entsorgen an.“

RCPE will zehn Millionen Tabletten pro Woche herstellen

Das von RCPE entwickelte Verfahren hingegen will Just-in-Time-Elemente in die Produktion einführen. Im sogenannten Durchflussverfahren flössen die Produktionsschritte im Rahmen eines definierten Prozesses ineinander.

Die Anlagen, so Khinast, ließen sich dadurch kleiner dimensionieren und 24/7 betreiben. Sie seien platzsparender und billiger in den Investitionskosten. Auch gebe es weniger Qualitätsschwankungen, während die Produktion effizienter, umweltfreundlicher und mit weniger Abfall verbunden sei. Zudem seien auch die Sicherheitsstandards höher.

Grundlage des Projekts seien 25 Jahre Wissen und Forschungserfahrung. Khinast zufolge wäre es möglich, mittels der Technologie auf weniger als 100 Quadratmetern zehn Millionen Tabletten pro Woche herzustellen.

Pilotprojekt würde Investition von bis zu 120 Millionen Euro erfordern

Das Projekt erfordere jedoch eine erhebliche Anfangsinvestition. Die geschätzten Kosten für die Pilotanlage könnten sich zwischen 40 Millionen und – laut „Kleine Zeitung“ – 120 Millionen Euro bewegen. Dieses Geld wurde allerdings nach inoffiziellen Angaben für das Befüllen der österreichischen Gasspeicher gebraucht.

Kontinuierliche Fertigungsmethoden könnten auch bei der raschen Herstellung von Medikamenten zur Behandlung einer COVID-19-Erkrankung hilfreich sein, betont Khinast. Die Gesellschafter des RCPE sind die TU Graz (65 Prozent), die KF Uni Graz (20 Prozent) sowie Joanneum Research (15 Prozent).

Das Durchflussverfahren ist eine relativ moderne Herangehensweise in der chemischen und pharmazeutischen Industrie, einschließlich der Medikamentenherstellung. Im Durchflussverfahren finden chemische Reaktionen und Prozesse in einem kontinuierlichen Fluss von Rohstoffen statt. Herkömmliche Verfahren laufen demgegenüber in Chargen und damit diskontinuierlich ab.

Medikamente lassen sich schneller und effizienter produzieren

Vom Durchflussverfahren bei der Herstellung von Medikamenten versprechen sich Forscher mehrere Vorteile gegenüber herkömmlichen Methoden. Dazu gehört unter anderem eine präzisere Steuerung der Reaktionsbedingungen wie Temperatur, Druck und Mischverhältnisse. Dies kann zu einer höheren Produktqualität, Ausbeute und Selektivität führen.

Die kontinuierliche Natur des Durchflussverfahrens erleichtert die Kontrolle und Überwachung potenziell gefährlicher Reaktionen. Dies kann die Sicherheit für die Mitarbeiter erhöhen. Die Reaktionszeiten lassen sich aufgrund der kontinuierlichen Produktion verkürzen, zudem wird die Skalierung einfacher.

Khinast spricht auch von weltweitem Interesse an den kompakten Anlagen. Man könne diese „überall aufstellen und wie ein Franchise weltweit aufbauen“. Die Hoffnung auf eine Finanzierung hat der CEO von RCPE aber noch nicht aufgegeben. Immerhin soll es noch im Herbst neue Gespräche mit dem zuständigen Ministerium geben.



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