Wirtschaftsexpertin He Qinglian sieht China in einer Rezession
China bleibt zwar bisher von der Finanzkrise relativ verschont, steckt jedoch bereits seit über einem halben Jahr in einer Wirtschaftskrise. Diese treffe die Realwirtschaft und sei daher noch kritischer als die Finanzkrise in den USA, davon ist die in den USA lebende chinesische Ökonomin He Qinglian überzeugt.
„Die Ursache von Chinas Wirtschaftskrise liegt an seiner Wirtschaftsstruktur und hat mit der Finanzkrise der USA wenig zu tun“, sagte He Qinglian zur Epoch Times Deutschland. Die Finanzkrise der USA habe nur zum Schrumpfen der Devisenreserven in China geführt, sei jedoch nicht die Ursache der chinesischen Wirtschaftskrise.
Chinas Wirtschaft befindet sich laut He in einem durch das System bedingten auswegslosen Zustand.
So lohne sich der Spielzeugexport wegen verschärfter Tests nicht mehr, am Immobilien- und Aktienmarkt sei die über Jahre aufgepumpte Blase bereits geplatzt. Die Bevölkerung stehe nun aufgrund der extrem hohen Inflation und der schlechten Qualität der Lebensmittel äußerst schweren Zeiten gegenüber.
Epoch Times: Sie haben bei einem Wirtschaftssymposium gesagt, dass in China eine Wirtschaftskrise bereits vor der weltweiten Finanzkrise aufgetreten sein soll. Das klingt ganz anders als die offizielle Darstellung. Gibt es denn tatsächlich eine Wirtschaftskrise in China?
He Qinglian: Nach dem Ausbruch der Finanzkrise hat China die Gelegenheit genutzt, um die Schuld für alle Wirtschaftsprobleme im Land auf die Finanzkrise in den USA zu schieben. In Wirklichkeit ist dem aber nicht so. Warum? Die chinesische Regierung hat immer versucht, die Olympischen Spiele 2008 in Peking zur Präsentation eines „starken China“ zu nutzen, jedoch zeigt sich im Jahr 2008 in China bereits allerorten eine Rezession.
Unter dem Motto „Alles für die olympische Spiele“ hat die Olympia-Euphorie bereits ein bis zwei Jahre vorher in den Finanz-, Immoblien- und Aktienmärkten angefangen. Die chinesische Regierung versuchte mit aller Kraft, nach Außen Zuversicht zu zeigen, dass Peking mit den Olympischen Spielen bestimmt Geld machen kann. Aus dieser „Olympia-Zuversicht“ heraus haben alle versucht, auf diesen „Olympia-Wirtschafts-Express“ aufzuspringen.
Epoch Times: Das klingt nach besten Voraussetzungen für eine Blasenbildung.
He: Die chinesische Wirtschaft befand sich in hohem Maße in einem Zustand der Blasenbildung. Obwohl die internationalen Investoren am Anfang letzten Jahres schon ängstlich die Gefahr vorausgeahnt haben, dass die chinesische Wirtschaftsblase platzen wird, waren die chinesischen Investoren absolut optimistisch darüber, dass die Regierung mit aller Kraft versuchen würde, den Immobilien- und den Aktienmarkt stabil zu halten. Daher waren sie der Meinung, dass sie vor Olympia sorglos auf diesen beiden Märkten spielen könnten.
Epoch Times: Und wie sieht es mit der Wirtschaft Chinas nach den Olympischen Spielen aus?
He: In Wirklichkeit haben die Olympischen Spielen hier nur sehr begrenzt geholfen, ausgenommen natürlich die Investitionen für die olympischen Bauprojekte. Die Börse, der Immobilienmarkt und die Exporte stehen bereits seit Anfang dieses Jahres auf wackeligen Beinen. Die seit mehreren Jahren andauernde hohe Inflation hat bei allen Bürgern zur Verringerung des Reichtums geführt. Die Bürger der niedrigeren Schicht haben sogar Schwierigkeiten zu überleben. Diese Situation habe ich schon zu Beginn dieses Jahres gesehen.
Jetzt haben wir Oktober. Am 13. März ist die Börse in Shanghai bereits auf 3.971 Punkte gefallen. An jenem Tag sind 700 Milliarden Yuan verloren gegangen. Seitdem fallen die Aktien unaufhörlich. Bis heute zeigt sich keine Besserungstendenz. Die Talfahrt der Börse in China hat wenig mit der Finanzkrise der USA zu tun, das ist Chinas eigenes Problem. Denn vor der Finanzkrise der USA, nämlich in der ersten Hälfte dieses Jahres, sind die Aktien schon sehr tief gefallen. Die Analysten in China sprechen auch nicht vom Einfluss des amerikanischen Aktienmarktes.
Epoch Times: Aber fehlt wegen der Finanzkrise nicht vielen Unternehmen das Geld, um ihre Produktion nach China auszuweiten? Hat das nicht bereits zu einer Konkurswelle geführt?
He: Auch die Konkurswelle ist nicht von der Finanzkrise in den USA verursacht worden. Im letzten Jahr wurde Spielzeug aus China in den USA stark boykottiert, da es hohe Mengen Blei enthielt. Mehrere Millionen Spielwaren wurden zurückgerufen. Am stärksten war die Li Da Spielzeugfirma in Foshan in der Provinz Guangdong betroffen. Alleine diese Firma musste 967.000 Stück von 96 Sorten von Spielzeugen zurückholen. Der Chef aus Hongkong hat sich am 11. August im Lager der Fabrik aufgehängt.
Der höchste Anteil von „Made in China“-Produkten auf dem internationalen Markt besteht aus Textilien, Bekleidung, Schuhen und Spielzeug. Seit diesem Jahr gibt es Schwierigkeiten bei allen diesen Produkten. Am 1. Mai hat die American Toy Industry Association (TIA) und das American National Standards Institute (ANSI) ein neues „Toy Safety Certification Program“ (Anm. Programm für Spielzeugsicherheitszertifizierung) erlassen. Die Spielzeughersteller werden stufenweise geprüft und Sicherheitstests durchgeführt. Die Kosten müssen von den Unternehmen übernommen werden. Laut Einschätzung chinesischer Experten erhöhen sich dadurch die Kosten für den Export von Spielzeug in die USA um 25 Prozent.
Epoch Times: Wie steht es um den Immobilienmarkt?
He: Ende 2005 wurde bereits prognostiziert, dass der Immobilienmarkt mit Sicherheit stürzen wird. Nehmen wir Shanghai als Beispiel, damals wurden 90 Prozent der Geschäfte von Immobilienmaklern gemacht. Wenn der Immobilienmarkt von Händlern gesteuert wird, ist er bestimmt ungesund, weil die Spekulation dabei zu dominant ist. Das bedeutet, am Markt läuft nicht alles nach Bedarf, sondern nach Spekulation.
Aber wann hat der Absturz begonnen? Im Oktober 2007 begannen die Immobilienmärkte in Beijing, Guangzhou, Shanghai und Shenzhen schon zu fallen, in Shenzhen sind die Immobilienpreise am stärksten eingebrochen, nämlich um 20 bis 40 Prozent. Jetzt sind die Städte der zweiten und dritten Reihe betroffen, wie Nanjing, Wuhan, Chengdu, Chongqing, Xiamen, Fuzhou und Zhuhai. In allen diesen Städten sind die Immobilien durchschnittlich um 15 Prozent gefallen. Die Analysten in China sagen, dass es schon einen Schneeball-Effekt gibt.
Epoch Times: China hat einen großen Teil seiner Devisenreserven an der Wall Street oder in US-Staatsanleihen angelegt. Hat das einen Einfluss auf die Finanzkrise der USA?
He: Nein, denn die Finanzkrise der USA liegt in den USA selbst begründet. Warum? Die Finanzkrise der USA findet nur in den Finanzderivaten im Finanzkreis statt, wie zum Beispiel den Subprime-Krediten, der betroffene Bereich ist nicht besonders groß. Der realen Wirtschaft der USA geht es immer noch sehr gut, das Verbrauchervertrauen und die Einkommen der Haushalte sind auch gut, es gibt auch kein Problem bei den High-Tech-Unternehmen. Im Bankwesen sind nur die Investmentbanken schwer betroffen. Die anderen Banken haben keinen großen Schaden erlitten. Die Amerikaner haben auch erkannt, dass das schlimmere Problem eigentlich im Vertrauensverlust liegt.
Der amerikanische Aktienmarkt ist wieder stabil geworden. Die USA haben innerhalb von vier Wochen schon mehr als 100 Milliarden US-Dollar an Staatsanleihen verkauft. Das heißt, alle haben noch Zuversicht für die USA. Unter diesen Umständen kann die Finanzkrise der USA unter Kontrolle gestellt werden. Ich glaube, man braucht nur die Folgen langsam zu verdauen, dann kommt es wieder in Ordnung. Die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft hat keinen direkten Einfluss auf die Finanzkrise in den USA.
Epoch Times: Was ist Ihrer Meinung nach der grundlegende Unterschied zwischen der Wirtschaftskrise Chinas und der Finanzkrise der USA?
{Q}He: China ist die Werkbank der Welt geworden, spielt jedoch keine führende Rolle in der Technik wie England zur Zeit der Industriellen Revolution. Damals hat England Technikbereiche abgedeckt, die kein anderer beherrschte. In China ist es anders. China befindet sich auf der untersten Schicht der Weltproduktion, es liefert nur Arbeitskraft-intensive Produkte mit niedrigem Technikanteil. Viele Kernbestandteile vieler elektronischen Produkte „Made in China“ werden vom Ausland importiert. China besitzt keinen technischen Vorteil, das ist der erste Punkt.
Ein Problem stellt auch der Finanzmarkt dar. Vor 2006 waren die faulen Kredite in den Banken schon sehr hoch, laut von Ernst & Young „unabsichtlich“ herausgegebenen Information betrugen sie mehr als 900 Milliarden US-Dollar. Auch der Vorstandsvorsitzende der UBS AG ist nach seiner Einschätzung auf diese Zahl gekommen.
Die chinesische Regierung hat diese Banken schön verpackt und auf den Aktienmarkt gebracht, um die faulen Kredit zu reduzieren. Was die faulen Kredit angeht, so ist die Einschätzung der chinesischen Regierung anders als die der Außenwelt. Bis Ende März 2004 hatten die vier größten staatlichen Institute 1890 Milliarden Yuan (rund 189 Milliarden Euro) an faulen Krediten, das sind 19 Prozent der gesamten Kredite. Aber seit 2006 sind alle Banken auf den Aktienmarkt gekommen, die Situation hat sich dadurch total verändert. Bis Ende 2007 betrug das gesamte Kapital der fünf größten Banken 29.000 Milliarden Yuan, die Rate der faulen Kredite ist auf 8,05 Prozent und damit um 11 Prozent gefallen. Diese elfprozentige Senkung halten alle anderen Länder für unmöglich.
Es gibt weiterhin Korruption, dazu kommt noch der Absturz der Immobilien- und Aktienpreise, die faulen Kredite wachsen immer noch.
Epoch Times: Chinas Exporte leiden derzeit.
He: Auch wenn es in den USA keine Finanzkrise gäbe, würden die USA weniger aus China importieren. Die Amerikaner haben schon lange Zweifel an „Made in China“, das habe ich eben auch gesagt. Der Import von Spielzeug aus China in die USA hat sich reduziert. Auch die sinkenden Lebensmitteleinfuhren haben mit der Finanzkrise nichts zu tun, der Grund dafür ist das giftige Milchpulver, sodass man kein Vertrauen mehr in Chinas Lebensmittel hat. Aber nicht nur das giftige Milchpulver von heute, sondern auch das giftige Tierfutter vom Juni letzten Jahres hat in den USA für große Aufregung gesorgt, als die Haustiere vergiftet wurden. Hat das mit der Finanzkrise zu tun? Glauben Sie, dass die Amerikaner gerne giftige Lebensmittel und giftige Spielsachen importieren?
Epoch Times: In China wird die Finanzkrise der USA jedoch bereits als ein Zeichen des Scheiterns der freien Marktwirtschaft und des Kapitalismus gefeiert. Es wird behauptet, dass die Planwirtschaft des Sozialismus und die strenge Wirtschaftskontrolle Chinas im Vergleich besser abschneiden. Wie sehen Sie das?
He: China hat diese Gelegenheit genutzt, um das Scheiten der freien Marktwirtschaft auszurufen. Diese Lüge dürfte jedoch etwas zu früh ausgesprochen worden sein, da die chinesische Regierung zu diesem Zeitpunkt geschätzt hat, dass die USA diese Krise schwer durchstehen können. Sie hätte nicht gedacht, dass sich die Wirtschaft in den USA nach einem halben Monat bereits stabilisieren konnte.
Die chinesische Regierung kann wieder einmal sagen, was sie will, da die Medien sowieso unter ihrer Kontrolle stehen. Die meisten Chinesen haben keine Möglichkeit, ausländische Zeitungen zu lesen, sie bekommen auch keinerlei Informationen von außen. Außerdem gibt es in den chinesischen Zeitungen im Ausland nur wenige Wirtschaftsberichte. Selbst wenn es jemanden gibt, der die Blockade durchbrechen und die chinesischen Zeitungen lesen kann, kann er nicht viel davon wissen, wie es sich mit der Finanzkrise der USA wirklich verhält.
Epoch Times: Die chinesische Regierung möchte jetzt die heimische Wirtschaft stärken, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Glauben Sie, dass die Voraussetzungen dafür existieren?
He: Das sagt die chinesische Regierung nicht erst jetzt, sondern schon seit mehr als einem Dutzend von Jahren. Die chinesische Wirtschaft ist durch die starke Abhängigkeit vom Ausland charakterisiert, der Abhängigkeitsgrad liegt bei rund 60 Prozent. Der Inlandskonsument kann die chinesische Wirtschaft nur mit 30 Prozent unterstützen. Unter diesen Umständen ist der Ausbau des Inlandskonsums schon seit je her der Wunsch der chinesischen Regierung. Aber warum hat sie das nie geschafft? Der Grund ist sehr einfach: weil die Schere zwischen den Reichen und Armen zu groß ist. Die normalen Bürger haben sehr wenig Geld.
Epoch Times: Warum hat der Durchschnittsbürger Ihrer Meinung nach wenig Geld?
He: Selbst wenn die Leute ein wenig Geld haben, müssen sie es für die Rentenversicherung, Bildung, Krankenversicherung und Wohnung ausgeben, nachdem die umfassende Reform in diesen Bereichen eingeführt worden ist. Die Bildung, die Krankenversicherung und die Wohnung sind wie drei Berge, die auf den Bürgern lasten.
Das hat dazu geführt, dass Chinas Sparquote am höchsten in der Welt ist. Das Ziel zum Sparen der Chinesen ist 1. für die Bildung der Kinder, 2. für die Krankenfälle und 3. für die Wohnung. Unter diesen Umständen ist es schwierig, die Bürger zu überreden, ihr Geld für anderen Bedarf auszugeben. Für den Ausbau des inneren Bedarfs gibt es noch folgende Probleme: Erstens: Die Lohnsteigerung kann den Schritt nicht mithalten; zweitens: Die drei Berge existieren immer noch. Es ist eine Frage, wie sie unter diesen Umständen den inneren Bedarf fördern kann. Eins muss noch berücksichtigt werden, nämlich: Die Pleitewelle der Unternehmen wird dieses Jahr zu noch mehr Arbeitslosen führen, es wird etwa 200 Millionen Arbeitslose geben. Nächstes Jahr wird es noch schlimmer sein, deshalb werden die normalen Bürger ihr Geld nicht so gerne ausgeben.
Epoch Times: Oft wird die Frage nach einem möglichen Zusammenbruch Chinas gestellt.
He: Wenn man über den Zusammenbruch der Moral spricht, so ist das schon längst die Realität, das zeigt sich auch durch den Vorfall der vergiften Milchpulver. Auch das Vertrauen in der Gesellschaft ist längst zusammengebrochen.
Das Interview führte Maria Zheng
Zur Person:
He Qinglian, geboren 1956, ist Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin und arbeitet zur Zeit in New York. In ihrem Buch „China in der Modernisierungsfalle“ (1. Auflage, 2006, Hamburger Edition, ISBN-10 3936096686) räumt die Ökonomin grundlegend mit dem Mythos „vom Wandel durch Handel“ auf. Anders als viele professionelle China-Beobachter, die, fixiert auf die hohen Wachstumsraten, nur den vermeintlich unaufhaltsamen Aufstieg Chinas zur Großmacht sehen, beschreibt sie das heutige China als ein Land, das gesellschaftlich „auf einem Vulkan“ sitzt, der jederzeit ausbrechen kann. Trotz der bemerkenswerten Öffnung Chinas und größerer gesellschaftlicher Freiheiten hat es die neue herrschende Schicht bisher vermocht, eine breite gesellschaftliche Bewegung für eine soziale, gerechte, marktwirtschaftlich orientierte und demokratische Gesellschaft zu verhindern. Das starre Festhalten an der diktatorischen Einparteienpolitik wird die Probleme weiter verschärfen.
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