Wirtschaftsforschungsinstitute: Regierung hat Unternehmen und Haushalte „massiv verunsichert“
Deutschland im Abschwung: Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Konjunkturprognose für dieses Jahr kräftig heruntergeschraubt. Sie erwarten, dass das Bruttoinlandsprodukt um 0,6 Prozent schrumpft. Im Frühjahr waren die Institute noch von einem Mini-Wachstum von 0,3 Prozent ausgegangen. Ein Überblick, welche Gründe das hat – und warum die Ökonomen die Politik der Bundesregierung kritisieren.
Wirtschaft schrumpft
Der wichtigste Grund für die Prognosesenkung sei, dass sich die Industrie und der private Konsum langsamer erholt hätten, als die Institute im Frühjahr erwartet hätten, sagte Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle in Berlin. Das hat laut der „Gemeinschaftsdiagnose“ der Institute zum Beispiel mit der schwachen Weltkonjunktur zu tun, was exportstarke Firmen belastet. Zudem sei die Produktion in energieintensiven Wirtschaftsbereichen wie der Chemieindustrie zurückgegangen – die Wirtschaft fordert wegen der im internationalen Vergleich hohen Strompreise seit längerem Entlastungen.
Beim privaten Konsum gab es noch keine deutliche Erholung, so die Institute. Zwar stütze eine anziehende Lohndynamik die Kaufkraft der Haushalte. Viele Menschen aber seien nach wie vor auch wegen der anhaltend hohen Inflation verunsichert, wie es weitergehe, und hielten sich mit größeren Investitionen zurück.
An der Preisfront entspanne sich die Lage aber nach und nach. Die Inflationsrate dürfte laut Prognose in diesem Jahr bei 6,1 Prozent liegen und im kommenden Jahr auf 2,6 Prozent zurückgehen. Im September schwächte sich die Inflation ab. Die Verbraucherpreise lagen um 4,5 Prozent über dem Vorjahresmonat – nach 6,1 Prozent im August, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.
Für das kommende Jahr senkten die Wirtschaftsforscher ihre Wachstumsprognose um 0,2 Prozentpunkte auf 1,3 Prozent. Hohe Wachstumsraten werde es auch in den Jahren danach nicht geben – der Grund: Aufgrund der demografischen Entwicklung schrumpft die Zahl der Erwerbstätigen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) legt Mitte Oktober eine neue Konjunkturprognose vor. Auch die Bundesregierung dürfte ihre Erwartungen herunterschrauben. Im Frühjahr hatte die Bundesregierung noch mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 0,4 Prozent gerechnet. Die Herbstprognose ist auch Grundlage für die neue Steuerschätzung im November.
Stabile Lage auf dem Arbeitsmarkt
Zwar ist die konjunkturelle Schwäche den Instituten zufolge mittlerweile auch auf dem Arbeitsmarkt angekommen. Angesichts der „notorischen“ und sich perspektivisch weiter verschärfenden Personalknappheit in vielen Bereichen erwarten die Institute aber nur einen moderaten Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 2,6 Millionen Menschen in diesem Jahr. In den beiden kommenden Jahren werde die Zahl der Arbeitslosen wohl leicht sinken.
Denkzettel für Bundesregierung
Die Institute kritisieren, die Politik der Bundesregierung habe Unternehmen und Haushalte „massiv verunsichert“. Dies erschwere ökonomische Planungen und trage dazu bei, dass die Konjunktur nicht zügig aus dem Abschwung herausfinde. Torsten Schmidt vom RWI-Institut Essen sagte, es sei zwar zu begrüßen, dass die Bundesregierung die Klimapolitik beherzt in Angriff genommen habe. Aber: „Die Maßnahmen sind aus unserer Sicht die falschen.“ Er verwies auf die langen Konflikte in der Koalition über das Heizungsgesetz und sprach von einem „kleinteiligen“ Vorgehen. „Die Verunsicherung der Bevölkerung in Deutschland ist immer noch sehr hoch und das dämpft natürlich den Konsum und die Investitionen.“
Auch das von der Koalition geplante „Wachstumschancengesetz“ mit milliardenschweren Entlastungen für Unternehmen werde keine große Wirkung entfalten, meinen die Institute.
Die CDU-Wirtschaftspolitikerin Julia Klöckner nannte die wirtschaftliche Lage in Deutschland besorgniserregend. Es brauche einen umfassenden und schnell wirksamen Pakt für Wachstum und Wohlstand. Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch sprach von einem „Ampel-Absturz“. Bartsch sagte, die Rezession sei die Folge einer vielfach desolaten Politik der Bundesregierung.
Institute lehnen Industriestrompreis ab
Die Koalition ringt seit Wochen über Entlastungen für Firmen bei den Energiepreisen. Die Grünen und die SPD-Fraktion sind für einen staatlich subventionierten Industriestrompreis, Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist skeptisch, die FDP ist dagegen.
Die Institute lehnen einen Industriestrompreis ab. Stefan Kooths vom Kiel Institut für Weltwirtschaft sagte: „Wir haben ein Knappheitsproblem, das drückt sich in den Preisen aus und das löst sich nicht dadurch, dass man für Teile der Verbraucher hier mit neuen Subventionen hantiert.“
Holtemöller sagte, es werde wahrscheinlich auf absehbare Zeit auch künftig so sein, dass woanders Strom aus erneuerbaren Energien billiger produziert werden könne als in Deutschland. „Insofern wird es wahrscheinlich auf Dauer nicht vermeidbar sein, dass gewisse energieintensive Produktionen aus Deutschland verlagert werden. Das ist aber kein Weltuntergang, weil man dementsprechend andere Aktivitäten entfalten kann.“ Dieser Strukturwandel müsse gefördert werden, vor allem für die betroffenen Beschäftigten.
Die Institute kritisierten, es gebe in der Energiepolitik kein stimmiges Gesamtkonzept. Sie empfehlen eine Abschaffung der Stromsteuer und eine gleichzeitige Verknappung von CO2-Zertifikaten – um Anreize zu geben, Strom zu sparen. (dpa/red)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion