Dummheit und Verblödung – Bestseller-Autorin Brigitte Witzer mit erschreckender Gesellschafts-Diagnose

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"Wir leben ja in einer Welt, die von Machbarkeit und Funktionieren getrieben ist – nicht von Empathie und Freundlichkeit, wie es für reife Gesellschaften passend wäre."Foto: Cover Heyne Verlag

Brigitte Witzer legt ihren Schwerpunkt auf den Umgang mit Macht und Verantwortung. Ihr Ende April im Münchner Heyne-Verlag erschienenes Buch „Die Diktatur der Dummen – Wie unsere Gesellschaft verblödet, weil die Klügeren immer nachgeben“ ist seit Ende Mai in 2. Auflage im Verkauf und inzwischen mehrfach auf der SPIEGEL-Bestsellerliste gelandet.

In Berlin-Charlottenburg liegt der Firmensitz von „Evolutionen – Büro für post-heroisches Management“, das mit einem professionellen Team von Professor Dr. Brigitte Witzer seit vielen Jahren erfolgreich geführt wird. 

Die über das Thema  „Führung und Menschenbild“ promovierte Germanistin und Kommunikations-Wissenschaftlerin war bereits mit 33 Jahren von 1993 – 1998 Hochschulprofessorin für Medientechnik und Verlagsherstellung und war in führenden Positionen bei Data Becker und im Bertelsmann-Konzern tätig. Seit 16 Jahren arbeitet sie als Coach, auch in Vorständen von DAX-Unternehmen.

Roland R. Ropers sprach für die EPOCH TIMES Deutschland mit Frau Professor Dr. Brigitte Witzer

ET: Lassen Sie mich bitte zu Beginn sagen: Ihr Buch ist die profundeste Zustandsbeschreibung einer politischen Verwaltungs- und Medien-Diktatur, die zurzeit verfügbar ist. Großen Dank und mein Kompliment für Ihr mutiges Engagement der Aufklärung. Für wie gefährlich halten Sie die zunehmenden Qualitätsgradmesser von „Quoten“ und „Klicks“?

Brigitte Witzer: Danke für die Blumen! Quoten und Klicks führen uns in die Irre und unweigerlich weg von Qualität: auch wenn etwa die „Likes“ bei Facebook einmal als qualitative Aussagen gemeint waren, sind sie doch heute nur noch quantitativ relevant. Qualität ist nicht messbar, sondern nur beschreibbar.

ET: Führt die gebetsmühlenartig gepriesene Wachstumsbeschleunigung nicht unweigerlich in einen komatösen Ruin, wo Qualität und Werte den Parametern von Geschwindigkeit und Quantität zu weichen haben?

Brigitte Witzer: Ja, wir befinden uns mitten in dieser Bewegung – und viele von uns kennen den Unterschied gar nicht mehr zwischen Qualität und Quantität. Er ist ja auch in unserer Gesellschaft kein Kriterium mehr und wird in meinen Augen nirgendwo mehr geübt.

ET: Im Bereich der Medizin gibt es ca. 16.000 verschiedene, abrechenbare Diagnosen. Die Apotheken haben ca. 60.000 Medikamente zur Auswahl, die Super-Märkte 150.000 „Lebensmittel“. Oft sind es nur Futtermittel (food products), die wenig essentielle Nährstoffe enthalten. Die Verpackungen sind oft aufwendiger als der Inhalt. Am besten wird immer noch das Auto energetisch versorgt. Wir leben im Dschungelcamp pathologischer Unwissenheit. Die Obrigkeit in unserem Lande ist der Erzeuger des kontrollierten und gefügigen „homo demens“. In vielen psychiatrischen Einrichtungen herrscht mehr Ordnung als im Wildgehege des „homo ambulans“ (des frei umherwandernden) Menschen. Wie wollen Sie dieses Wissensdefizit beseitigen?

Brigitte Witzer: Es gibt zum Glück an vielen Ecken Gegenbewegungen. Genauso wie Ihre Fragen Ihr Interesse und Wissen zeigen, erlebe ich einerseits wache achtsame Menschen, andererseits an Quantität und Fortschritt uninteressierte junge Leute, die zwischen Repair-Café und Stadtgarten einen anderen Alltag gestalten und dafür vieles ausprobieren. Hier entwickelt sich deutlich etwas weg vom reinen Ich-Bewusstsein hin zum Wir-Denken – neudeutsch gesagt weg vom IQ in diesem Sinne (Ich-Quotient) hin zum WQ.

Hoffnung habe ich auch, weil sich mein Buch so verblüffend gut verkauft. Das hätte ich nicht gedacht. In Vorträgen zum Buch und nachher, bei den Gesprächen in kleineren Kreisen, erlebe ich sehr konkret, wie einzelne diesen Herausforderungen begegnen und mit welcher Energie und Freude sie das tun.

ET: Werden die Grundlagen für die Verblödung möglicherweise bereits sehr früh geschaffen, wenn die Erziehung der Kinder zu früh in fremde Hände abgegeben wird? Oder gibt es ein klassisches Familienmodell nicht mehr, nur noch Kinderaufzuchtbetriebe mit Blickrichtung auf optimales Funktionieren in dem gerade herrschenden System?

Brigitte WitzerBrigitte WitzerFoto: Copyright Brigitte Witzer

Brigitte Witzer: Ich bin leider kein Profi für die optimale Umgebung für Kinder! Da muss ich leider passen. Mir geht es – ob in Familien, ob in Schulen oder Kitas – vor allem um eines: Dass hier nicht die alten Täter-Opfer-Dynamiken weiter verbreitet werden. Die erleben wir zum einen bei Lehrern, die wie vor 50 Jahren noch immer Fächer unterrichten statt Schüler und die immer noch erziehen wollen, statt Beziehung gestalten.

Das erleben wir aber auch in den Familien, wenn beispielsweise Helikoptereltern einerseits Lehrer bashen und andererseits ihre Kinder stets als Opfer sehen. Da lernt niemand Verantwortung und Kinder bekommen auch keine Verantwortung vorgelebt, sondern nur die Devise: Lieber Täter sein als Opfer!

Dieser als Unterschichten- und Migrantenschlachtruf abgewertete Satz ist im Alltag unserer Gesellschaft und vor allem der soliden Mittelschicht sehr präsent, das ist jedenfalls meine Erfahrung.

Das Thema des Funktionierens ist eine zweite, sehr große Baustelle. Wir leben ja in einer Welt, die von Machbarkeit und Funktionieren getrieben ist – nicht von Empathie und Freundlichkeit, wie es für reife Gesellschaften passend wäre. Tiefer möchte ich hier nicht einsteigen – das ist ein eigenes Buch (und ich arbeite dran).

ET: Sie stellen die ketzerische Frage, ob nicht die Naturwissenschaften und die Gesellschaftswissenschaften unser Sozialwesen zugrunde gerichtet haben. Was läuft an den Universitäten heute falsch? Ist denn eine akademische Ausbildung auf hohem intellektuellem Niveau überhaupt sinnvoll, um im Leben mit gesundem Menschenverstand, Herz und Gefühl zu bestehen?

Brigitte Witzer: Ganz deutlich gesagt: Denken hilft! Oder weniger plakativ: Akademische Ausbildung und hohes intellektuelles Niveau halte ich für großartige Möglichkeiten, menschliche Talente zu leben und Gesellschaft zu stärken. Allerdings sind unsere gesellschaftlichen Großbaustellen kaum Thema der Forscher, weil Forschung nicht frei ist, sondern man Geldmittel dafür erhalten muss und sich also nach den Institutionen der Mittelbewilligung zu richten hat. Die aber sind typischerweise eher systemerhaltend als systemverändernd.

Komplett fehlt in unserer Gesellschaft aber immer noch die Akzeptanz von Emotionen, von Empathie, also von dem, was Sie Herz und Gefühl, ja, gesunden Menschenverstand nennen. Ich würde hier noch hinzufügen: es fehlt an Akzeptanz von Erfahrungswissen, von Reife und Weisheit.

ET: Worin würden Sie den Sinn und auch die Qualität von Medien erkennen?

Brigitte Witzer: In Zeiten der Fußballweltmeisterschaft ist diese Frage besonders schwer zu beantworten. Das Mediensystem funktioniert heute recht einfach: Inhalte schaffen Reichweite – Reichweite steht für Anzeigenpreise. Je größer die Reichweite, desto besser verdient das Medium. Quantität ist also leicht erkennbar und auch relativ gut zu steuern. Um Inhalt gleich welcher Art attraktiv zu machen, wird mit Emotionalisierungen, mit Aufregern und Alarmismus gearbeitet. Je banaler, desto eher haben wir es mit Boulevard zu tun.

Qualität würde ich an folgendem erkennen: Ich bin interessiert daran, einen Artikel noch einmal zu lesen. Das Geschriebene erreicht und öffnet, ja,  berührt mich. (Das ist heute meist nur bei den Todesanzeigen der Fall.) Es wird nicht nur eine Sicht der Dinge dargelegt; es wird ausgewogen berichtet. Geschichten erreichen mich, statt dass sie mich „nur“ emotionalisieren.

Anders beschrieben: Qualität von Medien würde ich daran erkennen, dass ihre Mitarbeiter sowohl innere Freiheit als auch die Befähigung zur Reflexion haben. Dass Reflexion der eigenen Artikel oder Sendungen zum Alltag gehört, und zwar eben nicht nur auf die Reichweite bezogen („möglichst viele“), sondern etwa auf Angemessenheit bedacht. Dass Formate Orientierung liefern, aber keinen Zwang ausüben. Dass Mitarbeiter sehr frei schreiben können und auch Fehler machen dürfen.

[–Dummheit eine intendierte globalisierte Volkskrankheit?–]

ET: Die zahlreichen Krankheiten bilden zugleich ein äußerst gesundes Wirtschaftspotenzial, von dem Millionen von Menschen abhängig sind. Was würde passieren, wenn unser Volk plötzlich sehr viel gesünder wäre und damit eine gewaltige Arbeitslosigkeit bei Ärzten, Schwestern, Pflegern, Therapeuten, Apothekern, Klinikmitarbeitern, Krankenkassenangestellten u.v.m. eintreten würde? Ist es denkbar, dass die Dummheit eine intendierte globalisierte Volkskrankheit ist, deren Bekämpfung sogar eine Gefahr wäre?

Brigitte Witzer: Ich glaube in der Tat, dass wir mit unserer Pathologisierung der Gesellschaft für viel Arbeit sorgen. Vermutlich kämen wir auch mit einer 25- oder 30-Stunden-Woche gut zurecht – schlechte Nachricht für alle Workaholics. Dass viel Arbeit viel bringt, ist ja besonders absurd. Effizienz und Produktivität etwa sind auch im Management keine akzeptierten Kriterien – hier ist es immer noch in weiten Kreisen ok, über zu viel Verantwortung zu stöhnen.

ET: Warum sind wir so system- und instanzenhörig? Für alles gibt es Rezepte und Ratgeber – nur keinen Wissenskompass für das Leben?

Brigitte WitzerBrigitte WitzerFoto: Copyright Brigitte Witzer

Brigitte Witzer: Warum wir so sind, hat viele Gründe. Verantwortung übernehmen ist etwa in unserer Gesellschaft ungeübt, weil die patriarchalen Strukturen eben viel besser erprobt sind, sprich: die Ausübung von Macht und im Gegenspiel die Rolle des Opfers. Wir haben in den 1960er-Jahren eine Freiheitsbewegung erfahren, die Rassismus, Sexismus und männliche Hegemonie abschaffen wollte – daraus geworden ist eine überregulierte, immer ungerechter agierende Welt. Die Systeme unserer Gesellschaft handeln selbst noch so, Schule etwa ist immer noch ein Ort von massivem Machtgefälle.

Wir wissen, wie man Recht bekommt. Aber wir wissen kaum etwas darüber, wie wir im Dialog mit anderen sein können und wie wir dann gemeinsam eine neue Basis für diese Gesellschaft gestalten könnten. Anders gesagt: Unsere Unfähigkeit zur Reflexion, zum Dialog und zur Konfliktbewältigung forciert die Macht der Institutionen, die damit zugleich komplett überfordert sind.

ET:  Eva Herman schreibt in ihrem viel zu wenig bekannt gewordenen Buch „Das Medienkartell“: „Ein Volk, das einen linken Gewalttäter nicht nur zum Außenminister macht, sondern ihn jahrelang an die Spitze der politischen Beliebtheitsskala wählt und einen Daniel Küblböck – horribile dictu – unter die 100 größten Deutschen wählt, ein solches Volk zeigt überdeutlich, dass es sich aus dem Kreis der Kulturvölker verabschiedet hat. So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen!“  Wie beurteilen Sie diese Aussage?

Brigitte Witzer: Sie ist mir zu reißerisch, ehrlich gesagt. Die Botschaft ist mir zu dramatisch, zu sehr auf Wirkung ausgelegt, um ehrlich und ernsthaft zu sein. Ich glaube: Wir befinden uns in einer gesellschaftlichen Übergangsphase. Es gibt Hoffnung, und die liegt darin, sich auf die Gegenwart einzulassen, sich nicht wegzuducken und mitzugestalten. So ist es jedenfalls für mich.

ET: Der Heyne-Verlag hatte im Juli 2013 das Buch des ehemaligen bayerischen Ministerialbeamten Dr.jur. Wilhelm Schlötter „WAHN und WILLKÜR – Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt“. Dieses recht gut verkaufte Buch ist von keinem nennenswerten Medium besprochen worden. Warum will man dem Volk mit aller Macht den Zugang zu Wahrheit und Wirklichkeit versperren?

Brigitte Witzer: Die konkreten Ursachen im konkreten Fall kenne ich nicht. Aber für mich ist offensichtlich, dass einerseits Themen, die die Medien zu kritischer Selbstreflexion zwingen, nicht beliebt sind, andererseits von ihnen selbst aufgebaute „Medien-Karrieren“ nicht ohne Not gekippt werden. Medien wollen nicht fehlerhaft sein. Und mehr noch: Gerade heute, in Zeiten der Prekarisierung, also der Befristung von Arbeitsverhältnissen, auch weiter Teile der Medienbranche, steht dann schnell die Existenz des Journalisten auf dem Spiel. Sich anpassen, nachgeben – das ist doch das, was die Klügeren schon immer so gern getan haben.

ET: Man benötigt intelligente Lösungen, die bedrohliche Entwicklung einer sehr alt werdenden Bevölkerung  zu meistern, die nicht mehr wirtschaftlich-produktive Leistungen für die Gesellschaft erbringt. Wie beurteilen Sie dieses gewaltige Problem?

Brigitte Witzer: Die demografische Umkehrung bisheriger Altersverteilung ist in der Tat eine Herausforderung. Und zugleich glaube ich, dass Komplexität auch hier die Lösung liefert und nicht, wie wir meistens meinen, das Problem ist. Natürlich ist es aufwändiger, komplexe Situationen zu meistern – aber dem sind wir eigentlich durchaus gewachsen. Nur – leider nicht in den Institutionen, die auf Bürokratien bauen, deren Struktur wiederum Machtgefälle sichert und damit das bekannte Wegducken, nicht Hinsehen.

Brigitte Witzer auf  www.evolutionen.de

Foto: Cover Heyne Verlag

Brigitte Witzer

„Die Diktatur der Dummen – Wie unsere Gesellschaft verblödet, weil die Klügeren immer nachgeben“

Heyne-Verlag

EUR 16,99



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