LUMENESSENZ – das Licht der Wahrheit zeigt sein Wesen

Von 8. April 2013

Die Etymosophie-Kolumne von Roland R. Ropers erscheint wöchentlich exklusiv in der EPOCH TIMES Deutschland.

Wir leben in einer sehr bewegten Epoche, in der wir täglich den seit langem prophezeiten Wandel spüren und kaum noch verlässliche Orientierungen im Außen finden können. Es geht jetzt vordringlich um die Erforschung des inneren Universums, um den Zugang und die Heimkehr in unsere Ur-Quelle, in unsere Ur-Heimat. Der übertriebene Luxus (von lat.: lux = Licht, Glanz, Schwelgerei) muss sich in das wahre, klare Licht (lat.: lumen) verwandeln. Daher bezeichnet man im Lateinischen die Erleuchtung mit „illuminatio “ (ins Licht gehen) und nicht mit „luxuria“ (üppiges, zügelloses Wachstum). Ich füge nun den neuen Ausdruck hinzu von der Lumen-Essenz – wenn das Licht der Wahrheit sein Wesen zeigt.

Jean Guitton (1901 – 1999), Schüler des Nobelpreisträgers Henri Bergson (1859 – 1941), bei dem auch der Jesuitenpater Michael A. Windey (1921 – 2009) in Paris studiert hatte, war einer der genialsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Er erklärte: „Die Quantentheorie wie die Kosmologie schieben die Grenzen des Wissens immer weiter vor, bis sie das fundamentale Rätsel berühren, das dem menschlichen Geist gegenübertritt: die Existenz eines transzendenten Seins, sowohl Ursache als auch Bedeutung des großen Universums. Und findet man letztlich in der wissenschaftlichen Theorie nicht dasselbe wie im religiösen Glauben? “

Im Rahmen der Erkenntnislehre gibt es zwei Lichter, welche die Wege der menschlichen Erkenntnis beleuchten.

Das erste Licht war das lumen revelationis, das Licht der Offenbarung. In dem Licht der Offenbarung gab sich GOTT selbst zu erkennen, so wie er ist. Es wird wahrgenommen durch den Glauben, leuchtet in den heiligen Schriften und in den Kirchen und Klöstern. Einen Schrifthinweis fand man im Psalm 119: „Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte und ein Licht auf meinem Pfade.“

Das zweite Licht war das lumen naturalis, das Licht der Natur, und das leuchtete in der menschlichen Vernunft. Dieses war ein grundsätzlich anderes Licht. Dieses Licht leuchtete, wo die exakten Naturwissenschaften Anwendung fanden, und die Instrumente, die hier erforderlich waren, waren auch grundsätzlich anderer Natur: Fernrohre und Mikroskope. Mit Hilfe dieses Lichtes der Natur hoffte man die umfassende und grundlegende Wahrheit über Gott, die Welt und den Menschen herauszufinden.

Beide Lichter also, das Licht der Offenbarung und das Licht der Natur, dienten dazu, dem Menschen ein umfassendes Bild von der Wirklichkeit zu geben. In diesem Punkte waren sich beide Lichter gleich, und sie wurden bis dahin auch gar nicht unterschieden. Doch es gab auch Unterschiede zwischen diesen beiden Lichtern, die seit der frühen Aufklärung sichtbar wurden. Die Wahrheiten, die das Licht der Offenbarung aufdeckte, ließen sich durch die menschliche Vernunft nicht nachprüfen. Was in den heiligen Schriften stand, musste geglaubt werden. Was sich jedoch der menschlichen Vernunft im Licht der Natur enthüllte, konnte durch den Verstand beurteilt, nachgeprüft und abgesichert werden. Genau an diesem Punkt wurde der Gottesglaube zum Problem. Was im Licht der Offenbarung so klar und eindeutig aufleuchtete, nämlich die Existenz eines gnädigen Gottes, der alles erschaffen hat, war im Licht der Natur nicht mehr so klar zu erkennen. Und nicht nur das, ein ganzes Weltbild brach mit dieser neuen Erkenntnis zusammen. Nach den heiligen Schriften war die Erde Mittelpunkt der Welt, und sie wurde umkreist von Sonne, Mond und Sternen. Doch was Nikolaus Kopernikus, erleuchtet durch das Licht der Vernunft, zu sehen bekam und schriftlich festhielt, stellte eine ganze Weltordnung auf den Kopf: „Zumitten aller Himmelskörper thront die Sonne. Wer hätte in diesem prachtvollen Tempel diese Lampe an einen besseren Platz stellen können als dorthin, von wo aus sie alles zugleich beleuchten kann? Wahrlich nicht zu Unrecht haben manche sie das Licht der Welt, andere den Geist, wieder andere deren Herrscher genannt.“

Mit der kopernikanischen Wende trennten sich die Wege der Erkenntnis. Das Weltbild der Religionen, besser gesagt Konfessionen, war fragwürdig geworden. Und je tiefer der Mensch bei seinem Versuch vordrang, die Natur zu enträtseln, desto häufiger machte er die Entdeckung, dass dort, wo er vorher göttliches Wirken vermutete, Naturgesetze erkennbar wurden, die das geregelte Zusammenspiel der Elemente steuerten. Das Licht der Natur steigerte sich zu ungeahnter Helligkeit dort, wo es um die Erklärung der Rätsel dieser Welt ging. Doch was die Gotteserkenntnis betraf, so saß die menschliche Vernunft im Dunkeln. Hier schien der zweite Weg der Erkenntnis, das Licht der Natur zu versagen. Die Welt bewegte sich, doch ein Weltbeweger war nirgends zu erkennen. Der Himmel, in dem Gott mit seinen Engeln wohnen sollte, war leer.

Erstmals wurde in der Geschichte der Menschheit der Versuch, die Welt ohne die Hypothese eines Gottes, der sie hervorgebracht hat und erhält, zu erklären, eine ernstzunehmende Denkmöglichkeit. Und die Argumente, die bis dahin den Gottesglauben stützen sollten, wurden der Lächerlichkeit preisgegeben. Wer also aufgeklärt war, musste Atheist sein. Dieses neue Weltgefühl hatte vor über hundert Jahren Friedrich Nietzsche in seiner fröhlichen Wissenschaft beschrieben:

„Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittag eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: ‚Ich suche Gott! Ich suche Gott!‘ – Da gerade viele von denen zusammen standen, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. ‚Wohin ist Gott?‘ rief er, ‚ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet. Wir sind alle seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Irren wir nicht durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden?“

Nietzsche konnte mit seinem Atheismus noch fröhlich sein, träumte er doch von der Ankunft eines Übermenschen, der die Stelle Gottes einnehmen würde. Doch seine Fröhlichkeit hatte doch eher den Charakter eines Galgenhumors. Späteren Denkern ist das Lachen vergangen. So dichtete Gottfried Benn im Jahre 1953: „Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere, was alles erblühte, verblich, es gibt nur zwei Dinge: die Leere und das gezeichnete Ich“.

Der Mensch, so schien es, hatte alle Rätsel der Natur erklärt. Er hatte ein ungeheures Wissen und geradezu unglaubliche technische Fertigkeiten gewonnen. Doch er hatte mit dem Verlust der metaphysischen Geborgenheit dafür bezahlen müssen. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber prägte für diese neue Art des Weltempfindens den passenden Ausdruck „Gottesfinsternis“.

Und nun stehen wir im 21. Jahrhundert vor der großen Herausforderung, die gewaltige Veränderung der Welt in einem neuen Licht der Erkenntnis willkommen zu heißen.

Im 28. Kapitel des „Tao Te King“ von Lao Tse lesen wir:

„Wisse um die Stärke des Mannes,
aber bewahre die Vorsicht einer Frau.
Sei das Strömen des Universums!
Als Strömen des Universums,
stets wahrhaftig und unerschütterlich,
werde erneut wie ein Kind.
Wisse um das Weiße,
aber bewahre das Schwarze.

Sei der Welt ein Beispiel!
Als Beispiel für die Welt,
stets wahrhaftig und beharrlich,
kehre zum Unendlichen zurück.

Wisse um den Ruhm,
aber bewahre die Bescheidenheit.
Sei das Tal des Universums!
Als Tal des Universums,
stets wahrhaftig und voll innerer Kraft,
kehre in den Zustand eines unbehauenen Klotzes zurück.
Wird der Klotz behauen, lässt er sich nutzen.
Macht der Weise sich ihn zunutze, wird er zum Herrscher.
Darum: Ein guter Schneider schneidet wenig.“

 

 

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Der Religionsphilosoph Roland R. Ropers ist Autor und Herausgeber etlicher Bücher:

Was unsere Welt im Innersten zusammenhält: Hans-Peter Dürr im Gespräch mit bedeutenden Vordenkern, Philosophen und Wissenschaftlern von Roland R. Ropers und Thomas Arzt; 2012 im Scorpio Verlag

Eine Welt – Eine Menschheit – Eine Religion von Bede Griffiths und Roland R. Ropers

Gott, Mensch und Welt. Die Drei-Einheit der Wirklichkeit von Raimon Panikkar und Roland R. Ropers

Die Hochzeit von Ost und West: Hoffnung für die Menschheit von Bede Griffiths und Roland R. Ropers

Geburtsstunde des neuen Menschen. Hugo Makibi Enomiya-Lassalle zum 100. Geburtstag von Roland R. Roper

 

 



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