Quantenphysiker Hans-Peter Dürr ist gestorben (+Video)

Titelbild
Physiker und Friedensnobelpreisträger Prof. Hans-Peter Dürr im Juni 2003Foto: Roland R. Ropers

Hans-Peter Dürr starb am Sonntag, 18. Mai 2014, in München im Alter von 84 Jahren – ein großer Pionier für Frieden und Freiheit. Der weltberühmte Atom- und Quantenphysiker Hans-Peter Dürr wurde 1995 gemeinsam mit seinen Kollegen und Freunden von „Pugwash“ mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

„Die LIEBE ist die Urquelle des Kosmos“ war die tiefste Erkenntnis von Hans Peter Dürr und auch der Titel eines seiner Bücher.

„Mein ganzes Leben ist ein einziges Staunen“, dieser Satz blieb ebenso bezeichnend für ihn, wie: „Es ist erstaunlich, dass die Wissenschaft  auf dem falschen Wege erkennt,  dass sie gar nicht auf dem richtigen Weg ist.“

Als Albert Schweitzer im Jahr 1954 den Friedensnobelpreis im Alter von 79 Jahren in Empfang nahm, studierte der 25 Jahre junge Hans-Peter Dürr aus Stuttgart an der Elite-Universität Berkeley/Kalifornien und promovierte 1956 als Physiker bei dem legendären „Vater der Wasserstoffbombe“ Edward Teller.

Im Jahr 1995 nahm der zum Friedensaktivisten gewordene Hans-Peter Dürr mit seinen Kollegen und Freunden von „Pugwash“ in Oslo den Friedensnobelpreis entgegen.

Hans-Peter Dürr, der 49. Ehrenbürger der Stadt München, gehörte zu den großen Weisen und Mystikern unserer Zeit, weil er als herausragender Wissenschaftler die herkömmlichen Kategorien grenzüberschreitend geforscht, gedacht und gelebt hat und in den Bereich der nicht objektivierbaren Wirklichkeit vorgedrungen ist.

Hans Peter Dürr: „Für mich als Naturwissenschaftler bedeutet Versöhnung, dass wir nicht auf das Spirituelle verzichten können. Das Spirituelle kommt ohne das naturwissenschaftliche Denken aus, aber nicht umgekehrt.  

Das heißt, das Spirituelle ist sozusagen das größere Holon, in dem die Naturwissenschaft eine Art Unterholon ist.  Die Naturwissenschaft hat das Ohr der Welt, weil sie angesehen wird als etwas, was Macht gibt – und deshalb werden Naturwissenschaftler anerkannt. Aber die Naturwissenschaft, wenn sie eine Verbindung zur Religion findet, könnte auch die Tendenz zur Weisheit verstärken und nicht nur zur Macht. Wissen ist für mich nicht nur ein Mittel zur Macht, sondern auch zur Einsicht und zur Weisheit.

Wir müssen unbedingt die spirituelle Komponente wieder in diese Welt bringen, sonst gehen wir einem unendlichen Leid entgegen. Ich fühle mich verantwortlich. Daher auch die Frage, inwieweit Religion ebenfalls eine neue Verantwortung in der Welt übernehmen muss, wenn es darum geht, etwas tun zu wollen“.

In den Kriegswirren des 2. Weltkriegs hat der weltberühmte Atom- und Quantenphysiker Hans-Peter Dürr, am 7. Oktober 1929 in Stuttgart geboren, sein Abitur gemacht. Sein Vater war Gymnasiallehrer für Mathematik, der zu Beginn des Jahres 1945 in Polen Opfer des 2. Weltkriegs wurde. Die Mutter Eva, Tochter des berühmten Psychiaters Professor Dr. Emil Kraepelin (1856 – 1926) war urplötzlich allein mit vier Töchtern und Sohn Hans-Peter; ein weiterer Sohn starb bereits 1942. Hans-Peter Dürr musste 15-jährig im letzten Kriegsjahr in den Dienst des „Führers“.

Bei der totalen Zerstörung von Pforzheim verlor er neben vielen anderen seine beste Freundin, deren verbrannten Körper er eigenhändig begrub. Nach dem Krieg und Abitur machte er eine Feinmechanikerlehre und studierte Physik, obwohl er sich an einen sehr langweiligen Physikunterricht in der Schule erinnerte.

[–Physiker: Keine Geheimnisse, aber unterschiedliche Ansichten (+Video)–]

Aufgrund seiner enormen Begabung erhielt Hans-Peter Dürr ein Stipendium für die USA und kam an die Elite-Universität in Berkeley, San Francisco. Er wurde Schüler von Edward Teller (1908 – 2003), dem Erfinder der Wasserstoffbombe, und promovierte bei ihm über das Thema „Resonanzphänomene elektromagnetischer Felder“ (heute die Grundlage der Kernspintomographie in der Nuklear-Medizin).  Dürr lernte Robert Oppenheimer (1904 – 1976) und andere namhafte Physiker jener Zeit persönlich kennen. Bis zuletzt trug er das Erbe seines verehrten Lehrers und Weggefährten Werner Heisenberg (1901 – 1976, Nobelpreisträger für Physik im Jahre 1932) fort, mit dem er 20 Jahre lang in München eng zusammengearbeitet hatte.

1962 im Alter von fast 33 Jahren Habilitation an der Universität München. Hans-Peter Dürr war geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik und Astrophysik (1978-1980) und des Werner-Heisenberg-Instituts für Physik in München (1971, 1978-1980, 1987-1992), stellvertretender geschäftsführender Direktor des  Max-Planck-Instituts für Physik „Werner-Heisenberg-Institut“ (1972-1977, 1981-1986, 1993-1995).

Professor Dürr wurde eine führende Kapazität im Bereich der Quantenphysik. Er war farbenblind und sah von Kindheit an nur auf dem rechten Auge. „Mein Weg zum Dritten Auge führt zunächst über das zweite Auge, das ich gar nicht nutzen kann“, sagte er oft lächelnd, in Anspielung auf angeblich Sehende, die das Wesentliche zu erkennen glauben. Er zählte zur Familie der Physiker, in der es keine Geheimnisse, aber unterschiedliche Ansichten gibt.

Hans-Peter Dürr: Wirklichkeit

Zahllose Vorlesungen hat Hans-Peter Dürr an führenden Universitäten der Welt gehalten (USA, China, Japan, Indien, Süd-Amerika). Dürr war Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften und war maßgeblich an der  Rehabilitierung des Kernphysikers und Nobelpreisträgers Andrej Sacharow (1921 – 1989) beteiligt.

Ein Jahr lang war Hans-Peter Dürr Chef von Green Peace in Deutschland und hat dort Grundlegendes auf den Weg gebracht. Mit Michail Gorbatschow war er eng befreundet, der bis zuletzt seinen Rat suchte. Durch den engen Kontakt zu Gorbatschow war Hans-Peter Dürr über den „Fall der Mauer“ lange im Voraus informiert.

[–Träger des Friedensnobelpreis 1995–]

Dürr war Gründer des „Global Challenges Network“ (1987 in Starnberg aus der Taufe gehoben) und war in diversen internationalen Gremien maßgebend tätig. Zu der Zahl seiner besonderen Auszeichnungen gehören der Alternative Nobelpreis 1987, der Friedensnobelpreis 1995 zusammen mit den  Mitgliedern der Pugwash Conferences on Science and World Affairs, das Große Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland zum 75. Geburtstag, die Ehrenbürgerschaft der Stadt München 2007. Fast 60 Vorträge hielt  er noch im Jahr 2013, reiste ständig rund um den Globus und warnte vor den Gefahren der Atomkernenergie.

Am 12. September 2001 sollte Hans-Peter Dürr einen Vortrag im World Trade Center New York halten zum Thema „Moderne Waffensysteme und ihre Gefahren“. Am 11. September 2001 flog er um 11 Uhr  (in New York war es 5 Uhr morgens) mit einer Lufthansa-Maschine von München nach New York. Bei Erreichen der amerikanischen Ostküste wurden die Passagiere informiert, dass man aufgrund eines noch nicht bekannten Unglücks nach München zurückkehren müsse. Da der Kerosinvorrat nicht ausreichte, wollte man nach Shannon/Irland, wo aber wegen Überfüllung des Flugplatzes keine Landungen mehr möglich waren.

Nach vielen Versuchen bot sich nur noch Halifax/Nova Scotia an; dort konnten 45 Flugzeuge aufgenommen werden, der LH-Flug aus München mit Hans-Peter Dürr an Bord war auf Position 43. Wegen der begrenzten Verfügbarkeit von nur einer Treppe zum Aussteigen der Passagiere, mussten Dürr und seine Mitreisenden 12 Stunden im Flugzeug ausharren. In einer riesigen Zelt-Notunterkunft blieb Dürr zwei weitere Tage in Halifax und fuhr dann per Bus 28 Stunden nach New York. Er wollte seine Freunde sehen.

Physiker und Friedensnobelpreisträger Prof. Hans-Peter Dürr in Salem 2008Physiker und Friedensnobelpreisträger Prof. Hans-Peter Dürr in Salem 2008Foto: Roland R. Ropers

Hans-Peter Dürr war aktives Mitglied in internationalen Organisationen, u.a.:

  • Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, Halle (1975)
  • Council Pugwash Conferences on Science and World Affairs, Genf-London-Rom (1987)
  • Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin (1987)
  • Internationale Akademie für Zukunftsfragen, Wien, Vorstand und Wissenschaftliches Präsidium (1990)
  • International Advisory Council Economic Development of Hainan in Harmony with the Natural Environment, PR China (1990)
  • Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, Berlin, Vorstand (1980) und Vorstandsvorsitzender (1991)
  • Greenpeace Deutschland, Hamburg, Vorstand (1985)
  • Global Challenges Network, München, Gründer und Vorstand (1987)
  • International Foundation for the Survival and Development of Humanity, Moskau, Mitbegründer und Vorstand (1988)
  • Die Umweltakademie – Umwelt und Management, Oberpfaffenhofen, Vorsitzender Kuratorium (1990) Vorstand (1998)
  • Club of Rome, Paris (1991)
  • Academia Scientiarum et Artium Europaea, Salzburg, Prodekan (1991)
  • Europäische Stiftung für Natur- und Kulturvermögen, Prag, Mitbegründer und Präsident (1991)
  • Bulletin of Atomic Scientists, Chicago, Vorstand (1993)
  • Global Commission to Fund the U .N., Washington D.C.(1995)
  • U.N. Conference of Human Settlements, Habitat II, International Advisory Council, New York (1996)
  • Ehrenmitglied David gegen Goliath (1996)
  • RIO-Impuls Luzern Beirat (1996)
  • Ludwig-Bölkow-Stiftung München Kuratorium (1998)
  • Ratsmitglied des World Future Council ab 2007

[–Abschied von einem Freund–]

Über 50 Jahre war der musikalisch begabte Physiker Hans-Peter Dürr mit der US-amerikanischen Folkloretänzerin Sue Durham glücklich verheiratet, er wurde Vater von zwei  Söhnen, zwei Töchtern und  geliebter Großvater von 12 Enkelkindern.

Hans-Peter Dürr: „Es geht um Rüstung und Weltherrschaft. Es ist erstaunlich, dass die Wissenschaft  auf dem falschen Wege erkennt, dass sie gar nicht auf dem richtigen Weg ist.  Unsere Vernunft gründet sich auch auf unsere Wertvorstellungen, die wir aus einer tieferen Schicht unseres Seins, aus den Traditionen der menschlichen Gesellschaft, aus den Religionen beziehen. Naturwissenschaft sagt uns wohl, was ist, aber sie gibt keine Auskunft darüber, was sein soll, wie wir handeln sollen. Der Mensch bedarf, um handeln zu können, einer über seine wissenschaftlichen Erkenntnisse hinausreichenden Einsicht – er bedarf der Führung durch das Transzendente“.

Dem wunderbaren Freund Hans-Peter Dürr, den ich zu seinem 80. Geburtstag als „Bodhisattva der Naturwissenschaften“ beglückwünscht hatte, und mit dem ich jahrelange sehr intensive Dialoge über den Unterschied von Realität und Wirklichkeit geführt habe, habe ich in unseren Gesprächen über das „Ewige Leben“ jenseits der Dualität von Geburt und Tod meine Gedanken gewidmet, die ihn nun auf seiner geistig nicht endenden Reise begleiten sollen: „Hier auf Erden sind wir Raupen, bis wir uns verzaubern und einspinnen lassen von der Musik aus den Sternensphären – von den seidenen Harfensaiten der Sterne. Dann warten wir darauf, dass im Trancezustand oder im Sterben plötzlich unsere Kokons abfallen und wir als geflügelte Geisteswesen aufwachen, die in ihre wahre Lichtheimat zurückfliegen können.“



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