PRÄZISION – die Beschneidung der Spitze

Epoch Times19. August 2012

Die Etymosophie-Kolumne von Roland R. Ropers erscheint wöchentlich exklusiv in der EPOCH TIMES Deutschland.

Der unaufhaltbare Fortschrittsglaube hat zu einem Wettlauf um Präzision und Perfektion geführt, der jedes vernünftige Maß überschritten hat.

Die Sucht nach Genauigkeit hat uns von dem Erlebnis der sich ständig verändernden Wirklichkeit abgetrennt. Viele streben die Spitze an und möchten anderen voraus sein (lat.: prae), und mit dem vorhersehbaren Zusammenbruch vieler Systeme wird die Spitze beschnitten (Präzision), lat.: praecidere.

Die Präzision ist ein Maß für die Übereinstimmung zwischen unabhängigen Messergebnissen unter festen Bedingungen. Liegen also mehrere Messwerte dicht beieinander, so hat die Messmethode eine hohe Präzision. Das bedeutet aber noch nicht, dass die gemessenen Werte auch richtig sind. Sie könnten präzise falsch sein.

Die Präzision kann nicht eine Grundlage für ein zufriedenes Leben sein, wenn ständig die Zahl an kaum noch zu verarbeitenden Daten zunimmt. Um nicht in die Irre zu gelangen, muss ich eine Dezision, eine Entscheidung, treffen und mich von der Perfektionsüberlastung trennen, lat.: decidere = abschneiden.

Wer eine dezidierte Meinung vertritt, versucht sich auf Wesentliches zu konzentrieren und strebt nicht ein Höchstmaß an Präzision an. Wer die Schönheit eines Gemäldes, einer Mona Lisa, betrachten möchte, darf nicht einen kleinen Ausschnitt des Bildes herausgreifen und vergrößern, um verborgene Strukturen zu erkennen, die den Gesamteindruck zerstört.

Der Fluch des medizinischen Fortschritts bewegt sich in eine geradezu unheilvolle Präzision, welche sehr fragwürdig zu sein scheint. Wenn wir Teile der menschlichen Organe mit modernster Technik in immer höheren Auflösungen darstellen, werden wir strukturelle Unordnungen erkennen, die dann möglicherweise zu verhängnisvollen Fehldiagnosen führen.

Nicht von ungefähr ist die Fülle von verfügbaren Erklärungen von Krankheiten in eine für den Arzt nicht mehr übersehbare Dimension geraten, wo der Patient Opfer von Computerdiagnosen wird, die eine geradezu wertlose Präzision für die Gesundheit darstellen.

In allen Bereichen des Lebens werden jetzt nicht mehr beherrschbare, virtuelle Systeme kollabieren, damit der Mensch wieder zur Entfaltung seiner natürlichen Kreativität und Lebensfreude zurückfindet.

Der meiste Schaden, den der superpräzise und ultraschnelle Computer potenziell zur Folge haben könnte, hängt weniger davon ab, was der Computer tatsächlich kann oder nicht kann, als vielmehr von den Eigenschaften, die das Publikum dem Computer zuschreibt.

Der Nichtfachmann hat überhaupt keine andere Wahl, als dem Computer die Eigenschaften zuzuordnen, die durch die Presse verstärkte Propaganda der Computergemeinschaft zu ihm dringen. Daher hat der Informatiker eine enorme ethische Verantwortung, mit kreativen Programmen für eine Reduzierung von Datenmüllprogramm zu sorgen anstatt sich als Erfüllungsgehilfen von mächtigen Institutionen missbrauchen zu lassen.

Lao Tse schreibt in dem 66. Kapitel von „Tao Te King“:

„Warum sind der Ozean und die Ströme
die Könige von vielen hundert Tälern?
Weil sie tiefer liegen als jene,
darum sind sie die Könige.
Wenn der Weise die Menschen führt,
ist er mit Demut für sie da.
Er leitet sie und geht ihnen voran,
indem er hinter ihnen hergeht.
So wie der Weise führt,
fühlen sich die Menschen nicht unterdrückt,
und wenn ein solcher Führer vor den Menschen steht,
werden sie nichts zu leiden haben.
Darum wird das ganze Reich ihn freudig unterstützen
und an seiner Führung nicht müde werden.
Weil er mit niemand wetteifert,
kann niemand sein Mitbewerber sein.“

{R:2}

Der Religionsphilosoph Roland R. Ropers ist Autor und Herausgeber etlicher Bücher:

Was unsere Welt im Innersten zusammenhält: Hans-Peter Dürr im Gespräch mit bedeutenden Vordenkern, Philosophen und Wissenschaftlern von Roland R. Ropers und Thomas Arzt; 2012 im Scorpio Verlag

Eine Welt – Eine Menschheit – Eine Religion von Bede Griffiths und Roland R. Ropers

Gott, Mensch und Welt. Die Drei-Einheit der Wirklichkeit von Raimon Panikkar und Roland R. Ropers

Die Hochzeit von Ost und West: Hoffnung für die Menschheit von Bede Griffiths und Roland R. Ropers

Geburtsstunde des neuen Menschen. Hugo Makibi Enomiya-Lassalle zum 100. Geburtstag von Roland R. Ropers



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