COVID-19 Statistik: Je nach Berechnung verdoppeln sich die Fallzahlen alle 4 bis 18 Tage

Keine Angst! Weder vor Corona, noch vor Zahlen … In dieser Serie betrachten wir die Corona-Krise mit den Augen eines Mathematikers. Denn: Wenn in einem Einkaufszentrum 100 Personen sind, beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass man gleichzeitig mit mindestens einem Infizierten einkauft, unter 20 Prozent.
Mathematik und Statistik in Zeiten der Corona/COVID-19-Krise.
Mathematik und Statistik in Zeiten der Corona-/COVID-19-Krise.Foto: iStock
Von 8. April 2020

Anfangs hieß es: „Die Zahl der COVID-19-Infizierten verdoppelt sich alle 2 bis 3 Tage“. Inzwischen liegt diese Verdopplungszeit je nach Berechnung zwischen 3,9 und 17,6 Tagen.

Wenn sich die Zahl der Infizierten alle drei Tage verdoppeln würde, und wir vom 16. März aus weiter rechnen, ergibt sich folgende Tabelle:

Datum 16.3. 19.3. 22.3. 25.3. 28.3. 31.3. 3.4. 6.4.
Fallzahlen 6.012 12.024 24.048 48.096 96.192 192.384 384.768 769.536

Am 27. April hätten wir bei einer Weiterführung in dieser Art und Weise in Deutschland schon mehr Infizierte als Einwohner. Ganz so einfach ist die Prognose also nicht.

„Alle X Tage verdoppelt sich die Zahl der COVID-19-Infizierten …“

Wie bestimmt man eigentlich diese Verdopplungszeit T2, also die Zeit, in der sich die Anzahl der Infizierten verdoppelt?

Erste Möglichkeit – die Zahlen anschauen: Vor wie vielen Tagen war die Anzahl der Infizierten halb so groß wie jetzt? Am 7.4. waren es 99.225, wann waren es dann 49.613? Am 27.3. waren es etwas weniger, am 28.3. etwas mehr. Also beträgt die Verdopplungszeit etwa zehn bis elf Tage.

Zweite Möglichkeit – sich an die Zinseszinsrechnung erinnern. Gerade in der Anfangszeit einer Infektionswelle steigen die Infektionszahlen exponentiell, immer um den gleichen Prozentsatz. Bei einem täglichen Wachstum um 20 Prozent beträgt die Zahl also 120 Prozent des vorigen Wertes beziehungsweise das 1,2-Fache. Nach x Tagen hat man dann N = N0 · 1,2x, wenn N0 die Zahl der Infizierten an Tag „0“ ist. Da die Variable x im Exponenten („Hochzahl“) steht, heißt diese Art von Wachstum „exponentiell“.

Diese Formel ist mathematisch identisch mit der Zinseszinsformel, mit der man für Laufzeiten von mehreren Jahren die Entwicklung seines Sparguthabens berechnen kann – falls man überhaupt noch Zinsen bekommt. Wenn man nun den täglichen Wachstumsfaktor (beispielsweise 1,2) kennt, lässt sich die Verdopplungszeit wie folgt berechnen:

Ein Taschenrechner zeigt dann als Ergebnis T2 = 3,80178. Die tägliche Wachstumsrate betrug um den 20. März tatsächlich rund 20 Prozent. Zu dieser Zeit verdoppelten sich die Fallzahlen also alle 3,8 oder knapp 4 Tage.

Im zweiten Umformungsschritt wurde hier ein Logarithmus verwendet und gleich eins der entsprechenden Rechengesetze angewandt. Da das in einigen Realschul-Lehrplänen nicht mehr enthalten ist, hier eine kurze Erklärung: Der Logarithmus ist eine Umkehrung des Potenzierens. Die Gleichung 1000 = 10x kann man dann umformen zu x = log10(1000). Der Logarithmus ist „die Frage nach dem Exponenten“. Glücklicherweise kann man beim Logarithmus von Potenzen wie log(1,2x) den Exponenten als Faktor davor setzen: log(1,2x) = x · log(1,2)

Exponentielles Wachstum nur am Anfang

Das Problem bei dieser Berechnung ist, dass sich die Wachstumsrate ändert. Einerseits gibt es wöchentliche Schwankungen, da am Wochenende weniger Fälle gemeldet werden. Das wird dann am Montag und Dienstag wieder nachgeholt, sodass die tägliche Wachstumsrate dann wieder größer wird. Um dies auszugleichen, kann man die mittlere Wachstumsrate der letzten Woche nehmen.

Am 7. 4. beispielsweise meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) deutschlandweit 99.225 Infizierte, eine Woche vorher, am 31.3. waren es 61.913. Die mittlere Wachstumsrate ist die siebente (wegen 7 Tagen) Wurzel aus dem Quotienten:

Die Verdopplungszeit ist dann T2 = log(2) : log(1,0697) = 10,287. Das stimmt mit dem Ergebnis vom „Zahlen anschauen“ überein. Betrachtet man jedoch nur den letzten Tag, also vom 6. 4. zum 7. 4., ergibt sich q = 1,04019 und T2 = 17,590

Für den ganzen Zeitraum, für den Zahlen vom RKI vorliegen (3.3. bis 7.4.), erhält man die Verdopplungszeit T2 = 3,896.

Falsche Bezugsgröße der Sterblichkeitsrate

Auch die Zahl der „Corona-Toten“ stellt das RKI tagesaktuell bereit. Medien vergleichen diese gern mit den jährlichen Grippetoten. Eine andere Möglichkeit ist der Vergleich mit den Todesfällen nach einer Lungenentzündung. Von jährlich etwa 900.000 Sterbefällen erliegen nach Daten des Statistischen Bundesamtes etwa 20.000 Menschen einer Lungenentzündung.

Aktuell meldet das RKI 1.607 Todesfälle von Corona-Infizierten und schätzungsweise 33.300 Genesene. Zu den „Corona-Toten“ gehören jedoch auch die, die mit einer Infektion aufgrund anderer Ursachen verstorben sind.

Der Anteil der Verstorbenen an den insgesamt mit COVID-19 Infizierten betrug am 7. April etwa 1,6 Prozent.

Da inzwischen einige Menschen wieder genesen sind – oder nicht ernstlich erkrankt waren –, beträgt die Zahl der Infizierten nur 99.225 – 33.300 ≈ 65.900. Wenn man auch die Verstorbenen berücksichtigt, bleiben ca. 64.300. Bezogen auf die aktuell Infizierten liegt die Sterblichkeitsrate also bei 1.607 : 64.300 · 100 %. Das ergibt bereits 2,5 Prozent. Diese Zahl ist jedoch immer noch zu niedrig.

Da die Infizierten nicht sofort sterben, müsste man nicht die aktuelle Zahl der Infizierten als Bezugsgröße nehmen, sondern die von vor etwa 14 Tagen.

Drastisch ausgedrückt: Nach 14 Tagen ist man geheilt oder tot. Alternativ verwendet man die Zahl der Genesenen. Dann liegt die Sterblichkeitsrate bei 1.607 : 33.300 · 100 % = 4,8 %. Anders ausgedrückt: 4,8 Personen von 100 Personen sterben – beziehungsweise von 21 Infizierten stirbt einer.

COVID-19-Tote sterben nicht jünger

Ein zweites Merkmal, welches kaum Beachtung findet, ist der Altersmedian der Gestorbenen. Dieser liegt nach RKI-Angaben bei 82 Jahren. Dieser Median sagt aus, dass die Hälfte aller Gestorbenen 82 Jahre oder älter waren. Zum Vergleich: 2017 lag der Altersmedian aller Gestorbenen gemäß Statistischem Bundesamt bei 80,73 Jahren. Das bedeutet, dass „Corona-Tote“ gegenüber anderen Todesfällen nicht jünger gestorben sind.

Die Inzidenz (Infizierte bezogen auf 100.000 Einwohner) liegt in Bayern bei 200. Das ist der höchste Wert im Vergleich der Bundesländer. Von 500 zufällig ausgewählten Personen des Freistaats ist demzufolge eine mit COVID-19 infiziert.

Wenn in einem Einkaufszentrum 100 Personen sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass keiner Infiziert ist: p = 0,998100 = 0,819, das entspricht knapp 82 Prozent. Im Umkehrschluss liegt die Wahrscheinlichkeit, dass man gleichzeitig mit mindestens einem Infizierten einkauft, also unter 20 Prozent.



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