198 Mutationen des neuartigen Coronavirus: Anpassung an menschliche Wirte und Hinweis auf mögliche Therapieansätze

Aktuell gibt es bis zu 198 Mutationen im Genom des Virus: Zu diesem Ergebnis kamen Forscher in London in einer kürzlich veröffentlichten Studie im Fachjournal "Infection, Genetics and Evolution". Die meisten der Mutationen seien laut den Wissenschaftlern Anpassungen des Virus an menschliche Wirte und könnten Ansätze für Therapien aufzeigen.
Von 11. Mai 2020

In einer kürzlich veröffentlichten Studie untersuchte das Forschungsteam – unter der Leitung des University College London gemeinsam mit der Oxford Universität, dem Imperial College London und Cirad and Université de la Réunion – Virusproben von 7.500 mit COVID-19 infizierten Personen. Diese Proben stammen von Patienten aus nahezu aller Welt.

Dabei stellten die Forscher 198 Mutationen im Genom des Virus fest. Dies zeige laut den Studienautoren wie sich das Virus dem menschlichen Wirt anpasst. Die große Vielfalt des Virusgenoms zeigt eine schnelle und weitläufige Verbreitung von Wuhan ausgehend Ende des Jahres 2019.

Dadurch gäbe es laut den Forschern in vielen Ländern keinen einzelnen „Patient Null“, sondern mehrere gleichzeitige Erstinfektionen. Beispielsweise zeigte die Studie, dass das Virus in Großbritannien an mehreren Stellen zur gleichen Zeit auftrat, also nicht bei einem einzelnen Patienten, sondern mehreren, die wiederum Kontaktpersonen ansteckten.

Grundsätzlich sind Mutationen bei Viren jedoch nichts Ungewöhnliches. Professor Francois Balloux, einer der Erstautoren der Studie, sagt dazu:  „Alle Viren mutieren. Mutationen an sich sind nicht unbedingt eine schlechte Sache und bisher weist nichts darauf hin, dass SARS-CoV-2 schneller oder langsamer mutiert als erwartet. Zurzeit können wir noch nicht eindeutig sagen, ob SARS-CoV-2 dadurch tödlicher oder ansteckender wird.“

Besonders häufige Mutationen bei Spike-Proteinen

Die Forscher beobachteten, dass die Mutationen nicht gleichmäßig über das gesamte Virusgenom verteilt sind. Manche Bereiche mutieren dabei besonders häufig. Vor allem die Spike-Proteine des Virus, die für das Eindringen in menschliche Zellen verantwortlich sind, weisen häufig Mutationen auf.

Spike-Proteine spielen beim Auslösen der Virusinfektion eine wesentliche Rolle. Allerdings können sie auch ein Kennzeichen für das körpereigene Immunsystem sein. Antikörper können an Spike-Proteinen, die sich an der Außenseite des Virus befinden, binden und es so inaktivieren. Damit wäre das Spike-Protein, wenn es sich nicht verändert, für die Immunabwehr gekennzeichnet.

US-Forscher, die sich ebenfalls mit den Mutationen des Virus beschäftigen, gehen davon aus, dass sich das Virus durch die genetischen Veränderungen am Spike-Protein vor dem Immunsystem der Menschen schützt. In einer am 30.4. veröffentlichten Studie, die sich spezifisch mit der Veränderung des Spike-Proteins beschäftigt, wird davon ausgegangen, dass durch diese Mutationen das Virus ansteckender wird.

Möglichkeiten für Therapieansätze

Da die Mutationen allerdings nicht gleichmäßig über das Virusgenom verteilt vorkommen, gibt es auch Stellen, die weitgehend stabil bleiben. Diese sind laut dem Londoner Forschungsteam ein wichtiges Ziel für einen Wirk- oder Impfstoff.

Es ist eine der größten Herausforderungen, dass ein Impfstoff oder Wirkstoff nicht mehr effektiv wäre, wenn das Virus mutiert. Wenn wir unsere Bemühungen auf die Bereiche des Virus konzentrieren, die keine große Wahrscheinlichkeit für eine Mutation aufweisen, haben wir eine bessere Chance dauerhaft wirksame Medikamente zu entwickeln“, sagt Professor Balloux.

Daher ist eine genaue Beobachtung der Mutationsvorgänge von großer Bedeutung. Auf der öffentlichen Plattform GISAID wurden bereits Daten aus aller Welt über das Virusgenom hochgeladen.

Eine der Erstautoren der Studie, Dr. Lucy van Dorp, sagt dazu: „Wir alle profitieren von den großartigen Bemühungen von Hunderten von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt, die Sequenzen des Virusgenoms untersucht haben und sie online zur Verfügung gestellt haben“.



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