Bulgarien: Ältester Homo sapiens Europas lebte wohl vor 45.000 Jahren

Ein internationales Forschungsteam berichtete über neue Fossilien des Homo sapiens aus der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien. Diese wurden auf ein Alter von etwa 45.000 Jahren datiert. Neben ihnen entdeckten die Forscher auch Steinwerkzeuge, Überreste gejagter Tiere, Knochenwerkzeuge und persönliche Schmuckgegenstände.
Ausgrabung von Hinterlassenschaften des Homo sapiens in der Bacho-Kiro-Höhle
Ausgrabungsarbeiten in der Bacho-Kiro-Höhle. Aus dieser Schicht wurden vier Homo sapiens-Knochen sowie zahlreiche Steinwerkzeuge, Tierknochen, Knochenwerkzeuge und Anhänger geborgen.Foto: Tsenka Tsanova, Lizenz: CC-BY-SA 2.0
Von 12. Mai 2020

Neue Entdeckungen dokumentieren den ältesten bekannten Homo sapiens Europas. Die Funde aus dem Jungpaläolithikum verschieben den Übergang der Kulturen in Europa weiter in die Vergangenheit. Die am Fundort ausgegrabenen Steinwerkzeuge verbinden die Bacho-Kiro-Höhle mit Funden in ganz Eurasien, bis in die Mongolei im Osten.

Sowohl Jean-Jacques Hublin als auch Helen Fewlass berichten in separaten Beiträgen im Online-Fachblatt „Nature“ über die Entdeckung und ihre Forschungsergebnisse.

Pioniere in Europa

„Die Bacho-Kiro-Höhle liefert Belege für die erste Ausbreitung von H. sapiens in den mittleren Breitengraden Eurasiens. […] Diese frühe Einwanderungswelle ging der Welle voraus, die 8.000 Jahre später in Westeuropa zum endgültigen Aussterben der Neandertaler führte“, sagte Jean-Jacques Hublin, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI) in Leipzig.

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und Nikolay Sirakov und Svoboda Sirakova vom Nationalen Institut für Archäologie mit Museum in Sofia (Bulgarien) begann 2015 mit erneuten Ausgrabungen in der Bacho-Kiro-Höhle.

Die spektakulärsten Funde stammen aus einer reichen, dunklen Schicht nahe der Basis der Ablagerungen. Hier entdeckte das Team Tausende Tierknochen, Stein- und Knochenwerkzeuge, Perlen und Anhänger sowie die Überreste von fünf menschlichen Fossilien.

Spezielle Technik lieferte genauere Ergebnisse

Mit Ausnahme eines menschlichen Zahns waren die menschlichen Fossilien zu fragmentiert. Aus diesem Grund war es nicht möglich, sie anhand ihres Aussehens zu identifizieren. Stattdessen identifizierten die Wissenschaftler sie mittels einer Analyse ihrer Proteinsequenzen.

„Die meisten Knochen […] sind so stark fragmentiert, dass man mit dem bloßen Auge nicht erkennen kann, zu welcher Tierart sie gehören. Proteine unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der Abfolge ihrer Aminosäuren geringfügig von Tierart zu Tierart. [Damit] konnten wir schnell diejenigen Knochenproben identifizieren, die sonst nicht als menschliche Knochen erkennbar sind“, sagte Frido Welker, Forscher an der Universität Kopenhagen.

Um das Alter dieser Funde und die Ablagerungen in der Bacho-Kiro-Höhle zu ermitteln, arbeitete das Team eng mit Lukas Wacker von der ETH Zürich zusammen. Seine Aufgabe war es, das Alter der Funde genauer als bislang zu bestimmen und die menschlichen Knochen direkt zu datieren.

„Die meisten Tierknochen, die wir aus dieser markanten, dunklen Schicht datieren konnten, zeigen Anzeichen menschlicher Einwirkungen auf den Knochenoberflächen, wie zum Beispiel Schnittspuren. Zusammen mit der direkten Datierung menschlicher Knochen liefert sie ein wirklich klares chronologisches Bild, wann der Homo sapiens diese Höhle zum ersten Mal bewohnte: Im Zeitraum von vor 45.820 bis 43.650 Jahren und möglicherweise sogar bereits vor 46.940 Jahren“, sagte Helen Fewlass vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.

„Die Radiokarbondaten aus der Bacho-Kiro-Höhle sind nicht nur der größte Datensatz aus einer einzelnen paläolithischen Fundstätte, der je von einem Forschungsteam erstellt wurde, sondern auch der präziseste im Hinblick auf Fehlerspannen“, sagten Sahra Talamo von der Universität Bologna und Bernd Kromer vom Leipziger Max-Planck-Institut.

Homo sapiens beeinflusst Neandertaler

Obwohl einige Forscher vermuten, dass der Homo sapiens zu diesem Zeitpunkt bereits gelegentlich nach Europa gekommen sein könnte, werden Funde dieses Alters typischerweise den Neandertalern zugeschrieben. Um zu wissen, welche Gruppe von Menschen in der Bacho-Kiro-Höhle anwesend war, sequenzierten Forscher der Abteilung für Evolutionäre Genetik die DNA aus den fossilen Knochenfragmenten.

„Angesichts der außergewöhnlich guten DNA-Erhaltung in den Zahn- und Knochenfragmenten […] konnten wir aus sechs von sieben Proben vollständige mitochondriale Genome rekonstruieren und […] modernen Menschen zuordnen“, sagte Mateja Hajdinjak, Forscherin am Francis Crick Institute in London. Die Ergebnisse zeigen, dass der Homo sapiens vor etwa 45.000 Jahren – und wahrscheinlich sogar noch früher – nach Europa kam.

Schmuck und hochwertiger Rohstoff

Die Damaligen brachten zudem aus bis zu 180 Kilometer vom Fundort entfernten Quellen hochwertigen Feuerstein in die Bacho-Kiro-Höhle. Aus diesen stellten sie Werkzeuge wie etwa spitze Klingen her. Anschließend könnten die Menschen diese zur Jagd oder zum Zerlegen der Beute verwendet haben, wie die entdeckten Überreste andeuten.

„Die Tierreste stellen eine Mischung aus Arten dar, die an kalte und warme Klimabedingungen angepasst waren, wobei Wisente und Rotwild am häufigsten vorkommen“, sagt Rosen Spasov, Paläontologe an der New Bulgarian University. Diese wurden hauptsächlich gegessen, aber auch als Rohstoffquelle genutzt.

„Besonders bemerkenswert ist die umfangreiche Sammlung von Knochenwerkzeugen und persönlichen Schmuckgegenständen“, ergänzt Geoff Smith, Archäozoologe am MPI. Die Menschen verarbeiteten Höhlenbärenzähne zu Anhängern, von denen einige – später von Neandertalern – in Westeuropa hergestellten Ornamenten auffallend ähnlich sind.

Homo sapiens füllte Lücke, die Neandertaler hinterließ

Zusammengenommen dokumentieren die Sedimente der Bacho-Kiro-Höhle die Übergangsphase, in der der Homo sapiens des Jungpaläolithikums den Neandertaler des Mittelpaläolithikums ablöste. Diese ersten Homo sapiens-Hinterlassenschaften sind das, was Archäologen als das „Initial Upper Paleolithic (IUP)“ bezeichnen.

„Bis jetzt wurde das Aurignacien [Anm. d. Red.: frühester Abschnitt des Jungpaläolithikums, ca. 38.000 bis 28.000 v. Chr.] als Beginn des Jungpaläolithikums in Europa angesehen. Aber das IUP der Bacho-Kiro-Höhle fügt sich anderen Stätten in Westeurasien hinzu, an denen es eine noch ältere Präsenz des Homo sapiens gibt“, bemerkt Nikolay Sirakov vom Nationalen Institut für Archäologie mit Museum in Sofia.

Die ersten europäischen Homo sapiens hatten ihren Ursprung wahrscheinlich in Südwestasien und betraten bald darauf Stätten wie die der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien bis zu Regionen in der Mongolei. „Das IUP in der Bacho-Kiro-Höhle ist das früheste bekannte Jungpaläolithikum in Europa. Es steht für eine neue Art der Herstellung von Steinwerkzeugen und neue Verhaltensweisen, einschließlich der Herstellung von persönlichen Schmuckgegenständen, die sich von dem unterscheiden, was wir von Neandertalern kennen“, ergänzte Tsenka Tsanova, Forscherin des MPI.



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