Feinderkennung im Trüben: Elefantenrüsselfische haben den Durchblick

Titelbild
Elefantenrüsselfische werden etwa fünfzehn bis zwanzig Zentimeter groß.Foto: Vanessa Kassing
Epoch Times29. Juni 2012

Lange Zeit galten sie als ein Rätsel der Evolution: die Augen der Elefantenrüsselfische, eine in den afrikanischen Tropen lebende Gattung eines Süßwasserfisches. Seine Netzhaut weicht von allen Strukturen ab, die bei Wirbeltieren entweder eine maximal hohe Lichtempfindlichkeit oder eine bestmögliche räumliche Auflösung gewährleisten. Eine Fehlkonstruktion der Natur also? Eine Forschungsgruppe, der auch Prof. Dr. Stefan Schuster an der Universität Bayreuth angehört, hat jetzt eine überraschende Erklärung gefunden und berichtet darüber im Forschungsmagazin „Science“. Der Elefantenrüsselfisch ist dank seiner Netzhaut auch in extrem trüben Gewässern in der Lage, herannahende Feinde rechtzeitig zu orten.

Netzhautstruktur und Fotorezeptoren: Ein ungewöhnliches Arrangement

Für die Netzhaut der Elefantenrüsselfische ist es charakteristisch, dass sie rund 10.000 Bündel von Fotorezeptoren aufweist. Ein Teil jedes dieser Bündel befindet sich in einer becherartigen Vertiefung. Deren innere Seitenwände sind mit Guaninkristallen ausgestattet und wirken deshalb wie Parabolspiegel: Sie reflektieren die von außen einfallenden Lichtstrahlen auf den Becherboden, wo ein kleiner Teil der Fotorezeptoren optimal beleuchtet wird. Bei diesen Rezeptoren handelt es sich um Zapfen, die wie bei allen Wirbeltieren nicht sehr lichtempfindlich sind. Der überwiegende Teil der Fotorezeptoren – die Stäbchen – befinden sich kurioserweise hinter den Bechern der Netzhaut; also in einem Bereich, der besonders abgedunkelt ist. Stäbchen sind hochempfindliche Fotorezeptoren, die bei Wirbeltieren für das Sehen in der Dämmerung oder in der Dunkelheit benötigt werden. Umso erstaunlicher ist es, dass sie ‚extra‘ abgedunkelt werden.

Eine derart ungewöhnliche Anordnung und Verteilung der Fotorezeptoren hat Zoologen und Biologen seit langem irritiert. Denn sie fördert das Sehvermögen der Elefantenrüsselfische weder in Bezug auf die Lichtempfindlichkeit noch in Bezug auf die räumliche Auflösung. Welche Funktion aber hat sie dann überhaupt?

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Durchblick im Trüben: Optimal für den Schutz vor schnellen Feinden

Verhaltenstests, die maßgeblich von Prof. Dr. Stefan Schuster entwickelt wurden, haben entscheidend zur Lösung des Rätsels beigetragen. Im Mittelpunkt dieser Tests stand die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Elefantenrüsselfische imstande sind, rasch herannahende Feinde möglichst schnell zu erkennen und rechtzeitig zu fliehen. Wie sich dabei herausstellte, versetzt die Anordnung von Zapfen und Stäbchen den Fisch in die Lage, Feinde auch dann zuverlässig zu erkennen, wenn sie durch einen Schleier von feinsten Partikeln im Wasser überdeckt werden. Diese Fähigkeit ist für Elefantenrüsselfische äußerst wertvoll, weil sie häufig in trüben Gewässern beheimatet sind.

Bei ihren Testreihen haben Schuster und seine Mitarbeiter verschiedenste Szenarien unter Wasser simuliert. Dabei haben sie beispielsweise beobachten können, wie die Fische auf dunkle Gegenstände reagieren, die von dichten Wolken heller Partikel verdeckt werden. Oder sie haben die Elefantenrüsselfische mit feingemusterten Gegenständen konfrontiert, in deren Nachbarschaft sich viele ähnlich aussehende Partikel schnell bewegen und ähnliche Muster bilden. „Die Ergebnisse dieser Tests weisen alle in die gleiche Richtung“, berichtet der Bayreuther Tierphysiologe. „Die Elefantenrüsselfische lassen sich von den optischen Störungen im Trüben – wir Biologen sprechen von einem ‚Rauschen‘ – nicht beeindrucken. Sie besitzen ein außerordentlich rauschtolerantes Sehvermögen. Schnell und sicher können sie Objekte in ihrer weiteren Umgebung ausmachen; selbst dann, wenn es sich um Fraßfeinde handelt, die sich mit hoher Geschwindigkeit nähern.“

Ursache der Rauschtoleranz: die angeglichene Empfindlichkeit der Fotorezeptoren

Als besonders aufschlussreich erwies sich ein Experiment, mit dem Schuster an Forschungsergebnisse anknüpfen konnte, die Kollegen an den Universitäten Bonn und Bielefeld erzielt hatten. Dort war in hirnphysiologischen Messungen am Elefantenrüsselfisch der Nachweis gelungen, dass die Lichtempfindlichkeit der Zapfen und Stäbchen durch ihre ungewöhnliche Anordnung einander angeglichen wird. In einem dämmrigen Licht, wie es in tropischen Binnengewässern häufig vorkommt, werden beide Arten von Fotorezeptoren gleichermaßen aktiviert. Mit einer neuartigen Versuchsanordnung konnte Schuster – in Kooperation mit Dr. Stefan Streif an der Universität Magdeburg – zeigen, dass die hohe Rauschtoleranz nicht möglich wäre ohne das Zusammenspiel der einander angeglichenen Fotorezeptoren.

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Rüssel und Augen: Perfekte Orientierung auf kurze und weite Distanzen

Die Forschungsergebnisse waren für alle beteiligten Wissenschaftler eine zoologische Überraschung. Denn sie haben zutage gefördert, dass die Augen der Elefantenrüsselfische die Funktionen ihrer schmalen, nach vorne verlängerten Kinne perfekt ergänzen. Dieses Kinn, das äußerlich an den Rüssel eines Elefanten erinnert, war der Namensgeber für den Fisch. Es befähigt ihn dazu, seine Beute mithilfe von elektrischen Feldern zu detektieren. Dies ist allerdings nur auf sehr kurze Distanzen, in einem Umfeld von etwa zehn Zentimetern, möglich. Die ungewöhnlich strukturierte Netzhaut erschließt dem Fisch die weitere Umgebung und schützt ihn selbst vor Fraßfeinden.

In Sichtweite: Technologische Anwendungsmöglichkeiten

Die Wissenschaftler, die ihre Erkenntnisse jetzt gemeinsam in „Science“ vorstellen, haben bereits konkrete technologische Anwendungsmöglichkeiten im Blick – beispielsweise Unterwasserkameras oder auch winzige Detektoren, die in den menschlichen Blutbahnen winzige gefährliche Ablagerungen erkennen können.

„Mehr als zehn Jahre sind jetzt vergangen, seit ich mit meinen Mitarbeitern an der Universität Freiburg auf den Elefantenrüsselfisch aufmerksam wurde und auf einige Merkwürdigkeiten im Sehvermögen dieser Tiere“, erinnert sich Schuster. „Damals galt das noch als eine abseitige Thematik. Aber im Laufe der Zeit haben sich immer mehr Zoologen und Biologen dafür interessiert. Unsere gemeinsame Veröffentlichung in ‚Science‘ ist ein sehr gelungenes Beispiel dafür, was vernetzte Forschung leisten kann. Beharrliche langjährige Grundlagenforschung an einer zoologischen Kuriosität hat schließlich zu einem wunderbaren Erfolg geführt, aus dem spannende und nützliche Anwendungen hervorgehen können.“ (Christian Wißler / idw)

 



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