Forscher entdecken eiszeitlichen „Kalender“ in Höhlenmalereien

Englische Forscher sorgen mit ihrer neuen Studie für Aufsehen und Diskussion. So sehen sie in Markierungen auf eiszeitlichen Höhlenmalereien Hinweise für eine frühe „Schrift“ der Urmenschen. Erweist sich diese Annahme als richtig, könnten sie Teil eines tausende Jahre alten Kalenders sein.
Titelbild
Höhlenmalerei aus der Chauvet-Höhle in Frankreich.Foto: JEFF PACHOUD/AFP via Getty Images
Von 6. Januar 2023

Viele Menschen kennen die berühmten Höhlenmalereien früher Menschen, die häufig eiszeitliche Tiere und Menschen bei der Jagd zeigen. Die bekanntesten von ihnen stammen aus den französischen Höhlen von Lascaux und Chauvet. Oft finden sich in ihnen auch Markierungen in Form von Punkten und Linien, über deren Bedeutung Forscher noch heute rätseln.

Nun wollen Forscher der Universität Durham (England) die Bedeutung der Zeichen entschlüsselt haben. In ihrer Studie schreiben sie, dass eiszeitliche Jäger und Sammler diese Markierungen in Kombination mit den Tierzeichnungen verwendet haben, um komplexe Informationen weiterzugeben. Darin codiert seien Hinweise über das Verhalten dieser Tiere – und das schon vor mindestens 20.000 Jahren.

Ausgewählte Höhlenmalereien mit Markierungen

Markierungen wie Punkte und Striche sollen Teil eines „Kalenders“ sein. a: Auerochse (Höhle von Lascaux, Frankreich), b: Auerochse (Cueva La Pasiega, Spanien), c: Pferd (Chauvet-Höhle, Frankreich), d: Pferd (Mayenne-Sciences-Höhle, Frankreich), e: Rothirsch (Höhle von Lascaux, Frankreich), f: Fisch (Abri du Poisson, Frankreich), g: Fisch (Cueva del Pindal, Spanien), h: Mammut (Cueva del Pindal, Spanien). Foto: Bacon et al. 2023 | CC BY-ND 4.0

Bisher wussten Archäologen, dass diese Abfolgen von Linien, Punkten und anderen Markierungen eine Art von Informationen speicherten. Diese waren nicht nur an Höhlenwänden geschrieben, sondern auch auf tragbaren Gegenständen aus der letzten Eiszeit. Welche Informationen das konkret waren, wussten die Forscher jedoch nicht. Und da kam der Londoner Möbelrestaurator Ben Bacon ins Spiel.

Bacon interessierte sich schon früh für die Bedeutungen der Höhlenmalereien. So widmete er unzählige Stunden dem Wälzen von Fachbüchern, bis in ihm die Theorie zu den Markierungen heranreifte. Schließlich ging er damit zu den Forschern der Universität Durham, die ihm und seiner Theorie ein offenes Ohr schenkten.

Interessiert an der Theorie untersuchten Bacon und die Forscher schließlich einen Teil der mindestens 32 Markierungen. Sie griffen sich mit Punkt, Strich und „Y“ die drei häufigsten Zeichen heraus und bestätigten gewisse Häufungen.

Schrift oder Kalender?

Laut den Forschern stehen die Punkte und Linien in einem direkten Zusammenhang mit dem Tier, in dessen direkter Nähe sie gezeichnet wurden. So soll die Anzahl der Markierungen, aufgeschlüsselt nach Mondmonaten, den Zeitpunkt der Paarung darstellen. Dies scheinen Vergleiche mit Geburtszyklen heutiger Tiere zu bestätigen. Außerdem sehen die Forscher in dem „Y“-Zeichen die Bedeutung für „Geburt“.

Diese Zeichen konnten bislang in über 600 eiszeitlichen Höhlenmalereien und Gegenständen in ganz Europa beobachtet werden. Die Forscher bezeichnen diese Markierungen jedoch vielmehr als Proto-Schriftsystem statt als Schrift, da die Informationen numerisch aufgezeichnet werden, wie eine Art Kalender. Die älteste bislang bekannte Schrift kam erst ab 3.400 vor Christus bei den Sumerern auf.

Eiszeitliche Jäger und Sammler waren laut Meinung der Forscher demnach die ersten Menschen, die einen systematischen Kalender verwendeten, um Informationen über wichtige natürliche Ereignisse festzuhalten. Die Paläoanthropologin Melanie Chang äußert jedoch Bedenken zu der Theorie. So teilt sie zwar die Einschätzung der Forscher, dass „die frühen Menschen die Fähigkeiten hatten, zu schreiben und die Zeit aufzuzeichnen“, jedoch sei die Hypothese nicht gut genug mit Beweisen belegt. Zudem fehlen Chang alternative Interpretationsmöglichkeiten.

Die Forscher planen bereits, ihre Arbeit zu erweitern. „Wir analysieren gerade weitere Zeichen. Außerdem suchen wir nicht nur nach der Bedeutung einzelner Zeichen, sondern nach den sprachlichen und kognitiven Grundlagen, die diesem System zugrunde liegen“, so Bacon.

Die Studie erschien am 5. Januar 2023 in der Fachzeitschrift „Cambridge Archaeological Journal“.



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