Hirnforscher warnt vor Smartphone-Gebrauch: „Wischen ist kein Training für Sensorik und Motorik“

"Wenn Sie die höheren Denkbereiche nicht gut trainieren, weil sie im Kindergarten nur über eine Glasoberfläche gewischt haben und nicht die Dinge angefasst haben, wie sollen Sie hinterher besser denken lernen? Das geht nicht! Das geht wirklich nicht!"
Titelbild
Kinder am Smartphone.Foto: iStock
Epoch Times4. November 2019

Willenlose Seelen starren auf die Smartphones in ihren Händen. Wie ferngesteuert laufen sie durch die Straßen und Fußgängerzonen. Die Rede ist von „Smombies“. Laut Langenscheidt sind „damit Menschen gemeint, die durch den ständigen Blick auf ihr Smartphone so stark abgelenkt sind, dass sie ihre Umgebung kaum noch wahrnehmen“.

Wie gefährlich der digitale Fortschritt für unsere Gesellschaft sein kann, weiß Psychiater und Hirnforscher Professor Manfred Spitzer. In zahlreichen Vorträgen und Interviews bringt der Bestsellerautor den Menschen die Funktionsweise des Gehirns näher.

Ein Wunderwerk mit Milliarden Nervenzellen

Ein Gehirn geht „langsam und mit viel Würde kaputt“, warnt der Wissenschaftler. Erstmal merke man gar nichts. Wenn dann die ersten Anzeichen auftreten – etwa ein Zittern –, seien schon über 70 Prozent von der Krankheit betroffenen Gehirnzellen kaputt.

Dabei ist das Gehirn ein wahres Meisterwerk: 100 Milliarden Nervenzellen gibt es in unserem Gehirn – jede von ihnen hat 10.000 Verbindungen zu andere Nervenzellen, und zwar über Synapsen. Die wichtigste Erkenntnis aus der Hirnforschung der letzten 40 Jahre sei folgende: „Die Dinger [Synapsen] ändern sich.“ Bei hohem Informationsaufkommen würden die Synapsen wachsen. So könne man wahrnehmen, denken, fühlen, planen.

Ständig würde etwas „hingebaut, weggeräumt, angebaut, neugebaut“ werden im Gehirn. „Das nennt man Lernen“, sagt Spitzer. „Lernen ist: mit etwas umgehen, mit riesigem Spaß.“ Ständig würden Verbindungen zwischen den Nervenzellen gestärkt werden – beispielsweise beim Pauken von Vokabeln.

Lernen mit Spaß und Begeisterung bedeutet, im „Flow“ zu sein, sagt Spitzer. Dann merke man nicht, wie die Zeit vergeht. Der Wissenschaftler erklärt es an einem Beispiel:

Wenn man ein Bild malt, dann malt man es fertig. Kein Mensch habe Freude an einem halben Bild. Erst wenn es fertig sei, könne man es anderen zeigen. Erst dann wäre beispielsweise die Mutter stolz auf die Leistung des Kindes.

Und wenn jemand so etwas Tausende Male gemacht habe, dann hätte er etwas ganz Wichtiges gelernt: Einen Gedanken in die Tat umzusetzen. Der Gedanke wird in eine bestimmte Form gebracht, geplant und umgesetzt. Babys beispielsweise lernen immer wieder aufstehen, laufen, hochklettern – bis sie es können.

Das Gehirn lernt durch Wiederholungen

Wenn man verstanden habe, dass es „da oben Nervenzellen gibt, die sich verändern, wenn Sie sie benutzen“ und wisse, dass ein Gehirn kein Download für irgendwelche Information machen könne, dann habe man schon viel gelernt, sagt Spitzer. Dann hätte man begriffen, dass Wissen nicht wie auf einer Festplatte auslagert werden sollte. Sonst verkümmern Nerven.

Hierzu stellt der Hirnforscher seinem Publikum folgende Frage:
Person A und B wollen beide eine neue Sprache lernen, beide sprechen Deutsch. A kann darüber hinaus bereits vier Fremdsprachen. Wer lernt die neue Sprache schneller?

Die Antwort dürfte auf der Hand liegen: Person A. Bei ihr liegen bereits Verknüpfungen im Gehirn vor, die das Erlernen einer Sprache bereits trainiert haben. Somit geht es leichter von der Hand.

„Es gibt Leute, die können 50 Sprachen, die lernen die 51. in sechs bis acht Wochen“, sagt der Forscher. „Oder haben Sie mal jemanden getroffen, der gesagt hat: Du ich kann jetzt vier Sprachen, so langsam sind meine Sprachzentren voll?“

Damit verfüge das Gehirn über eine unvergleichliche Eigenschaft, bei der kein Computer der Welt mithalten könne: „Es passt umso mehr rein, je mehr schon drin ist und es wird nicht voll.“ Denn was für Sprachen gelte, träfe auch auf andere Bereiche zu.

Bevor die Schule anfängt

In seinem Vortrag verweist der Hirnforscher auf einen Artikel eines Nobelpreisträgers im „Science Magazin“. Dieser hatte sich darüber Gedanken gemacht, wie sich die Rendite von Bildungseinrichtungen in Abhängigkeit zum Alter des zu Bildenden verhält. Die Kurve enthalte folgende Information:

„Wenn Sie wirklich wollen, dass sich ein Euro rentiert, wo stecken Sie ihn hin? In den Kindergarten!“

Denn Kinder würden am besten im Vorschulalter lernen. Der Unterschied zwischen einem Kind der Oberschicht und einem Kind der Mittelschicht seien 30 Millionen Wörter, gibt Spitzer zu bedenken. Diese hätte das Oberschicht-Kind mehr gehört, weil in seiner Familie mehr gesprochen würde.

Damit erkläre sich auch, warum Akademiker-Kinder meist Akademiker werden. Man müsse da gar nicht viel herumrätseln. „Wenn die Schule angefangen hat, ist alles schon passiert“, sagt Spitzer. Wenn Kinder wenig Sprach-Input haben, dann sei ihre Bildungskarriere schon zu Schulbeginn kaputt.

So könne der Gebrauch von TV, Video und DVD Sprachentwicklungsstörungen und Aufmerksamkeitsdefizite fördern. Spielkonsolen und Computerspiele könnten Probleme in der Schule hervorrufen und zu geringer Bildung und falscher Ernährung führen. Andauernder Internetgebrauch verursache Sucht, Schlafmangel und Übergewicht. Hingegen biete viel Bewegung, Musik, Theater und eine zweite Sprache eine gute Grundlage im Gehirn.

Richtig lernen von Anfang an

Gerade im Vorschulalter wird extrem viel vom Gehirn geleistet. Das Hirn wird „umgekrempelt“, Verbindungen werden hergestellt und geändert – und zwar so, „dass da junge Menschen rauskommen, die sich in der Welt auskennen, in jedem Bereich, die Vorwissen haben in vielen Bereichen“, sagt Spitzer.

Mit den Händen zu begreifen, zu ertasten, zu erfahren sei dabei ein ganz wesentlicher Aspekt. „Wenn Sie das machen, dann können Sie danach auch besser denken.“ Denn alles, was in höheren Denkbereichen angelegt würde, gehe ausschließlich über Sensorik und Motorik in das Gehirn.

Spitzer verweist auf eine Studie aus den USA vom 26. September 2018. 4524 Kinder im Altern von acht bis elf Jahren wurden von September 2016 bis September 2017 anhand der Bereiche Schlaf, Sport und Bildschirmnutzung in Hinblick auf die geistige Entwicklung der Kinder untersucht. Fazit: „Bildschirmmedien haben den größten Effekt. Und der ist negativ.“

„Wenn Sie die höheren Denkbereiche nicht gut trainieren, weil sie im Kindergarten nur über eine Glasoberfläche gewischt haben und nicht die Dinge angefasst haben, wie sollen Sie hinterher besser denken lernen? Das geht nicht! Das geht wirklich nicht!“, verdeutlicht der Hirnforscher. Klar sei:

„Wischen ist kein Training für Sensorik und Motorik. Wenn Ihr Kind im Kindergartenalter viel wischt, kann es sein, dass seine intellektuelle Karriere als Putzfachkraft endet.“ (sua)

 



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion