Studie: Dauerhafte Hirnschäden beim Menschen durch Weichmacher „sehr wahrscheinlich“
Bisphenole sind Weichmacher, die weltweit in einer großen Zahl von Kunststoff-Produkten enthalten sind – beispielsweise in Lebensmittelverpackungen, Plastikgeschirr, Trinkflaschen, Spielzeug, Zahnfüllungen oder Babyschnullern. In den letzten Jahren wurden bereits zahlreiche gesundheitliche Risiken, insbesondere von Bisphenol A (BPA), aufgedeckt.
Forscher der Universität Bayreuth um Dr. Peter Machnik vom Lehrstuhl für Tierphysiologie haben jetzt erstmals die Auswirkungen von Weichmachern auf die Signalübertragung zwischen Nervenzellen im erwachsenen (Fisch-)Gehirn untersucht.
Die Mitte April in „Nature Communications Biology“ veröffentlichte Studie erstreckt sich nicht nur auf BPA, sondern auch auf Bisphenol S (BPS). Letzteres wird häufig als weniger gesundheitsschädlich angesehen. Zu Unrecht, sagen die Forscher, ihr Ergebnis lautet: Beide Weichmacher beeinträchtigen die Kommunikation zwischen den Nervenzellen des Gehirns.
Dauerhafte Schädigungen des Nervensystems
Die schädlichen Auswirkungen auf das Gehirn betreffen, so die Forscher, vor allem das empfindliche Gleichgewicht unterschiedlicher Nervenfunktionen. Einige Hirnzellen übertragen Signale, die in nachgeschalteten Zellen einen Erregungszustand auslösen. Andere Hirnzellen wiederum haben die Funktion, nachgeschaltete Zellen zu hemmen. Nur wenn beide Funktionen aufeinander abgestimmt sind, ist das zentrale Nervensystem intakt.
„Es ist bekannt, dass zahlreiche Störungen im Nervensystem von Wirbeltieren dadurch ausgelöst werden, dass Erregungssignale und Hemmungssignale nicht oder nur unzulänglich koordiniert sind“, erklärt Dr. Machnik in einer Pressemitteilung. Umso bedenklicher sei es, „dass die Weichmacher BPA und BPS genau diese Koordination erheblich beeinträchtigen.“
Doktorandin Elisabeth Schirmer fügte hinzu: „Es hat uns überrascht, wie viele lebenswichtige Hirnfunktionen der Fische durch die in zahlreichen Industriebranchen verwendeten Weichmacher geschwächt werden.“ Weiter sagte sie:
Diese Schädigungen treten […] nicht sofort ein. Aber wenn die Gehirnzellen einen Monat lang geringen Mengen von BPA oder BPS ausgesetzt sind, sind die Schäden unübersehbar.“
Letztendlich beeinflussen Weichmacher das Aktionspotenzial von Gehirnzellen, so die Forscher. Dies geschehe, indem sie die chemische und elektrische Übertragung von Signalen durch die Synapsen verändern. Zudem stören sie die Wahrnehmung und Verarbeitung von akustischen und visuellen Reizen.
Weichmacher schaden robustesten Gehirnzellen
Die schädigende Wirkung haben Machnik und Schirmer bei detaillierten Untersuchungen an lebenden Goldfischen herausgefunden. Dabei standen die beiden größten Nervenzellen im Gehirn der Fische, die Mauthnerzellen, im Fokus der Forscher.
In diesen Zellen laufen alle Sinnesreize zusammen, die rasch und auf präzise koordinierte Weise verarbeitet werden müssen. Beispielsweise lösen Mauthnerzellen lebensrettende Fluchtreaktionen aus, wenn sich Fressfeinde nähern. Aufgrund dieser überlebenswichtigen Funktion haben sie im Verlauf der Evolution eine ausgeprägte Robustheit entwickelt.
Selbst schädigende Einflüsse können die Zellen – bis zu einem gewissen Grad – abwehren oder nachträglich kompensieren. Umso stärker falle es laut den Forschern ins Gewicht, dass Weichmacher in der Lage sind, nicht wiedergutzumachende Schäden in diesen Zellen anzurichten.
Ausgehend von ihren Ergebnissen halten es die Forscher für sehr wahrscheinlich, dass ähnliche Schädigungen auch im Gehirn erwachsener Menschen auftreten können. Dr. Machnik sagte:
[Unsere] Erkenntnisse rechtfertigen die Einschätzung, dass BPA und BPS das Gehirn erwachsener Menschen ebenfalls in gravierender Weise schädigen können.“
Vor diesem Hintergrund sei es dringend geboten, dass Wissenschaft und Industrie handeln. Man müsse neue, gesundheitlich unbedenkliche Weichmacher entwickeln, um die heute vielfach genutzten Bisphenole zu ersetzen. Dafür infrage kommende Substanzen und ihre Auswirkung auf Gehirnzellen könne man dank der Erkenntnisse aus Bayreuth schnell und kostengünstig testen. Finanzielle Unterstützung erhielten die Forscher von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen eines Reinhart Koselleck-Projekts. (ts)
(Mit Material der Universität Bayreuth)
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