Trend mit Risiko: Künstliche Befruchtung in höherem Alter
Nach einem drastischen Einbruch im Jahr 2004 wegen neuer Kostenregelungen setzen Paare jetzt wieder zunehmend auf diese Methode. Eine Frau aus Berlin verleiht dem Thema jetzt besondere Aufmerksamkeit: Sie ist 65 Jahre alt – und nach einer künstlichen Befruchtung mit Vierlingen schwanger. Zwar handelt es sich um einen Extremfall, doch bei unerfülltem Kinderwunsch suchen Paare immer später Hilfe. Aus Expertensicht ist das trotz moderner Medizin problematisch.
„Das optimale Fruchtbarkeitsalter liegt immer noch bei unter 30 und nicht über 30 Jahren“, sagt Tina Buchholz, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin. Das Bewusstsein dafür müsse wieder geschärft werden. „Die Politik muss dafür sorgen, dass ein Leben mit Kindern auch mit 28 statt mit 38 Jahren gut möglich ist“, appellierte die Ärztin.
Auch das Anspruchsdenken sei heute anders, ergänzt Monika Uszkoreit, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren. „Viele Menschen glauben, dass sich alles planen lässt und wenn es dann mit dem Kinderwunsch nicht klappt, ist der Schock groß“, so ihre Erfahrung.
In den rund 130 Kinderwunschzentren deutschlandweit sind die Patientinnen meist über 30, Tendenz steigend: Waren sie 1997 bei einer künstlichen Befruchtung im Schnitt noch 32,6 Jahre alt, entschieden sie sich 2013 erst im Alter von etwa 35 Jahren für diesen Schritt – in einem Alter, ab dem die Fruchtbarkeit laut Buchholz rapide sinkt. Die Chance, bei künstlicher Befruchtung schwanger zu werden, hänge von vielen Faktoren ab, so Buchholz. „Sie ist aber nicht höher als 25 Prozent.“
Doch Paare versuchen es wieder zunehmend auf diesem Wege: Im Jahr 2013 ließen sich Frauen in Deutschland rund 54 000 Mal Eizellen entnehmen, um sie befruchten zu lassen. Seit 2007 bewegt sich die Zahl wieder über 50 000, wie aus dem aktuellen IVF-Register hervorgeht, das In-vitro-Fertilisationen (IVF) und Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) deutschlandweit zählt.
Nach einem Höhepunkt im Jahr 2003, als noch mehr als 80 000 Entnahmen gezählt wurden, gab es 2004 einen Einbruch auf rund 37 600, um danach – je nach Befruchtungsmethode – wieder zu steigen oder sich zu stabilisieren.
„Im Jahr 2003 wussten viele Paare, dass die Krankenkassen ab 2004 die Kostenübernahme einschränken werden – und haben es deshalb 2003 noch probiert“, erklärt Uszkoreit. Seit 2004 müssen Krankenkassen nur noch bei drei Behandlungszyklen die Hälfte der Kosten für IVF und ICSI zahlen, die jeweils zwischen 3000 und 4000 Euro liegen. Vorher übernahmen die Kassen vier Behandlungen komplett.
Sich bei ausbleibendem Kinderwunsch Hilfe zu suchen, sei heute längst kein Tabuthema mehr, sagt Buchholz. Sie glaube aber nicht, dass Paare schneller auf eine künstliche Befruchtung setzen, nur weil die Hemmschwelle niedriger ist: „Wer das nicht machen muss, macht es auch nicht. Es ist immer schöner, wenn es auf natürlichem Wege klappt.“
Etwa jeweils ein Prozent der Frauen und Männer seien unfruchtbar, schätzt sie. Außerdem gebe es eine Dunkelziffer. Von Unfruchtbarkeit sprechen die Experten, wenn Frauen nach einem Jahr regelmäßigem Geschlechtsverkehr zum richtigen Zeitpunkt nicht schwanger geworden sind. Hormonelle Störungen, die demnach zu den häufigsten Ursachen für eine ungewollte Kinderlosigkeit bei Frauen zählten, ließen sich auch gut medikamentös behandeln.
Auch die direkte Übertragung von Spermien in die Gebärmutter einer Frau sei eine sanftere Variante, die im IVF-Register nicht erfasst wird. Buchholz schätzt, dass die Zahl der sogenannten Inseminationen mindestens genauso hoch ist, wie die Zahl der Eizell-Befruchtungen außerhalb des Körpers.
Die 65-Jährige Berlinerin hat ein Verfahren genutzt, das in Deutschland verboten ist: Sie hat sich im Ausland sowohl mit einer Eizell- als auch einer Samenspende künstlich befruchten lassen.
(dpa)
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