Virologe warnt vor falscher Hoffnung: Entwicklung eines „hocheffektiven und sicheren Impfstoffes“ gegen SARS-CoV-2 ungewiss

Die dem Robert Koch-Institut übermittelten COVID-19-Fälle sind im Vergleich zu den Vorwochen weiterhin rückläufig, wie aus dem Lagebericht vom 11. Juni hervorgeht. Wenn man den Worten der Politiker Glauben schenkt, ist der einzige Weg in eine Normalität des Lebensalltages ein Impfstoff gegen SARS-CoV-2. Der Virologe Oliver Keppler warnt vor der Hoffnung, die man in den "Superimpfstoff" legt.
Von 12. Juni 2020

„Ein Impfstoff ist der Schlüssel für eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Normalisierung – für ein Leben, das wir gewohnt sind und das viele schmerzlich vermissen“, sagte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek. Mit Hochdruck wird weltweit an der Entwicklung gearbeitet.  Über einhundert Projekte zur Impfstoffentwicklung gibt es bereits, Milliardenbeträge werden dafür eingesetzt.

„Aber all das – das muss uns klar sein – ist keine Garantie für Erfolg. Es gibt hier einfach keinen Automatismus“,  gab der Virologe Oliver Keppler in einem Interview mit „tagesschau.de“ zu Bedenken. Natürlich sei ein Impfstoff das, „was wir uns alle wünschen“. Aber bei diesem neuartigen Virus sei das eventuell nicht so einfach.

„Die Impfstoffentwicklung könnte Jahre oder vielleicht sogar Jahrzehnte dauern. Es ist auch nicht gesagt, dass es überhaupt einen hocheffektiven und sicheren Impfstoff geben wird“, betonte Keppler. Man müsse sich an den Erfolgen und auch Misserfolgen der vergangenen 30 Jahre messen lassen. Der Forscher erklärte:

„Wenn wir zurückblicken auf die Impfstoffentwicklung gegen andere pandemische Infektionskrankheiten durch Viren, Bakterien oder Parasiten – wie HIV/AIDS, Dengue-Fieber, Tuberkulose oder Malaria – das sind Geißeln der Menschheit, die seit Jahrzehnten für Leid und Tod sorgen. Und wir haben es bisher nicht geschafft, auch nur gegen eine dieser vier einen effektiven Impfstoff zu entwickeln.“

Bei den respiratorischen Infektionen, zu denen auch das Coronavirus zähle, hätte man einen „Einäugigen unter Blinden“ – die Influenza-Impfung. Aber auch diese sei nicht hocheffektiv. „Die Effektivität schwankt von Jahr zu Jahr zwischen 30 und 70 Prozent.“  Jedes Jahr müsse neu geimpft werden, weil sich das Virus deutlich verändert und die Immunität durch Impfung oder durchgemachte Infektion aus dem Vorjahr nur teilweise oder gar nicht mehr helfe.

Erfolge in der Impfstoffentwicklung – eine Katastrophe

Zur aktuellen Forschung schilderte Keppler: „Neulich las ich – wie so oft in letzter Zeit – eine Schlagzeile aus den USA: ‚Erfolg in der Impfstoffentwicklung‘ .“  In dem Bericht habe gestanden, dass acht von 34 geimpften Probanden eine Immunreaktion gezeigt haben. „Das wäre der Zeitpunkt, an dem man die Forschung zu diesem Impfstoff abbrechen oder ganz ‚zurück auf Start‘ gehen müsste, weil dieses Ergebnis eigentlich eine Katastrophe ist.“

Momentan würde – auch aus wirtschaftlichen Interessen – ein „Hype“ produziert, der mit der Realität nicht viel zu tun hat. Die Anforderungen an einen entsprechenden Impfstoff seien hoch. Schützen soll er und „keine schweren Nebenwirkungen“ haben. Für alle Bevölkerungsgruppen müsse er passen, also auch für die Jüngsten und Ältesten. Und obendrauf sollten Hunderte Millionen oder Milliarden Impfdosen bereitgestellt werden können.

„Die Hoffnung auf einen solchen ‚Super-Impfstoff‘ zu setzen, ist aus meiner Sicht völlig überzogen“, sagte Keppler. Es könnte auch sein, dass man einen solchen Impfstoff nie haben werde.  Auch ob eine genetische Veränderung von SARS-CoV-2 eine Relevanz für die Immunität habe, wisse man noch nicht. Man wisse ja noch nicht einmal, wie lange eine Immunität nach durchgemachter Infektion anhalte.

Dass man über die Verteilung eines Impfstoffs diskutiert, „der noch nicht mal ansatzweise am Horizont ist“, darüber könne Keppler nur den Kopf schütteln.



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